Fatah räumt Niederlage ein:
Das vorläufige palästinensische Wahlergebnis
von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 26. Januar 2006
Der Mittwoch war ein "Fest der Demokratie". Doch am Donnerstag kam das
böse Aufwachen mit dem entsprechenden Kater danach. Optimisten reden von
einem Vorsprung der Fatah-Partei. Pessimisten sehen nur den Erfolg der
islamistischen Hamas. Schon stehen laut Presseberichten "moderate"
Hamas-Leute bereit, dem Friedensprozess neues Leben einzuhauchen, als ob der
"Friedensprozess" nicht schon vor fünf Jahren mit Ausbruch der Intifada
gestorben wäre.
Wahlbeobachter Christian Sterzing von der Böll-Stiftung in Ramallah
behauptet in einem Interview: "Hamas hat in den letzten Jahren eine
deutliche Mäßigung durchlaufen. Es gibt eben auch viele Äußerungen von
prominenten Hamas-Führern, die sagen, wenn wir in der Regierung sind, dann
sind wir auch bereit, mit Israel zu verhandeln." In den letzten fünf Jahren
hat die Hamas die Selbstmordattentate zu einer mörderischen wie zielgenauen
Waffe entwickelt und hunderte Israelis in den Tod geschickt. Systematisch
hat die Hamas zerstört, was die Osloer Verträge geschaffen haben.
"Gemäßigte" Hamas-Sprecher sind bereit, mit Israel über praktische Dinge zu
"verhandeln", ohne Israel anzuerkennen und ohne auf den Terror zu
verzichten, so Mahmoud Asahar.
Das Wahlergebnis zeigt, dass es in Palästina eine echte Demokratie gibt.
Krass ausgedrückt waren die Palästinenser bisher von einem Diktator (Arafat)
beherrscht, dessen gesamter Regierungsapparat von einer Einheitspartei
(Fatah) gelenkt wurde. Der Tod Arafats befreite sie von den Fesseln der
fortschrittlichen, sozialistischen, weltlichen, nationalistischen
Fatah-Partei.
Der Erfolg der Hamas ist weder "Rechtsruck" noch zunehmende Frömmigkeit.
Viele Palästinenser wählten Hamas aus Protest gegen die Fatah. Eine starke
Opposition im Parlament könnte der Korruption ein Ende setzen und entspräche
dem Ideal westlich orientierter Demokratien.
Wer Angst vor Hamas hat, weil das eine Terrororganisation sei, die den Staat
Israel zerstören wolle, ist auf dem linken Auge blind.
Die Fatah-Partei hat auf Platz eins ihrer Liste einen Mann gesetzt, der in
Israel im Gefängnis sitzt und rechtskräftig eine fünffache lebenslängliche
Haftstrafe wegen Mordes absitzt: Marwan Bargouti. So wie die Hamas über
einen "militärischen Arm" verfügt, unterhält die Fatah die ebenso
mörderischen El-Aksa Brigaden. Vier Jahre lang haben die mit der Hamas
gewetteifert, möglichst tödliche Attentate zu verüben. Auch das Motiv der
Zerstörung Israels ist der Fatah nicht fremd. Die PLO-Charta mit diesem
ausdrücklichen Ziel ist niemals annulliert, geändert oder ersetzt worden,
wie vertraglich abgesprochen. Die PLO-Charta mit allen Hetzparagrafen steht
bis heute im Original auf den Internetseiten der Autonomiebehörde und der
diplomatischen Vertretung der Palästinenser in Deutschland. In der
Zielsetzung von Fatah und Hamas gibt es keinen echten Unterschied. Während
Fatah ihren Weg mit abgedroschenen Phrasen aus dem Lexikon der Sowjetunion
rechtfertigt, Freiheitskampf, legitime historische Rechte, Revolution oder
Kampf der Massen, so begründet die Hamas ihre Mordtaten mit ebenso
abgedroschenen Begriffen aus der Theologie: Märtyrer, das Land von
Ungläubigen säubern, die Herrschaft der eigenen Wahrheit (Islam) sichern.
Das Problem der palästinensischen Gesellschaft liegt woanders. Es existiert
keine echte "Linkspartei", keine "Frieden-Jetzt-Bewegung" und keine
Initiative, die Terror aus moralischen Gründen verurteilt und wegen der
fatalen Folgen für die eigene Gesellschaft anfechtet. Israelische Politiker
und Parteien werden in gut oder schlecht, hardliner oder gemäßigt, rechts
oder links eingestuft, gemessen an ihrer Bereitschaft, Land abzutreten,
Jerusalem ganz oder teilweise aufzugeben. Doch bei den Palästinensern sind
Begriffe wie Kompromissbereitschaft, Entgegenkommen an Israel oder Verzicht
Fremdworte. Der Zustand der Besatzung allein liefert keine Entschuldigung
dafür, dass selbst Intellektuelle starr an einer Alles oder Nichts Haltung
festhalten, was Territorium, Siedlungen, Rückkehrrecht von Flüchtlingen und
anderen Streitpunkten festhalten.
Die Hamas gilt schon als "moderat", wenn da über eine Zweistaatenlösung
diskutiert wird. Die Fatah wurde aber weiterhin als "gemäßigt" eingestuft,
als sie schon mit der Intifada die Osloer Verträge außer Kraft setzte. Die
Hamas könne internationale Anerkennung nur erhalten, wenn sie auf des
Konzept des "bewaffneten Kampfes" aufgebe. Für Fatah war aber der
"bewaffnete Kampf" stets ein legitimes Mittel, solange die Besatzung bestehe
und Israel nicht allen Forderungen stattgegeben habe. Ehud Olmert äußerte:
"Ich werde keinen politischen Dialog mit einer (palästinensischen) Regierung
führen, die die grundlegendsten Verpflichtungen nicht respektiert und den
Terrorismus nicht bekämpft." Damit zitiert er, was Arafat schon in einem
Briefwechsel mit Jitzak Rabin vor den Osloer Verträgen unterschreiben musste
und was seither Punkt eins aller Friedensinitiativen ist, bis hin zur
Roadmap, der Wegekarte zur Erneuerung des Friedensprozesses.
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 26-01-2006 |