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Middle East Roundtable /
Edition 3
Eine palästinensische Sichtweise:
Schwächung des Friedenslagers
Von Ghassan Khatib
[ENGLISH]
Jerusalem ist immer ein sehr bedeutender Faktor im
palästinensisch-israelischen Konflikt gewesen und steht oft im Mittelpunkt
der größeren Entwicklungen in der Beziehung beider Seiten zueinander.
Zurzeit ist Jerusalem eine der strittigsten Fragen, die das Abhalten von
freien und demokratischen palästinensischen Parlamentswahlen zum Scheitern
bringen könnte. Die Jerusalem-Frage
steht in den Programmen der palästinensischen Kandidaten an erster Stelle.
Der Wunsch, die militärische Besatzung Ost-Jerusalems zu beenden, ist sehr
tief in den Herzen und Gedanken der palästinensischen Öffentlichkeit
verankert. Jetzt, da die Palästinensische Autonomiebehörde die Wahlen so
weit vorbereitet hat, dass es kein Zurück mehr gibt, würde sie vor große
Schwierigkeiten gestellt werden, würde Israel sich gegen Wahlen in der Stadt
entscheiden. Israel, das direkte Kontrolle über alle Aspekte des
palästinensischen Lebens in Jerusalem ausübt, nutzt diese Tatsache und deren
Wirkungskraft als Druckmittel gegen die Palästinenser.
Die offiziellen Gründe für die israelische Drohung, die
Wahlen in Jerusalem zu untersagen, sind zum einen die israelische Position,
dass Ost-Jerusalem annektiert und Israel angegliedert worden sei, deswegen
will man den rechtlich und international anerkannten Status von
Ost-Jerusalem als "militärisch besetzt" nicht akzeptieren. Zum anderen
spielt die Tatsache eine Rolle, dass einige der palästinensischen Kandidaten
Israel nicht anerkennen, so auch nicht die Friedensabkommen zwischen beiden
Seiten. Der eigentliche Grund jedoch
ist ein anderer. Israel benutzt dieses Druckmittel, um hinter den Kulissen
und über Dritte indirekt mit Hamas zu verhandeln. Da Hamas sehr darauf
erpicht ist, an diesen Wahlen teilzunehmen, und da einige Mitglieder der PA
und Fatah die israelische Haltung als Vorwand dafür benutzen könnten, die
Wahlen abzusagen oder sie zu verschieben, benutzt Israel diesen Punkt für
Verhandlungen mit Hamas mit dem Ziel, dass der Abschuss von Raketen vom
Gaza-Streifen aus gestoppt wird. Doch
trotz der kürzlich bekannt gegebenen Zulassung der Wahlen in Jerusalem
untersagt Israel bis heute den Kandidaten und Wahlwerbern aus Jerusalem oder
aus anderen Teilen der palästinensischen Territorien, in Ost-Jerusalem ihren
Wahlkampf zu führen. Palästinenser, die
nicht in Jerusalem wohnhaft sind, die aus Gaza und auch aus der Westbank
kommen, dürfen nicht einmal Jerusalem betreten, um Wahlwerbung zu treiben.
In einigen Fällen ist Israel auch im Umgang mit Jerusalemer Kandidaten recht
kritisch, nicht nur wenn es sich um Kandidaten der Hamas handelt, und das
ist nicht gerade vorteilhaft. Die
Ironie ist hierbei – unklar ist, ob sie auf allen politischen Ebenen in
Israel wahrgenommen wird - dass sich die Haltung Israels in Bezug auf die
Frage der Wahlen in Jerusalem und die entsprechende Handlungsweise, sich für
die palästinensische Opposition, und dabei hauptsächlich für Hamas, günstig
auswirkt. Erstens muss gesehen werden,
dass die Diskriminierung von Hamas und von oppositionellen Kandidaten oder
die Verhinderung eines Wahlkampfes in Jerusalem mit der Begründung, dass
Hamas an den Wahlen teilnimmt, dazu führt, dass Hamas herausgehoben wird und
ihr dadurch um so mehr Unterstützung von der Öffentlichkeit zugeteilt wird.
Zweitens wird die Tatsache, dass die PA nicht fähig ist, das Recht ihrer
Bürger auf Beteiligung an Wahlen in Jerusalem zu garantieren, als Schwäche
aufgefasst. Eine der möglichen Folgen könnte eine geringe Wahlbeteiligung
der Menschen in Ost-Jerusalem sein. Das wird dann voraussichtlich auch für
die moderaten Parteien von Nachteil sein.
Doch das entspricht der Haltung und Handlungsweise Israels
schon während des vergangenen Jahres, aufgrund derer die öffentliche Meinung
über die PA und die moderate Führung von Präsident Mahmoud Abbas negativ
beeinflusst wurde. Eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse zum Vorteil von
Hamas und der Opposition, die durch die Wahlergebnisse eintreten könnte,
kann dann zumindest teilweise Israels politischer Linie angelastet werden.
Egal ob beabsichtigt oder nicht, hat Israel mit ihr kontinuierlich das
Friedenslager in Palästina geschwächt und unterminiert.
* Ghassan Khatib ist Mitherausgeber von bitterlemons.org
und bitterlemons-international.org Er ist Arbeitsminister der PA und
Planungsminister. Khatib ist seit vielen Jahren politischer Beobachter und
Kontaktperson für die Medien.
Übersetung, Red.: K. Badr [ENGLISH]
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hagalil.com 22-01-2006 |