"Stufenweiser Frieden mit Israel":
Ismail Hanija macht Rückzieher
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Der designierte palästinensische Premierminister Dr.
Ismail Hanija dementierte, einen "stufenweisen Frieden mit Israel" für
möglich gehalten zu haben, falls Israel sich auf die "Grenzen von 1967"
zurückziehe. Das habe er telefonisch der Washington Post gesagt. Mehrere
Sprecher der Hamas beeilten sich, eine Anerkennung Israels auszuschließen.
"Wir haben einen Mitschnitt des Gesprächs. Das Wort Frieden kam nicht vor",
sagte Hamassprecher Dr. Salah al-Bardaweil. Hanija behauptet, "falsch
zitiert" worden zu sein.
Bestenfalls komme ein langfristiger Waffenstillstand in
Frage. Und das werde erst "erwogen", nachdem Israel sich auf die Grenzen von
1967 zurückgezogen habe, Ostjerusalem aufgegeben, alle Gefangenen
freigelassen und palästinensischen Flüchtlingen das Recht auf Rückkehr
gewährt habe. Gerade der letzte Punkt gilt aus israelischer Sicht als
unverhohlener Aufruf zur Zerstörung des jüdischen Staates. Denn nach
Palästinensischen Angaben gibt es bis zu acht Millionen Flüchtlinge mitsamt
Kindeskindern. Da in Israel etwa 5 Millionen Juden leben, wäre es das Ende
des jüdischen Staates.
Hanija, angeblich 1962 im Flüchtlingslager Schati bei Gaza
geboren, ist Vater von elf Kindern. Sein genaues Geburtsdatum ist unbekannt.
Sein Alter wird deshalb mit 43, 47 oder 50 angegeben.
Seine Familie lebt von monatlichen Zuwendungen der UNWRA.
Diese UNO-Flüchtlingshilfe Organisation versorgt seit 1948 rund drei
Millionen palästinensische Flüchtlinge mit monatlichen Rationen von Mehl und
Speiseöl, und gewährt eine kostenfreie Ausbildung. Hanijas Eltern flüchteten
1948 aus der Gegend von Aschkelon.
Hanija hatte gerade seinen Abschluss in arabischer
Literatur an der Universität von Gaza erhalten, als die erste Intifada,
ausgelöst durch einen Verkehrsunfall, im Dezember 1987 ausbrach. Er war in
der islamischen Studentenbewegung aktiv.
Während westliche Medien den künftigen Ministerpräsidenten
als "relativ moderat", pragmatisch und charismatisch beschreiben, ohne
jedoch dafür eine Erklärung zu liefern, findet man in seinen bisherigen
Äußerungen kaum versöhnliche Töne. Einerseits solle der "Widerstand nur
gemäß den palästinensischen Interessen" weitergehen, was als Pause der
Terrorkampagne der Hamas interpretiert wird, andererseits habe Hanija stets
der Gewalt gegen Diplomatie den Vorzug gegeben. Der Erfolg der Hamas bei den
Kommunalwahlen 2005, so Hanija, sei der beste Beweis für eine breite
Befürwortung des Terrors gegen Israel.
Hanija ist für Israel kein unbeschriebenes Blatt, obgleich
sich offizielle israelische Stellen "aus Rücksicht auf die delikate Lage"
weigern, jegliche Informationen über seine Vergangenheit herauszurücken.
Hanija wurde 1987 ein erstes Mal verhaftet und 1988 wegen "Beteiligung am
Aufstand und Widerstand gegen die israelische Okkupation" erneut
festgenommen. 1989 wurde er zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe
verurteilt. Je nach Quelle heißt es, dass er "ohne Anklage eingekerkert"
worden sei, oder dass er im "Widerstand aktiv" war. Nach seiner Freilassung
deportierte ihn Ministerpräsident Jitzhak Rabin mit 400 weiteren
Hamas-Aktivisten nach Libanon. Die Männer fristeten ein Jahr im Niemandsland
in Zelten. So begann die Kooperation von Hamas und Hisbollah. So gelangte
auch die "Mode" der Selbstmordattentate von Libanon zur palästinensischen
Hamas. Diese mörderische Kriegstaktik kostete hunderten Israelis das Leben.
Nach der Rückkehr Arafats aus dem Exil wanderte Hanija ins palästinensische
Gefängnis.
Nach der Freilassung des Hamasgründers Scheich Jassin aus
dem Gefängnis, nachdem israelische Agenten in der jordanischen Hauptstadt
Amman einen gescheiterten Anschlag auf den heutigen Hamaschef Chaled Maschal
verübt haben, wurde Hanije zur "rechten Hand" des spastisch gelähmten
Scheichs ernannt. Ob und wie Hanije Selbstmordattentate mitorganisierte, die
Scheich Jassin persönlich befohlen habe, ist unbekannt. Im Sommer 2003,
nachdem ein Islamlehrer und Aktivist der Hamas sich in Jerusalem in einem
vollen Bus mit ultraorthodoxen Familien gesprengt hat, wäre Hanija fast
einer "gezielten Tötung" zum Opfer gefallen. Die israelische Bombe verfehlte
jedoch die Besprechung von Spitzenleuten der Hamas, darunter Scheich Jassin
und dem legendären Attentäter Muhammad Deif, Nummer eins auf der
israelischen Abschussliste. Nachdem Israel Scheich Jassin, Abdel Asis
Rantissi und weitere Hamasführer "liquidiert" hatte, wurde Hanija zum
Nachfolger Jassins gewählt. Das wurde aber geheim gehalten, damit er nicht
ins Fadenkreuz israelischer Raketen geriete.
Nach Angaben von Professor Atif Udwan von der Islamischen
Universität in Gaza sei Hanija ein guter Zuhörer und ein "umgänglicher
Mann". Mohammed Yagh, ein Analytiker aus Ramallah bestreitet jegliche
"Flexibilität" Hanijas, wenn es um die Prinzipien der Hamas gehe: "Wir haben
von ihm noch kein Wort zur Zwei-Staaten-Lösung gehört."
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 27-02-2006 |