In den arabischen Medien:
Nationalistische und islamistische
Stimmen im Karikaturenstreit
MEMRI Special Dispatch 7. Februar
2006
In den arabischen Medien hat sich der Streit
um die Karikaturen mittlerweile etwas beruhigt und auf den Meinungsseiten
anderen Themen Platz gemacht. Einige Stimmen riefen zur Besonnenheit auf –
so etwa ein Kommentar von Ahmed Al-Rabei, der gestern allerdings nur auf
Englisch in der Al-Sharq Al-Awsat erschien. Darin kritisiert Al-Rabei die
„unangemessenen Reaktionen“, mit denen der Prophet „vermeintlich“ verteidigt
werden solle. So dürften nicht alle Dänen für die Tat eines einzelnen
haftbar gemacht werden: „In der arabischen Welt“, so Al-Rabei, „leiden wir
an Totalitarismus und der Neigung zur Verallgemeinerung. Deshalb können
einige offenbar nicht begreifen, dass nicht alles, was irgendein Verrückter
geschrieben oder gezeichnet hat, die Haltung einer gesamten Nation
wiedergibt. Auch sind sich offenbar viele nicht darüber bewusst, dass der
dänische Premierminister entlassen werden kann, wenn er diktieren will, was
eine Zeitung veröffentlichen darf und was nicht.“ Im weiteren kritisiert der
Kolumnist von Al-Sharq Al-Awsat auch den populären islamistischen Prediger
Yussuf Al-Qaradawi, der erklärt hatte, zur Verteidigung des Propheten müsste
nicht nur Dänemark, sondern die ganze Welt boykottiert werden.[1]
Im Folgenden dokumentieren wir noch einmal zwei Stimmen, die in typischer
Weise zu Protesten und Boykotten aufrufen - einen redaktionellen Kommentar
der arabisch-nationalistischen Zeitung Al-Quds Al-Arabi sowie zwei
Statements des Führers der islamistischen Hizbullah im Libanon, Hassan
Nasrallah. In beiden Kommentaren werden die grundlegenden Motive der
Empörung deutlich: Dem Westen wird allgemein vorgeworfen, den Islam und die
Muslime schon seit langem zu verfolgen. Dabei messe er mit zweierlei Maß.
Wenn jemand den Islam beleidige, falle das nämlich unter Meinungsfreiheit,
würden sich Palästinenser, Iraker oder Afghanen jedoch gegen die
Besatzung aussprechen oder Israel und die Juden kritisieren, dann wäre das
unerwünscht. Besonders deutlich wird in beiden Fällen auch der Appell an
eine starke Gemeinschaft der 1,4 Milliarden Muslime und ihren als gerecht
betrachteten Zorn.
Al-Quds Al-Arabi: „Der Westen ist
heuchlerisch und feindselig!!“
„Der Westen, der uns seit Jahrzehnten Toleranz, Respekt gegenüber dem
anderen, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte predigt, dieser Westen
versteckt sich nach der offenkundigen Beleidigung des Islams, der Muslime
und ihres Propheten [...] hinter der Parole der Meinungsfreiheit. Eben diese
Meinungsfreiheit verweigern sie aber, wenn Araber und Muslime ihre Meinung
äußern oder wenn die Palästinenser es in Form von freien und sauberen Wahlen
tun. Und genauso wendet sich der Westen jetzt gegen die Meinungsfreiheit,
wenn Muslime gegen die von ihm ausgehenden Feindseligkeiten und
Beleidigungen protestieren.
Dieser Westen regiert die Welt
und gibt keine Ruhe wenn es um so genannten ´Antisemitismus´ oder um
antijüdische Positionen oder auch nur gegen Israel geht. Derselbe Westen
fordert aber einmütig von den Palästinensern die Anerkennung Israels und das
Ende des Widerstands gegen die Besatzung, ohne Israel seinerseits
aufzufordern, die illegale Besatzung zu beenden und die legitimen Rechte des
palästinensischen Volkes zu achten.
