Terrorismus besiegen:
Kunst als Überlebenshilfe
Von Martin Jander
Die Fotografin Shirley Barenholz ist überzeugt: "Man kann auch aus einer
belastenden Vergangenheit positive Energie für ein Weiterleben gewinnen."
Vom 27. Januar bis zum 5. Februar 2006 zeigt die ifa-Galerie in Berlin ihre
mehrteilige Videoinstallation "Open Eye – Open I".
Wer sich dieser leider nur für wenige Tage in Berlin gezeigten
Videoinstallation aussetzt, durchlebt auch Stunden danach fortwirkende
Schockwellen. In ihrem Zentrum steht eine an die Wand projizierte
Fotodokumentation, in der Shirley Barenholz die Genesung von Kinneret Chaya
Boosany zeigt, die am 30. März 2002 bei einem Bombenanschlag auf ein Cafe in
Tel Aviv fast ermordet worden wäre. Die Fotos dokumentieren die
verschiedenen medizinischen Therapiestationen der Überlebenden, ihre
Verzweiflung aber auch die Hilfe ihrer Freunde und ihre mentale Genesung.
Shirley Barenholz rückt mit ihren Fotos den Betrachter sehr nahe an das
Schicksal der Überlebenden heran.
Kinneret in therapy, revalidation-center Sheba hospital,
Tel Aviv, November 2002
Einen zweiten Teil dieser Videoinstallation bildet ein Videofilm von
Kinneret Chaya Boosany selbst, der - im Stil eines japanischen Manga-Komiks
- das Attentat und ihre Genesung beschreibt. Der Anschlag - sagt die
Überlebende bei der Ausstellungseröffnung - und ihre Wiedergenesung waren
ein ganz persönlicher Lernprozess, der jedoch verallgemeinerungsfähig sei.
Wenn man fast alles verliere, freue man sich auch über die allerkleinsten
Dinge. Kunst habe ihr die Chance eröffnet, ihre Ausdrucksfähigkeit,
letztlich sich selbst wieder zu finden.
Einen dritten Teil der Videoinstallation bildet ein Pilotfilm von Shirley
Barenholz, der Teile aus einer gerade entstehenden Dokumentation - mit dem
Titel "Where home is" - präsentiert. Er beschäftigt sich damit, wie
Überlebende der zweiten Generation, mit den von ihren Eltern an sie
weitergereichten Erfahrungen des nationalsozialistischen Terrors weiterleben
und wie sie aus diesen Erfahrungen trotzdem die Energie für ein erfülltes
Leben schöpfen können. Shirley Barenholz selbst gehört zu dieser zweiten
Generation der Überlebenden. Ihr Vater hat ein nationalsozialistisches
Konzentrationslager nur knapp überlebt.
Einen ganz wesentlichen Teil der Installation bildet ein Gedicht von Nava
Semel aus der Sammlung mit dem Titel "The Courage to be afraid". Es heißt
"To the Terrorist":
Think
about me having
A father and mother
And a little brother and a sister
Just like you.
Think
about how happy they were
when I was born
and how they
wanted only the
best for me
just like you.
Think
that somewhere in the world
Love and a family await me
just like you.
Think
about all that –
before you blow yourself up.
Man wird schwerlich eine Darstellung des gegenwärtigen antijüdischen Terrors
finden, dokumentiert von einer Überlebenden der zweiten Generation, die so
erschüttert und doch Mut macht. "Nein" - so protestiert Shirley Barenholz
gleich bei der Eröffnung - sie spreche nicht von "Opfern" sondern von
"Überlebenden". Sie sei vor allem daran interessiert zu verstehen, wie man
sich aus einer schrecklichen Verletzung befreien könne, wie man es
überwinden könne Opfer zu bleiben. Die Arbeit bildet eine Fortsetzung, die
Barenholz mit dem Fotoband "Kinderen van de Hoop" (Kinder der Hoffnung)
begann, der den Umgang 12 israelischer Überlebender der 2. Generation mit
der Shoa schildert. Sie habe längere Zeit auch im Nachrichtenjournalismus
gearbeitet erklärt die Fotografin, aber sehr rasch herausgefunden, dass dies
nicht ihr eigentliches Metier sei. Sie sei eher an den Geschichten
interessiert, die hinter den Nachrichten verschwinden.
Die Ausstellungsmacher der ifa-Galerie interpretieren das Anliegen der
Künstlerin etwas freihändig. Sie haben die Videoinstallation von Bahrenholz
in eine größere Videoinstallation mit dem Titel >(er-)schrecken<
eingebettet, die, verteilt auf verschiedene Monitore in den
Ausstellungsräumen, viele Aspekte des gegenwärtigen und vergangenen nicht
nur antijüdischen Terrors zeigt. Auf den Monitoren der Galerie laufen Filme,
die sich mit Aspekten des israelisch-palästinensischen Konflikts, mit dem
erneuten Erstarken des islamischen Fundamentalismus in Pakistan, dem
Bildungswesen in Afghanistan nach dem Ende der Taliban-Herrschaft und der
Situation von Flüchtlingen aus Tschetschenien in Europa beschäftigen. Ihr
Anliegen sei es, so die Leiterin der Galerie Frau Dr. Barbara Barsch, zu
zeigen, dass Gewalt und Terror keine Mittel zur Lösung politischer,
ethnischer, sozialer und anderer Probleme sein könnten, auch der Kampf gegen
den Terrorismus habe vollkommen versagt. Man wolle Terror aus der
"Opferperspektive" zeigen. Die Videoinstallation von Shirley Barenholz wird
damit in den Kontext des weltweiten Terrors gerückt. Diese Präsentation
konterkariert den ganz persönlichen Blick von Shirley Barenholz.
Die Ausstellung ist an allen Tagen der Woche außer Montags von 14 – 19 Uhr
geöffnet. Die
Galerie bietet zum Thema "Terror" eigene Führungen und Workshops an.
Darüber hinaus läuft ein sich regelmäßig wiederholendes Filmprogramm,
jeweils um 14 Uhr der Film "Fremder Freund" (Deutschland 2003), um 15.45 Uhr
"Osama" (Afghanistan, Japan, Irland 2003) und um 17.15 Uhr "Die innere
Sicherheit" (Deutschland 2000).
Am 2. Februar findet in der Galerie darüber hinaus ein Podiumsgespräch zum
Thema >(er-)schrecken< statt, an dem neben der Leiterin der Galerie Heide
Simon (zivik), Jenny Friedrich-Freksa (ZfK), Dr. Gerhard Haupt und Pat
Binder (universes in univers), Peter Klentzan (Wings of Hope Deutschland)
und Abbas Khider (irakischer Autor) teilnehmen werden. Die Moderation
übernimmt Margit Miosga (rbb-Kulturradio).
Wer die sehr sehenswerte Ausstellung nicht besuchen kann, sollte sich
wenigstens die Fotodokumentation von Shirley Barenholz über die Genesung von
Kinneret Chaya Boosany im Internet ansehen. Er findet sie unter der Rubrik
"New Projects" auf der
Website der Fotografin.
Dr. Martin Jander
arbeitet als Historiker und Journalist in Berlin. Informationen zu seinen
Veröffentlichungen, Seminaren und Stadtrundgängen findet man unter
www.unwrapping-history.de. |