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Von Antisemitismus will keiner hören:
Black Music

Der missverstandene Entertainer und Schriftsteller Georg Kreisler sollte dringend wieder entdeckt werden.

Von Jörg Sundermeier
Jungle World 51 v. 21.12.2005

Wenn man in der U-Bahn ein Buch liest, auf dem Georg Kreisler abgebildet ist, kann es durchaus sein, dass man von älteren Damen und Herren angesprochen wird. Jüngeren dagegen sagt der Name Georg Kreisler selten etwas, mögen sie nun auch gern Tim Fischer sehen oder eine der neueren Punkrockversionen von Kreislers Liedern kennen.

"Mein Vater, ein Hotelportier, ging schwimmen einst im Wörthersee / Ich hab vom Strand gewunken, dabei ist er ertrunken / Mein Groß­papa, ein Gasthauskoch, bestieg einmal das Jungfernjoch / Und fiel, weil er dort schlief, ein paar Kilometer tief / Mein Bruder war ein Jäger, eine Großwildjagd macht Spaß / Ich hab einen Bettvorleger von dem Löwen, der ihn fraß / Mein bester Freund war Taucher, der schläft am Meeresgrund / Und trotzdem sagen die Ärzte, und trotzdem schreibt die Zeitung / Und trotzdem hört man überall: Sport ist gesund!"

Der Kabarettist, Chansonnier und Schriftsteller Georg Kreisler machte in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren Furore mit seinen Programmen, in denen er sich selbst und seine Gattin Barbara Peters am Klavier begleitete. Die beliebtesten Programme waren schöner Quatsch, gekennzeichnet durch schwarzen Humor, doch offensichtlich taten viele Songs niemandem weh. Gerade das machte sie so begehrt. "Schatz, das Wetter ist wunderschön / Da leid ich’s net länger zu Haus / Heute muss man ins Grüne geh’n / In den bunten Frühling hinaus / Jeder Bursch’ und sein Mädel / Mit einem Fresspaketerl / Sitzen heute im grünen Klee / Schatz, ich hab eine Idee / Schau, die Sonne ist warm und die Lüfte sind lau / Geh’ mer Tauben vergiften im Park!"

Kreisler selbst hat bis heute unter dem gelitten, was ihn berühmt gemacht hat. In der Biographie "Georg Kreisler gibt es gar nicht", die die Journalisten Hans-Jürgen Fink und Michael Seufert in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler erstellt haben, zeigt es sich, dass Kreisler stets versucht hat, als ein Künstler aufzutreten, dessen politische Überzeugung mit Schiller heißt: Ästhetik wirkt stärker als Parolen. Doch sein Publikum wollte anderes sehen. Und seine Regisseure, Intendanten und Labelbosse wollten dies ebenfalls.

Georg Kreisler wurde 1922 geboren und musste bald lernen, ein Jude zu sein. Seine Eltern, sagt er, hätten den in Österreich zum guten Ton gehörenden Antisemitismus so verinnerlicht, dass sie ihn auch gegen sich wandten. Sie kuschten, weil sie es für richtig hielten. Sie waren, sagt Kreisler, selbst Antisemiten.

Sein Vater war ein kleiner, biederer Rechtsanwalt, der sich für seinen Sohn wünschte, dass er etwas Anständiges werde. Daher sah er es mit Missfallen, dass der Junge, der den Ansprüchen seiner Eltern nicht genügte, plötzlich am Klavier Fortschritte machte und zu ersten Konzerten eingeladen wurde. Kreisler übrigens, der wenig übte, hält sein weithin gepriesenes Klavierspiel für nicht sehr gut, der außerordentlich selbstkritische Künstler weiß, was besser sein könnte.

Als die Familie nach vielen Schwierigkeiten 1938 aus Wien emigrieren kann, hat Georg bereits zu Genüge die Nationalsozialisten kennen gelernt. Und er hat sich gemerkt, wie schnell sich die Österreicher, die sich ja bis heute als "erste Opfer des Nationalsozialismus" gerieren, den neuen Machthabern an den Hals geworfen haben.

In den USA dann, in Hollywood, verändert sich sein Leben, denn plötzlich wird der blutjunge Mann der Ernährer der Familie, er kommt beim Film unter, arbeitet Chaplin zu, lernt Friedrich Hollaender kennen und dessen Tochter lieben, bringt Schauspielern die richtige Haltung am Klavier bei und schreibt nebenher kleine, freche Songs, etwa "Please shoot your husband", mit denen er durch die Bars tingelt. Sechs Songs nimmt er sogar auf, doch die Plattenfirma will diese Lieder nicht veröffentlichen, sie entsprechen nicht den US-amerikanischen Moralvorstellungen. Sie liegen nun, als seine ersten Aufnahmen, auf einer CD der Biographie bei. Nur durch einen Zufall blieben sie in einem Archiv erhalten.

Kreisler lernt in den USA das Hand­werk des Unterhalters am Klavier, er versteht, wie mit dem Publikum umzugehen ist, und er weiß den Markt einzuschätzen, doch schließlich verlässt er die Staaten, um in Österreich neu anzufangen. Der große Erfolg stellt sich in den USA nicht ein, überdies befürchtet der Künstler, auf die Bühnenfigur festgelegt zu werden, die er sich geschaffen hat. In Wien jedoch, so sagt man ihm, seien die Chancen größer.

Kreisler versucht sich zunächst mühsam an der für ihn zwischenzeitlich ungewohnt gewordenen deutschen Sprache, findet jedoch bald in sie zurück und verfügt – weil er Abstand zu ihr gewonnen hat – nun über ein außergewöhnliches Sprachgefühl. Seine "Everblacks", wie er seine einen sinistren Humor verströmenden Chansons später selbst nennt, finden bald ein großes Publikum, er selbst jedoch wird immer mürrischer. Sein Lied "Taubenvergiften" wollen die Zuschauer immerzu hören. Vom Antisemitismus, den er benennt, will jedoch keiner etwas wissen. Die Wiener, die er in seinen Liedern vorführt ("Wie schön wäre Wien ohne Wiener"), sind für sein Wiener Publikum immer die anderen, man selbst fühlt sich nicht betroffen. Arbeitet er an anderen Stoffen, nimmt man sie ihm nicht ab. Fernsehsender zieren sich, Opernhäuser behandeln ihn wie einen Debütanten. Lieder gegen Franz Josef Strauß finden in den Radiosendern keine Beachtung, Kommunisten hingegen echauffieren sich und pöbeln im Saal, wenn Kreisler auf der Bühne die Revolution eines Einzelnen dem Massenaufstand vorzieht.

Der Mann, den es immer zum Theater gezogen hat, schreibt eine Parodie auf das Drama "Andorra" von Max Frisch, da er in dem Stück antisemitische Züge entdeckt, doch die Parodie wird, obschon zunächst in Auftrag gegeben, abgelehnt. Andere Dramen, auch sie Auftragswerke, werden von den Intendanten empört zurückgegeben. Nur selten, etwa im Falle des Stücks "Heute Abend: Lola Blau", feiert Kreisler Erfolge, doch ist es seine mittlerweile dritte Ex-Ehefrau, die ihm die Urheberschaft an dem Stück streitig macht. Zugleich gibt sie sich, die im Dritten Reich als "arisch" galt, allerorten als Jüdin. Kreisler sieht sein Werk von einer "Arisierung" bedroht.

Dieses Misstrauen dem Publikum und den Theaterleuten gegenüber kann er nicht ablegen, zu Recht nicht. Im vergangenen Jahr schrieb er in einem Zeitschriftenartikel: "Hatten sich vorher Juden zu Christen gewandelt, so erklärten sich nach 1945 etliche ›Arier‹ zu Juden – oder wenigstens zu ›Halbjuden‹, manchmal auch nur zu ›Menschen jüdischer Abstammung‹, eine jüdische Großmutter genügte da schon. Auch sie taten es der Karriere wegen, denn siehe da, sie wurden in Talkshows und unzähligen Artikeln der deutschen Illustrierten zu willkommenen Gästen, schrieben Bücher über ihre Leiden in der Nazizeit und waren in der deutschen Unterhaltungsindustrie eine allseits beliebte Attraktion. Nach der alten Schauspielerregel, dass ein Zwerg keinen Zwerg spielen kann, sondern nur Schauspieler, ließ man auch in den Medien die echten Juden lieber von selbst ernannten spielen. Wo hätte man auch in der Schnelligkeit echte Juden hernehmen sollen, die so gut wie die unechten sprechen, singen und weinen konnten?"

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Eine soeben erschienene Biographie versucht nun, Kreisler ins rechte Bild zu setzen, doch die Autoren können dabei nicht recht verhehlen, dass sie selbst den Kabarettisten Kreisler interessanter finden. In ihrem Text verdeckt der Spaßmacher Georg Kreisler oft den ernsten Künstler Georg Kreisler. Daher lohnt es sich, statt nur zu seiner Biographie auch zu seinem Werk zu greifen, schließlich sind die Satiren, Romane, Liedtexte und Tonträger noch lieferbar. Sie zeigen Kreislers Kunst in aller Schärfe und Schönheit.

Hans-Jürgen Fink / Michael Seufert: Georg Kreisler gibt es gar nicht. Scherz Verlag, Frankfurt/M. 2005, 320 Seiten, 19,90 Euro.

Georg Kreisler: Leise flehen meine Tauben. Gesungenes und Ungesungenes. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2005, 320 Seiten, 8,95 Euro.

hagalil.com 03-01-2006

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