Ein Weckruf von Sonia Mikich:
Was nun, ferner Bärtiger?
Wir sind beleidigt, denn unsere
traditionellen Werte werden mit Füßen getreten.
Meinungsfreiheit und
Vernunft sind uns heilig. Und die Erde ist keine Scheibe mehr, nur zur
Erinnerung.
Ein Weckruf von Sonia
Mikich, ersch. in der taz am 060206
Ich bin beleidigt.
Eiferer nageln den
Schleier an die Gesichter meiner Schwestern in Afghanistan und Pakistan fest
und hängen fleißig Frauen, Homosexuelle, Ehebrecher und Ungläubige.
Aber Menschen-, Frauen-, Freiheitsrechte sind
für mich das Erhabenste der Menschheitsgeschichte, so ist nun mal die
Tradition, in der ich groß geworden bin. Werte, die die Welt besser und
friedlicher machen.
Ich verlange also, dass sich die Regierungen
von Saudi-Arabien, Palästina, Indonesien und Ägypten bei mir entschuldigen.
Andernfalls muss ich ihre Bürger leider bedrohen, zusammenschlagen,
entführen oder enthaupten. Denn ich bin empfindlich, wenn es um meine
kulturelle Identität geht.
Ich bin beleidigt.
Fanatiker sprengen die
Buddhas von Bamiyan in die Luft, großartige Kulturdenkmäler.
Aber Kunst drückt für mich universelle
Schönheit und Unschuld aus, sie ist ein Wert, der die Welt besser und
friedlicher macht, so ist nun mal die Tradition, in der ich groß geworden
bin.
Ich verlange also, dass sich die Hamas, der
Sprecher der französischen Muslime, die Leitung der Al-Azhar-Universität
sich bei mir entschuldigen.
Andernfalls werde ich leider nie meinen
Urlaub am Tadsch Mahal verbringen, zum Boykott palästinensischen Obstes
aufrufen und die Botschaften von Tunesien, Katar und Bangladesch anzünden.
Denn - so viel Verständnis erwarte ich - meine Gefühle sind absolut und
darum global auszudrücken.
Ich bin beleidigt.
Auf Videos wird
Journalisten, Lkw-Fahrern oder Mitgliedern von Hilfsorganisationen die Kehle
durchgeschnitten oder der Kopf abgeschlagen. Juden sehen sich als Kannibalen
und Schweine dargestellt, westliche Frauen als dekadente Nutten.
Unpolitischen Ingenieuren wird Todesangst gemacht.
Alles im Namen Gottes.
Ich verlange also, dass alle Chefredakteure
von Zeitungen und Fernsehsendern in der islamischen Welt sich bei mir
entschuldigen, weil sie diese Obszönitäten nicht verhindern.
Viele Menschen sind nun besorgt, dass der
Kampf der Kulturen bevorsteht. Ach was, er ist längst da. Und er
manifestiert sich nicht nur von Zeit zu Zeit in den oben angeführten
Ungeheuerlichkeiten, er erfasst längst den Alltag.
Wie fragil, wie oberflächlich müssen die
religiösen Werte von Muslimen sein, wenn Karikaturen des Propheten in einer
unbekannten Zeitung eines kleinen europäischen Staates einen Sturm auslösen
und eine Handvoll organisierter Hetzer weltweit Abertausende auf die Straße
scheuchen können.
Der Witz, dass dem Propheten Mohammed im
Paradies die Jungfrauen ausgehen, weil so viele Selbstmordattentäter am
Eingang Schlange stehen, ist schwarz und gemein. Und angesichts der Realität
weltweiter Anschläge unerfreulich bildmächtig - ganz nebenbei.
Aber ich fand es auch nicht besonders komisch,
dass die frauenhassenden Taliban sich routiniert Prostituierter bedienten.
Oder Videorekorder und Fernseher öffentlich "hinrichteten", um privat sich
ganz gern Pornos reinzuziehen.
Zur Erinnerung. Die Erde ist keine Scheibe
mehr. Selbstverständlich können Individuen einer säkularen Demokratie
Autoritäten karikieren und verspotten, auch religiöse. Sie sollen sich auf
Kritik einstellen, aber nicht auf Bestrafung.
Die Meinungsfreiheit ist sehr groß zu fassen,
und es gibt hinreichende Gesetze und Regeln, Missbrauch zu verhindern, wo es
nötig wird.
Der Film "Leben des Brian" regte viele
Christen auf und provozierte Leserbriefe, Boykottaufrufe oder
Familienstreit. Aber niemand im fernen Neuseeland konstatierte eine
"Stimmungsmache" gegen das Christentum, niemand in Malta fühlte sich
berufen, den Union Jack zu verbrennen.
Auch politische Autoritäten haben kein
Naturrecht auf Schonung. Margaret Thatcher wurde von britischen
Journalisten, Komikern und Drehbuchautoren klein gehäckselt und garstig
wieder zusammengesetzt, und es war gut für die geistige Hygiene jener Zeit
und brachte niemanden um.
Man konnte ja abschalten, weggucken oder die
Zeitung in die Tonne kloppen. Meinungsfreiheit war der siamesische Zwilling
der Freiheit von Angst.
Dass Fundamentalisten aller Couleur frei von
jeglicher Fähigkeit zur Selbstreflexion, Selbstkritik oder gar Selbstironie
sind, wäre weiter nicht erwähnenswert, wenn sie ihre Herzensangelegenheiten
nicht mir und meiner Welt aufdrücken würden. Sie setzen voraus, dass
unsereins einen Kotau veranstaltet, weil einer von ihnen bekennt: "Achtung!
Religiöse Gefühle! Wir verlassen die Privatsphäre!"
Gefühle werden zunehmend in der
selbstreferentiellen Welt der Gottes-, Allah- oder Jahwekrieger zur Waffe
und zur letzten Instanz geadelt.
Allzeit abrufbar, gnadenlos.
Im Streit um die Cartoons wird behauptet, dass
der Bilderverbot ein verbindlicher Glaubensgrundsatz sei. Ubiquitär zu
respektieren, auch im Staate Dänemark.
Da macht es nachdenklich, dass die Beleidigten
zwar effizient mit Internet und anderen modernen Kommunikationstechnologien
umgehen, aber wenig über die eigene Kulturgeschichte wissen.
Ja, in der Blütezeit des Islam wurde der
Prophet tatsächlich abgebildet. Zum Beispiel Mohammed, zart verschleiert, zu
Pferd gen Himmel reitend - eine wunderbare persische Miniatur im
Chester-Beatty-Museum in Dublin.
Was nun, ferner Bärtiger? Irische Butter
boykottieren?
Ich muss mich nicht für die Verkaufszahlen
dänischer Joghurte interessieren. Darum bin ich nicht besonders erpressbar
und habe die Freiheit, Immanuel Kants "sapere aude" vielversprechender für
das Zusammenleben von Menschen zu finden als eine Fatwa.
Ich gebe es hiermit auf, Zartgefühl für ewig
Beleidigte zu empfinden. Ich gebe es auf, höflich zu argumentieren, warum
Meinungsfreiheit, Vernunft und Humor hochgehalten werden müssen. Ich will
Kreationisten nicht mehr wissenschaftliche Beweise vorlegen müssen, dass die
Erde älter als 10.000 Jahre ist.
Und ich warte nicht mehr darauf, dass es
bei al-Dschasira irgendwann einmal heißen wird: Kennen Sie den Witz mit dem
Bart des Propheten?
Sonia Mikich, 55, ist
TV-Journalistin
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mit Genehmigung des taz-Verlags
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