Der dänische Ministerpräsident
will sich nicht entschuldigen und beruft sich auf die Meinungsfreiheit und
die dänischen Gesetze [....]. Tatsächlich hat die Beleidigung des Islams und
der Muslime durch den Westen aber doch nicht erst heute angefangen, sondern
vor vielen Jahrzehnten – und das nicht nur durch die Medien und in Form
wiederholter Diffamierungen des Islams und der Muslime. Nach dem 11.9.
wurden in westlichen Staaten lebende Muslime mit dem Argument der Bekämpfung
des Terrors verfolgt. In Frankreich werden Musliminnen gezwungen, das
Kopftuch abzulegen. Alle westlichen Staaten engen die Freiheit
islamischer Institutionen und der Muslime, etwa in den Moscheen, ein [...].
Ebenso sieht es aus im Irak, in Afghanistan und Palästina und auch der Iran
ist westlichem Druck und Drohungen ausgesetzt. All das lässt keinen
Zweifel daran, dass den Westen nicht die Prinzipien von Gerechtigkeit,
Freiheit und Menschenrechten bewegen, sondern seine alten und neuen gierigen
Kolonialinteressen.
Dieser Westen heuchelt seine Sorge um die
Meinungsfreiheit, aber warum hat er in Frankreich den Sender Al-Manar
geschlossen?! [2] Warum werden muslimische Zeitungen und Magazine verfolgt?
Und was machte der Westen, als die irakischen und afghanischen Muslime die
westliche Besatzung ihrer Länder ablehnten?!
Warum tut dieser
Westen, der sich angeblich so um Freiheit und Menschenrechte sorgt, nichts
um die israelische Besatzung zu beenden und es den Palästinensern zu
ermöglichen, ihre legitimen Rechte auszuüben? Vielmehr unterstützt dieser
Westen Israel und bietet ihm internationale Rückendeckung.
Es wäre
zu fragen, was passieren würde, wenn - Gott behüte! - eine arabische oder
islamische Zeitung eine Karikatur veröffentlichte, welche die großmütige
christliche Religion beleidigt? Oder wenn eine Zeichnung den christlichen
Westen mit dem weltweiten Terror in Verbindung brächte? Oder wenn eine
arabisch oder islamische Zeitung eine Karikatur veröffentlichte, in der die
jüdische Religion beleidigt und mit der Unterdrückung der Palästinenser in
Verbindung gebracht würde?! Dann würden alle europäischen und amerikanischen
Führer diese Zeitung einhellig kritisieren und die Bestrafung der
Verantwortlichen fordern.
Zuletzt erklären wir, dass es eine Schande
für die Führungen der arabischen und islamischen Gemeinschaft [umma] wäre,
wenn sie gegenüber diesen westlichen Feindseligkeiten und Heucheleien
untätig blieben. Es ist an der Zeit eine klare Botschaft an die
amerikanischen und europäischen Amtskollegen zu schicken, dass die arabische
und islamische Welt solche Beleidigungen nicht hinnehmen kann und sie die
Verantwortung übernehmen, sich entschuldigen und dafür sorgen müssen, dass
sich so etwas nicht wiederholt. Andernfalls verfügt die arabische und
islamische Welt über genügend Mittel und Wege, um diesem Westen klar zu
machen, dass die arabische und islamische Gemeinschaft in der Lage ist, ihre
Interessen, Rechte und Heiligtümer zu schützen und dass solche Verbrechen
ihren Preis haben und nicht ohne Strafe bleiben können.“ [3]
Hassan Nasrallah: ´Wäre die Fatwa gegen Rushdie erfüllt worden, gäbe es
jetzt keine Beleidigungen des Propheten´
Nasrallah: „Wenn
irgend ein Muslim die Fatwa von Imam Khomeini gegen den vom Glauben
abgefallenen Salman Rushdie ausgeführt hätte, hätten es diese
verabscheuungswürdigen Menschen nicht gewagt, den Propheten Mohammed zu
diffamieren – weder in Dänemark, noch in Norwegen oder in Frankreich.
Worum geht es denn in dieser Solidaritätskampagne? Sollen wir die
Botschafter einberufen, und das war’s? Sollen wir dänische Produkte
boykottieren, und das war’s? Nein. Ich rufe die muslimischen Juristen, die
muslimischen Religionsschulen, die Führer der islamischen Bewegungen, die
Führer der islamischen Länder und alle Muslime dazu auf, einen klaren
Standpunkt zu beziehen. Wenn wir das jetzt tolerieren, so wie wir es im Fall
von Salman Rushdie getan haben, weiß nur Gott, was sie in Zukunft noch alles
tun werden.
