Widersprüchlicher Abbas:
Regierung mit zwei Köpfen
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas macht
widersprüchliche Angaben über seine Zukunft. Gegenüber der
israelischen Presse erklärte er in mehreren Interviews am
Wochenende, kämpfen zu wollen, damit die künftige Regierung unter
Hamas-Führung seinen Weg und seine Konditionen akzeptiert. Dazu
gehören eine Anerkennung Israels, Gewaltverzicht und die Akzeptanz
aller bestehenden Verträge, zumal sie die rechtliche Grundlage für
das Bestehen der Autonomiebehörde und des palästinensischen
Parlaments bedeuten. Beim britischen ITV jedoch drohte Abbas mit
Rücktritt, falls die Hamas seine Vorgaben verweigere.
Der Wahlsieg der Hamas hat einen Zustand geschaffen, der gemäß dem
französischen Präsidialsystem "Cohabitation" genannt wird. Im
Prinzip bestimmt der direkt gewählte Präsident die Politik, während
das ebenso direkt gewählte Parlament die dazu notwendigen Gesetze
verabschiedet und die vom Parlament bestätigten Regierung sie
ausführt. Abbas befindet sich jedoch seit den Parlamentswahlen in
der Minderheit.
Verhandlungen mit Israel liegen in der Verantwortung von Mahmoud
Abbas und nicht des Ministerpräsidenten. Denn der eigentliche
Vertragspartner Israels ist nicht die Autonomiebehörde sondern die
PLO als anerkannte Vertreterin des Palästinensischen Volkes. Abbas
ist nicht nur Präsident der Autonomie, sondern gleichzeitig
Vorsitzender der PLO.
Mit Israel ausgehandelte künftige Verträge dürften vom Parlament
kaum abgesegnet und schon gar nicht von der Hamas-Regierung
umgesetzt werden. Weil sich die Autoren der palästinensischen
Grundgesetze wohl kaum einen derartigen Machtverlust der seit über
40 Jahren regierenden Fatah vorstellen konnten, bleiben viele
Aspekte der künftigen Politik der Autonomiebehörde in der Schwebe.
Es ist nicht einmal klar, wer am Ende das Sagen über die 70.000 Mann
starken Streitkräfte und Geheimdienste der Palästinenser haben
werden, Abbas oder Ismail Hanije, der mutmaßliche künftige
palästinensische Regierungschef. Sollte Abbas zum Beispiel den
Befehl erteilen, die Hamas zu entwaffnen, wozu er gemäß der
"Roadmap", jener internationalen "Straßenkarte auf dem Weg zum
Frieden", verpflichtet ist, dürfte dem die Polizei kaum Folge
leisten, falls sie tatsächlich einen Hamas-Mann als Befehlshaber
erhalten sollte.
Die Hamas spricht derweil mit mehreren Zungen. Einige Sprecher
halten unverblümt an der Absicht fest, Israel zu zerstören und die
"Zionisten" zu vertreiben. Aber Ismail Hanije redet von einer
möglichen Anerkennung Israels, "nachdem" sich Israel auf die Grenzen
von 1967 zurückgezogen, alle Gefangenen freigelassen und den rund 8
Millionen palästinensischen Flüchtlingen das Recht erteilt habe, in
den Staat Israel zurückzukehren. Im jüdischen Staat leben etwa fünf
Millionen Juden und 1,2 Millionen Araber. Nach gängiger israelischer
Auffassung würde sich nach einer Rückkehr der Flüchtlinge eine
Anerkennung Israels erübrigen, weil Israel dann ohnehin der 23.
arabische Staat wäre mit einer jüdischen Minderheit.
Israelische Sprecher, darunter der ehemalige Geheimdienst-Chef Avi
Dichter, warnen schon vor einer "Honigfalle", die Hanije mit "süßen
Worten" aufstelle, um internationalen Widerstand gegen die von den
USA und der EU offiziell zur "Terrororganisation" erklärten Hamas zu
lockern.
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