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Middle East Roundtable /
Edition 4 Volume 1
Eine israelische Sichtweise:
Noch eine Krise, vorübergehend abgewendet
Von Yossi Alpher
[ENGLISH]
Seitdem Israel Ost-Jerusalem 1967 erobert und kurz danach
die arabische Stadt und die umgebenden Dörfer annektiert hat, tut Israel mit
dem Slogan "geeintes Jerusalem, ewige Hauptstadt von Israel" so, als wäre
dies ein permanenter Zustand. Dementsprechend wurden jüdische Stadtteile
errichtet und ein Straßennetz über die Grüne Linie hinaus angelegt mit der
offensichtlichen Absicht, viele arabische Stadtteile Jerusalems
einzuschließen, sie von der Westbank abzuschneiden und aus ihnen
geographische und politische Enklaven zu machen. Die Mauer/der Zaun in
Jerusalem, von der Regierung bewilligt, ist gleichermaßen politisch als auch
sicherheitsbedingt motiviert und ist die zeitlich letzte Illustration dieser
Herangehensweise. In dieser Zeit
haben die verschiedenen israelischen Regierungen und Jerusalemer
Stadtverwaltungen praktisch nichts getan, um ihre gefangenen arabischen
Einwohner in das Gefüge des Landes zu integrieren. Im Grunde haben die
Behörden nie herausgefunden, was mit diesem Bevölkerungsteil zu tun ist.
Während seiner zehn Jahre als Bürgermeister von Jerusalem vor 2003 hat der
stellvertretende Ministerpräsident Ehud Olmert die 230.000
palästinensisch-arabischen Einwohner der Stadt ebenso vernachlässigt wie
schon sein Vorgänger Teddy Kollek.
Tatsächlich sind 39 Jahre nach dem Sechs-Tage-Krieg der soziale und
medizinische Vorteil und die Bewegungsfreiheit innerhalb Israels die
einzigen Merkmale einer israelischen Identität, die diese Bewohner besitzen.
Sie möchten auch nicht mehr haben: Der beste Indikator dafür, wo ihre Treue
liegt, ist ihre Ablehnung, an Gemeindewahlen teilzunehmen sowie die geringe
Anzahl von Anträgen auf volle Staatsbürgerschaft. (Nicht dass Israel sie
jemals dazu ermutigt hätte.) Das Resultat ist, dass das aus menschlicher
Sicht alles andere als ein permanenter Zustand ist.
Israel hat diese Realität faktisch eingesehen, als es mit dem
Oslo-Abkommen das Wahlrecht der palästinensischen Bewohner von Jerusalem bei
Wahlen der PA anerkannte. Seit jener Zeit, innerhalb von mehr als einem
Jahrzehnt, wurde einer zunehmenden Anzahl von Politikern und einem immer
größer werdenden Teil der israelischen Gesellschaft mehr und mehr die
demographische Bedrohung der jüdischen und demokratischen Beschaffenheit
Israels bewusst, eine Bedrohung, die durch die Besetzung der Westbank und
des Gaza-Streifens hervorgerufen worden ist. Auf der Suche nach Wegen, sich
aus palästinensischen Bevölkerungszentren zurückzuziehen, schlagen immer
mehr Politiker des Mainstream, so auch Olmert, Möglichkeiten vor, wie der
Begriff "geeintes Jerusalem" neu definiert werden könnte, so dass vom
arabischen Jerusalem so wenig wie möglich dazu gehört.
Alle diese Widersprüche israelischer Politik flossen in die
aktuelle Streitfrage der palästinensischen Wahlen mit hinein. Olmert, der in
die Position des wichtigsten israelischen Entscheidungsträgers gestoßen
worden ist, traf seine erste Entscheidung, indem er Sharons Diktum umkehrte
und den Jerusalemer Palästinensern die Erlaubnis gab, wieder an
palästinensischen Parlamentswahlen teilzunehmen. Dies geschah unter
amerikanischem Druck und durch seine Anerkennung der bisherigen Wahlen von
1996 und 2005, aber auch aus Furcht, Israel könnte für eine eventuelle
Entscheidung von palästinensischer Seite, die Wahlen zu verschieben,
verantwortlich gemacht werden. So wurde
noch eine Jerusalem-Krise abgewendet, wenn auch nur vorübergehend. Mit den
näher rückenden Wahlen in Palästina und Israel ist das zurzeit das Beste,
was getan werden konnte. Doch da ist
eine weit größere Krise in Bezug auf Jerusalem, die den Funken ins
Pulverfass werfen könnte. Die Mauer/der Zaun schafft für hunderttausende von
Menschen eine unerträgliche Situation, indem die palästinensischen Bewohner
von Jerusalem von der angrenzenden Westbank getrennt werden. Diese Situation
kann, wenn sie nicht geändert wird, sehr leicht in große Gewalt ausarten:
eine dritte Intifada, konzentriert auf Jerusalem.
Es gibt zwei mögliche Wege aus dieser tragischen Situation:
der eine ist israelisch, der andere palästinensisch.
Angenommen Olmert wird der nächste Ministerpräsident von
Israel, dann sollte er einen so großen Teil des arabischen Jerusalem wie
möglich in jene Gebiete mit einbeziehen, aus denen er in der nächsten Phase
einen Rückzug plant, sei es durch Verhandlungen oder auf dem
wahrscheinlicheren unilateralen Weg. Entsprechend sollte dann die Mauer/der
Zaun so verschoben werden, dass arabische und jüdische Gegenden voneinander
getrennt werden, das wäre die logische Trennlinie für eine Barriere, deren
Absicht eine physische als auch demographische Sicherheit ist, und deren
Standort zwangsläufig politisch assoziiert wird. Das wird nicht alle die
schwierigen religiösen/politischen Fragen zum Tempelberg/Haram al-Sharif,
zur Altstadt (die sowieso eine Mauer um sich herum hat) und zum Heiligen
Becken lösen, dazu muss Israel eine ausgehandelte politische Lösung des
Konflikts finden. Wenn das nicht
passiert, wäre es an der Zeit für die palästinensischen Jerusalemer zu
handeln: nicht durch Gewalt, sie würde im Sinne der Mehrheit der jüdischen
Bevölkerung der Stadt und deren Behörden brutal unterdrückt werden, aber
wiederum durch das Wählen, dieses Mal bei einer israelischen Wahl. Die
Jerusalemer Araber, die fast 40 % der Bevölkerung der Stadt ausmachen,
sollten sich bei den nächsten Gemeindewahlen mit der eindeutigen Absicht
beteiligen, Israel zeigen zu wollen, dass es besser dran ist ohne das
arabische Jerusalem, dass Israels falsch definierte historische und
politische Hauptstadt in Gefahr ist, rechtmäßig übernommen zu werden
(vielleicht in Koalition mit Jerusalems nicht-zionistischen ultra orthodoxen
Juden) von einer grundsätzlich feindlich gesinnten Bevölkerung, die Israel
unbedingt gefangen halten möchte. Dies
könnte der einzige Weg sein um sicherzustellen, dass Israels Hauptstadt
jüdisch und demokratisch bleibt. *
Yossi Alpher ist Mitherausgeber von bitterlemons.org und
bitterlemons-international.org. Er ist ehemaliger
Direktor des Jaffa Center for Strategic Studies an der Universität von Tel
Aviv und war Berater des früheren
Ministerpräsidenten Ehud Barak.
Übersetzung: K.Badr [ENGLISH]
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hagalil.com 22-01-2006 |