Der berühmt berüchtigte Mossad:
Die Debakel der israelischen Geheimdienste
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Nicht einmal der berühmt berüchtigte Mossad hat die
Fähigkeit, einen Autounfall vorherzusehen und seine Folgen zu prophezeien.
Genau das passierte aber an jenem 8. Dezember 1987. Da erhöhte ein weiterer
Autounfall die jährliche Statistik der Verkehrstoten. Vier palästinensische
Gastarbeiter waren sofort tot, als ihr Taxi mit einem Sattelschlepper der
israelischen Armee kollidierte, weitere wurden verletzt. Doch augenblicklich
gingen Gerüchte um, dass die israelische Armee gezielt den Sattelschlepper
eingesetzt habe, um Palästinenser zu ermorden. Die erste Intifada brach aus
mit flächendeckenden Demonstrationen Steine werfender Palästinenser.
Niemand hat diesen Ausbruch der Gewalt vorhergesehen.
Verteidigungsminister Jitzhak Rabin hielt sich in Washington auf und sah
keinen Grund, vorzeitig zurückzukehren. Selbst Palästinenserführer Jassir
Arafat, damals im Exil in Tunis, hatte keine Ahnung von den Vorgängen in den
besetzten Gebieten. Er benötigte ein ganzes Jahr, um per Fernlenkung die
Kontrolle über den Aufstand zu erlangen. Denn der spontane Volksaufstand war
damals nicht nur gegen die israelischen Besatzer gerichtet, sondern auch
gegen die PLO in Tunis, die sich ein schönes Leben mit Flügen in der ersten
Klasse gönnte, anstatt sich um die Nöte der Palästinenser unter der
Besatzung zu kümmern.
Gerade jetzt, wo die schon fast mythologischen Fähigkeiten
des Mossad in Deutschland dank dem Spielberg Film "München" ins Gerede
gekommen sind, müssen Israels Geheimdienste ein weiteres Debakel mit noch
unvorhersehbaren Folgen registrieren. Niemand, weder das Militär noch der
Geheimdienst, hatte den Wahlsieg der Hamas vorhergesehen. Auch die
palästinensischen Umfrageinstitute mussten eine schwere Niederlage
einstecken, weil die befragten Wähler nach abgegebener Stimme offenbar
gelogen haben, um nicht von Fatah-Leuten unter Druck gesetzt zu werden.
Nur der israelische Rundfunkreporter Avi Sacharow redet
seit Tagen über eine überwältigende Mehrheit für die islamistische Hamas.
Aufgebrachte israelische Radiohörer und seine palästinensischen Kontakte
bezichtigten ihn, im öffentlich rechtlichen Rundfunk Propaganda für die
Islamisten gemacht zu haben. Am Ende war dieser Reporter der Einzige, der
den Wahlsieg der Hamas als "Zeichen an der Wand" vorhergesehen hatte.
Gleichwohl wurde auch Sacharow überrascht. "Ein Wahlergebnis 76 zu 43
Mandaten zugunsten der Hamas hätte auch ich mir nicht vorstellen können. Das
ist in der Tat ein Tsunami, ein Erbeben oder wie sonst diese Revolution
unter den Palästinensern genannt wird", gestand Sacharov nach Bekanntgabe
des Wahlergebnisses. Auch er hätte sich nicht vorstellen können, dass die
Fatah, seit vierzig Jahren unangefochtener Machthaber unter den
Palästinensern, so erniedrigend geschlagen würde.
Zuvor schon hatten Israels Geheimdienste zahlreiche
Debakel hinnehmen müssen, weil sie an fixen Konzepten klebten und keine
Kritik zuließen. Der wohl schlimmste Fehler der Geheimdienste war deren
Unfähigkeit, die Kriegsvorbereitungen der Ägypter und Syrer 1973 korrekt zu
interpretieren. Am heiligsten jüdischen Feiertag, dem Jom Kippur
(Versöhnungstag) am 6. Oktober 1973, wurde die israelische Armee am
Suezkanal und auf den Golanhöhen mit "heruntergezogenen Unterhosen"
erwischt, wie es Historiker später beschrieben. Der Überraschungsangriff,
durch klassische Täuschungsmanöver der Sowjets getarnt, hätte dem jüdischen
Staat fast das Überleben gekostet.
Ein weiteres Debakel war der Ausbruch der zweiten
Intifada, einen Tag nach der "Provokation" von Oppositionsführer Ariel
Scharon auf dem Tempelberg in Jerusalem am 28. September 2000. Doch diesmal
stellt sich gemäß zahlreichen zuverlässigen Quellen heraus, dass
Geheimdienste und Militär sehr wohl über palästinensische Vorbereitungen zu
einem erneuten gewaltsamen Schlagabtausch informiert waren. Die Armee
trainierte und die Scharfschützen der Polizei waren schon drei Monate vor
Ausbruch dieser Intifada in höchste Alarmbereitschaft versetzt worden.
Diesmal war es die Regierungsspitze unter
Ministerpräsident Ehud Barak, die von der bevorstehenden fünfjährigen
Intifada mit 5000 Toten nichts wissen wollte. Barak glaubte offenbar
blindlings daran, mit den Palästinensern Frieden schließen zu können, indem
er in Camp David im Sommer 2000 bis an die Grenze der israelischen
Konzessionsbereitschaft ging. Barak weigerte sich, Arafats Willen
wahrzunehmen, gegen Israel einen erneuten Krieg zu führen, die so genannte
El Aksa Intifada. Beamte des israelischen Außenministeriums, die nach dem
Debakel von 1973 in einer Sonderabteilung dazu auserkoren waren, mit ihren
politischen Instinkten Versäumnisse der Geheimdienste auszuloten, reden
offen über fast alle Pannen der Vergangenheit.
Nur über das Versäumnis, die zweite Intifada rechtzeitig
zu erkennen und durch entsprechende Publizität oder diplomatischen Druck auf
Arafat zu verhindern, hüllen sie sich in Schweigen. Dabei dementieren sie
nicht, die Zeichen palästinensischer Vorbereitungen zu dem Waffengang
rechtzeitig beobachtet zu haben. Obgleich etwa tausend Israelis das
Versäumnis Baraks mit dem Leben bezahlten und tausende Krüppel wurden, kam
noch niemand auf die Idee, eine staatliche Untersuchungskommission zu
fordern wie nach anderen Versäumnissen des Geheimdienstes, dessen Ruf wohl
immer noch besser ist, als ihm gebührt.
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 29-01-2006 |