Moshe Zimmermann:
"Mit Netanjahu ist der
Friedensprozess tot"
Mit Scharons Abgang von
der politischen Bühne ist in Israel plötzlich möglich, was vor einer
Woche noch unmöglich schien: ein Sieg von Netanjahus Likud. Das wäre
fatal für den Nahen Osten, meint Moshe Zimmermann
Interview: Wolfgang Gast
taz: Herr Zimmermann, Israels
Premierminister Ariel Scharon wird nicht mehr auf die politische
Bühne zurückkehren. Was heißt das für den Friedensprozess im Nahen
Osten?
Moshe Zimmermann:
Das hat gravierende Folgen. Keiner der künftigen
politischen Schritte wird so mutig und engagiert sein wie unter
Scharon. Durch sein Charisma konnte er in den Bevölkerung selbst bei
überraschenden Maßnahmen wie dem Rückzug aus dem Gaza-Streifen mit
Unterstützung rechnen. Keiner seiner möglichen Nachfolger wird hier
an ihn heranreichen.
Scharon hat mit dem Austritt aus dem
Likudblock und der Gründung der neuen Partei "Kadima" die
Parteienlandschaft Israels verändert. Wie geht es nun weiter?
Die neue Partei Kadima war eine Antwort auf das
heillose Durcheinander im Likud. Scharon war zwar Führer der
Likudpartei, als Regierungschef war er im Parlament aber auf Stimmen
außerhalb des Likud angewiesen. Die eigene Partei opponierte gegen
Scharon. Deswegen ist er ausgetreten. Nicht zuletzt wollte er
beweisen: Ich kann es ohne diese Partei. Er wollte seinen früheren
Weggefährten aber auch zeigen: Wenn ihr so weitermacht, dann seid
nur eine Marginalie am Rande des politischen Geschehens.
Und welche Chancen hat Kadima nun
ohne Scharon?
Ohne ihn wird Kadima nicht wie erwartet im März
bei den Wahlen ein Drittel der Stimmen erhalten. Das Ergebnis wird
wesentlich schlechter ausfallen, schon 20 Prozent wären ein Erfolg.
Mit einem Mal hat der Likud unter Scharons Erzrivalen Benjamin
Netanjahu größere Chancen als noch vor wenigen Tagen erwartet. Es
wird aller Wahrscheinlichkeit nach nach den Wahlen drei etwa gleich
große Parteien geben: Kadima, den Likud und die Arbeitspartei.
Anders als von Scharon geplant, könnte es dann wieder zu einer
Regierung unter der Führung des Likud kommen, mit Netanjahu an der
Spitze. Es kann zu einer großen Koalition aller drei Parteien
kommen, möglich ist aber auch eine Koalition aus Kadima, der
Arbeitspartei und einigen der kleineren Parteien. Diese Vielzahl von
Optionen ist beinahe schon ein konstituierendes Merkmal der
israelischen Politik.
Im Konflikt mit den Palästinensern
steht Scharon für eine Politik der einseitigen Trennung. Die Abkehr
von der so genannten Roadmap für eine Friedensregelung hat er
zuletzt mit dem einseitigen Abzug aus dem Gaza-Streifen unter Beweis
gestellt. Steigen mit dem Abschied Scharons nicht die Möglichkeiten
für eine Rückkehr der internationalen Politik im Nahost-Konflikt?
Scharon verstand seine einseitige Politik durchaus
als einen Baustein der Roadmap. Und diese Politik war keineswegs so
einseitig, wie sie vielleicht aussah. Immerhin hatte Scharon die
Unterstützung von US-Präsident George W. Bush. Und indirekt waren
auch die Palästinenser an dieser Regelung beteiligt. Die kommenden
politischen Initiativen werden eine Fortsetzung dieser Tendenz sein
müssen. Denn Israel kann ohne den US-Präsidenten und Bush kann ohne
ein kooperierendes Israel beim Friedensprozess nichts bewegen. Das
wirkliche Problem ist aber: Sollte Netanjahu wieder an die Macht
kommen, wird die israelische Seite nicht einmal mehr einseitige
Schritte unternehmen, denn Netanjahu hängt immer noch der Idee von
einem Groß-Israel an.
Scharon gilt als Vater der
Siedlerbewegung, auch wenn er diese dann mit dem Rückzug aus Gaza
verprellte. Wie wird sich nun das Verhältnis der israelischen
Bevölkerung zu den religiösen Siedlern verändern?
Für die politische Landschaft Israels war die
große Umwälzung, dass ein Vertreter der politischen Rechten seine
Bereitschaft erklärte, auf Gebiete des heiligen Landes Erez Israel
zu verzichten, beziehungsweise Teile von Erez Israel vom
israelischen Militär räumen zu lassen. Das war ein herber Rückschlag
für die religiösen Kräfte auf dem rechten Flügel. Solange Scharon da
war, befanden sich diese Kräfte in der Defensive. Scharons Autorität
und sein Charisma konnten mit der Autorität der Religion
konkurrieren. Die große Frage wird werden, ob eine neue
Führungskraft so stark wie Scharon wird, um mit der messianischen,
religiösen und fundamentalistischen Idee von Groß-Israel
konkurrieren zu können, so wie sie von der Siedlerbewegung
propagiert wird.
Was bedeutet die zunehmende Anarchie
im Gaza-Streifen für eine Verständigung Israels mit den
Palästinensern?
Sie ist ein schwerwiegendes Hemmnis auf dem Weg
zum Frieden. Die Anarchie bereitet den Weg für die extremsten Kräfte
unter den Palästinensern. Und das führt wiederum dazu, dass in
Israel die Bereitschaft zum Kompromiss noch weiter zurückgeht. Der
Teufelskreis aus Terror und Gegenterror kann sich so weiter drehen
und intensivieren. Für den Friedensprozess ist das tödlich.
Abdruck mit freundlicher
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13-01-2006 |