Im Fall von Dänemark müssen wir also heute eine andere Position
einnehmen, wenn Dänemark sich nicht kümmert. Das gleiche gilt für Norwegen
und Frankreich, wenn sie nicht selbst etwas unternehmen. Dann sind wir nicht
Libanesen, Syrier, Palästinenser, Ägypter, Saudis, Malaysier oder Indonesier
- es geht um den Propheten der Muslime, den Propheten von 1,4 Milliarden
Muslimen. Ich bin sicher, dass nicht nur Millionen, sondern unzählige
Millionen Muslime bereit stehen und willens sind, ihr Leben für die
Verteidigung der Ehre ihres Propheten zu opfern. Und ihr seid mitten unter
ihnen.“ [4]
“Tatsächlich sind wir mit einem neuen Phänomen
konfrontiert. Oder besser gesagt: einem neuen Beispiel für die
Scheinheiligkeit des Westens. Seine Parolen sind scheinheilig. In der
arabischen Region bezeichnen wir das inzwischen als ‚doublestandards’. Sie
behandeln und bewerten uns anders als andere.
So schrieb etwa der
große französische Philosoph Roger Garaudy vor einigen Jahren ein
wissenschaftliches Buch. [5] Er griff niemanden an, noch beleidigte er
irgendjemanden. Vielmehr schrieb er eine wissenschaftliche Studie und
untersuchte darin den angeblichen Holocaust an den Juden in Deutschland. Er
bewies, dass dieser Holocaust ein Mythos ist. Der große französische
Philosoph Roger Garaudy kam vor Gericht. Er wurde angegriffen und
gedemütigt. Ihm nützte es nichts, dass die Meinungsfreiheit in Frankreich
als Menschenrecht betrachtet wird. Warum? Weil die Meinungsfreiheit
bei den Juden aufhört, aber nicht beim Propheten von 1,4 Milliarden
Muslimen. Das ist Scheinheiligkeit. [...]
„Der Gott dieser Menschen
ist das Geld und deswegen sollten wir dem zurecht ergangenen Aufruf folgen,
Produkte aller Länder zu boykottieren, die ihren Zeitungen erlauben, unseren
Propheten anzugreifen.“ [6]
[1]http://www.aawsat.com/english/news.asp?section=2&id=3690. Die Predigt von
Qaradawi, die eine Reihe typischer Argumentationsmuster enthält, sehen Sie
unter: http://www.memritv.org/search.asp?ACT=S9&P1=1026
[2]
In Frankreich wurde einem Satellitenbetreiber die Ausstrahlung von
Programmen des Senders der libanesischen Hizbullah, Al-Manar, verboten, weil
dieser antisemitische Hasspropaganda verbreitet hatte.
[3] Al-Quds
Al-Arabi, 6. 2. 2006
[4] Al-Manar TV, 2. 2. 2006; Clip:
www.memritv.org/search.asp?ACT=S9&P1=1023
[5] Gemeint ist das 1996
erschienene Buch „Les Mythes fondateurs de la politique israeliénne“ (Die
Gründungsmythen der israelischen Politik). 1998 wurde Garaudy, der sich auf
die Meinungsfreiheit berief, wegen „Leugnung von Verbrechen gegen die
Menschlichkeit“ zu einer Geldstrafe verurteilt.
[6] Al-Jazeera TV, 3. 2.
2006; Clip: www.memritv.org/search.asp?ACT=S9&P1=1023
Die Ansichten der zitierten Autoren geben nicht die Meinung von MEMRI
wieder.
Sie finden ins Englische übersetzten Texte
und TV-Ausschnitte auf www.memri.org und
www.memritv.org.
Auf der Eingangsseite zu
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http://www.hagalil.com finden Sie
Hinweise auf einige Artikel zum Thema, u.a. aus dem Standard, der Presse,
von n-tv, telepolis, honestly-concerned, der Frankfurter Rundschau, der
Tageszeitung, dem Neuen Deutschland, der Tagesschau, Aviva, JTA und vielen
anderen.
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