antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

  

Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

hagalil.com

Search haGalil

Veranstaltungskalender

Newsletter abonnieren
e-Postkarten
Bücher / Morascha
Musik

Koscher leben...
Tourismus

Aktiv gegen Nazi-Propaganda!
Jüdische Weisheit
 

 

Gemeinsamkeiten und Differenzen:
Euroislam und jüdische Identität

Von Irene Runge
Jüdische Korrespondenz 03/2006

Ein blindwütiger Anti-Islam droht zur Torheit unserer Tage aufzusteigen. Seitdem auch der deutschen Mehrheitsgesellschaft urplötzlich klar geworden ist, dass die 3,2 Millionen Muslime nicht nur vorübergehend hier leben werden, wächst offenbar die Angst vor einer muslimischen Leitkultur. Da passt es, wenn innermuslimisch z.B. über einen "Euroislam" nachgedacht wird.

Der Zeitgeist richtet die Strömungen, da stärken Antiislamparolen nicht nur außereuropäisch separatistische und radikale Kräfte. Trotzdem haben in Europa die Moderaten das Übergewicht, jedenfalls lassen sich die Reaktionen auf die Karikaturendebatte so deuten. Wer Euroislam denkt, will weder Krieg noch Getto, sondern die Moderne, Demokratie und Menschenrechte mit einem europäischen Islam verbinden, doch manchen kommt die Religion zu kurz. Anderen scheint eine Art "Immigranten-Islam" denkbar. Würde das die Islamisierung Europas befördern? Noch wird nachgedacht. Was auch immer die Ergebnisse sind - religionskonservativ Isolierte, konservativ-religiöse Demokraten und Reformorientierte werden inmitten der vielschichtigen muslimischen Gesellschaft an Europas Zukunft mitschreiben. Desintegrierende Armut, Bildungsnot und der mediengefällige religiöse Fundamentalismus sind eben nicht die ganze Wahrheit.

Läßt sich hier jüdische Geschichte vergleichend nutzen? Wir feiern die Kampfeskraft der Makkabäer, erfreuen uns der List der Prinzessin Esther, erinnern an zehn Plagen gegen Ägypten, an den militärisch disziplinierten Marsch mit Moses durch die Wüste, an geradezu konterrevolutionäre Unruhen und Strafen des Untergangs.

Biblische und weltliche Geschichte gehören für uns zusammen, aber es wurde vergessen, warum sich vor 100 Jahren jüdische Arbeiterinnen und Arbeiter politisch und gewerkschaftlich organisierten und die jüdische Frauenbewegung zwar mittelständisch, aber deutlich wegweisend war. Auf den langen Kampf unserer Altvorderen um sozialen Fortschritt, Bürger- und Menschenrechte, auf die Rebellion der jüdischen Jugend gegen das sie ausschließende Bildungsprivileg sollten wir stolz sein. Heute denken muslimische Intellektuelle über Konstanten und Variablen ihrer Lebenstrategien nach, während jüdische Eliten vor allem in Übersee und Israel das Erbe tradieren, reformieren, revolutionieren und analysieren. Dank der Nachfahren der Emigranten von damals fließt das auch in unsere jüdische Gegenwart zurück.

Hierzulande ist der christlich-jüdische Dialog zur Metapher der "wiedergutmachenden" Lehre aus dem Holocaust geworden, aber das europäische Alltagsdenken wird davon nur bedingt durchdrungen. Wo bleibt die Vision des modernen europäischen Judentums? Wer antizipiert den europäischen Islam?

In Deutschland hat überdies das Dilemma der verdrängten deutschen Identität zwar zum jüdischen Folklorismus beigetragen, doch alter wie neuer Antisemitismus und feindseliges Misstrauen gegen den Islam sind in die gesellschaftliche Mitte gerutscht. Wie schwerfällig wurde auf die wegen der deutschen Vergangenheit so besondere, aber einwanderungstechnisch fast unauffällige jüdisch-russischsprachige Einwanderung reagiert. Migration ist das Stichwort! Aus ihren Migrantencommunities werden Juden und Muslime zum politischen Perspektivenwechsel beitragen! Sprachen und Religion sind nicht nur Indikatoren für Herkunft, Kultur, Bildung. Fehlen integrative Alternativen, reproduzieren sich daraus eigene Identitäten und Gemeinschaften.

60 Jahre nach Kriegsende, fast drei Generationen nach dem Holocaust, 16 Jahre nach dem Ende des sozialistischen Versuchs, will sich Europa als Kontinent einen, doch die Kulturen schleifen im bürokratischen Getriebe mit und nationale Vorlieben überdecken den europäischen Gedanken. Seit dem 11. September 2001 wird über zivilisatorischen Zusammenprall, Zusammenbruch und "Kulturkampf" geschwätzt, der Dialog des Denkens, der "Trialog" zwischen Juden, Christen und Muslimen hat weniger Gewicht. Dafür sprechen diese widerlichen Karikaturen, deren Physiognomien nicht nur mich an die Judenhatz im "Stürmer" erinnerten. Wer das als Meinungs- und Pressefreiheit verkürzt, kettet aus Dummheit oder Arroganz religiöse Empfindsamkeiten und Gewalt aneinander, nicht besser als jene, die aus all dem ihr politisches Kapital schlagen. Cool down! Genug gefeindet! Des Abendlandes pauschalisierender Blick auf alle Muslime fällt auf Morgenländisch nicht weniger pauschal aus. Da wäre der Diskurs über europäische jüdische Identität und Euroislam nützlich.

Zwar ist Judentum Religion und Nation, Hannah Arendt befand sogar: "Das jüdische Volk hat seine Einheit in Israel", und auch uns geht es um das Irdische und Himmlische, um Vielfalt in der Einheit, um Religion und A- oder Antireligiosität. Der Islam hingegen ist Religion, begründet keine nationale und keine ethnische Identität, eine säkulare ist folglich im Islam nicht möglich, sondern wäre ein Widerspruch in sich. Wenn manche die Glaubensgrundsätze leichter nehmen als andere, bleiben sie dennoch bei der Religion. Wie geht es weiter? Wir müssen uns individuell und als Gemeinschaften zwischen Gegenwart und Zukunft neu positionieren und einiges vom Alten dringend verlernen. Die europäischen Gemeinsamkeiten, Differenzen, das Neben-, Mit- und Nacheinander vom Standpunkt der eigenen Zugehörigkeiten, des künftigen Europa und der globalisierten Welt enthalten auch unbequeme Fragen. Für die Antworten brauchen wir Zeit.

hagalil.com 26-02-2006

Werben in haGalil?
Ihre Anzeige hier!

Advertize in haGalil?
Your Ad here!

 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2006 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved