Onkologisches Zentrum:
In Augusta Viktorias Keller strahlt es
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
"Vorsicht Strahlung" steht an jeder zweiten Tür im Keller
des Augusta Viktoria Hospitals auf Jerusalems Skopusberg. Gleich nebenan ist
Jesus in den Himmel gefahren. Kaiser Wilhelm II ließ dort eines der
unübersehbaren imperialistischen Wahrzeichen Jerusalems errichten.
Barbarossa, König Friedrich und Kaiser Wilhelm II als Stifter sind an die
Decke gemalt. Die Kirche und das angeschlossene Hospiz widmete Deutschlands
letzter Kaiser seiner Gattin Augusta Viktoria.
Die Bundesrepublik stiftete hier eine lineare Bestrahlungsmaschine im Wert
von etwa zwei Millionen Dollar für palästinensische Krebspatienten.
Das Hospiz, 1910 fertig gebaut, wurde 1917 Opfer eines britischen
Fliegerangriffs und 1920 der Amtssitz des britischen Gouverneurs von
Palästina. 1927 verursachte ein Erbeben schwere Schäden. 1930 richteten die
Kaiserswerther ein Hospital ein. Doch schon 1937 beschlagnahmten die Briten
das Gelände. 1939 bricht der 2. Weltkrieg aus und die Augusta Viktoria
Stiftung wird Hauptquartier der britischen Armee in Palästina. Seit 1950
betreibt die UNO-Flüchtingshilfe-Organisation für Palästinenser (UNRWA)
darin ein Hospital.
Augusta Viktoria lag nach dem Unabhängigkeitskrieg Israels 1949 auf
jordanischem Territorium. Gleichwohl, um es "nach den Wirren des Zweiten
Weltkriegs vor den Juden zu schützen", wie das die Leiterin der
Überseeabteilung des Kirchenamtes der EKD (Evangelische Kirche
Deutschlands), Cornelia Coenen-Marx, bei einer Pressekonferenz formulierte,
wurde das Hospiz samt Kirche dem Lutherischen Weltbund übergeben. Eine
Rückgabe des vor deutscher Geschichte triefenden Geländes an die bis heute
aktive kaiserliche "Augusta-Viktoria-Stiftung" verbietet sich wegen
prohibitiver israelischer Steuerauflagen bei einem "Grundstücksverkauf".
Gleichwohl empfindet Deutschland eine "tiefe emotionale Bindung", wie das
ein deutscher Diplomat bei der Einweihung der onkologischen Klinik für
palästinensische Krebspatienten ausdrückte.
Der Beschluss, auf Jerusalems Skopusberg, der Fortsetzung des biblischen
Ölbergs, die Behandlungszentrale für alle Krebspatienten aus dem
Gazastreifen und dem Westjordanland einzurichten, fiel 1997. Damals
herrschte noch Friedenseuphorie infolge der Osloer Verträge. Gleichwohl gab
es schon israelische Reisebeschränkungen für Palästinenser aus den
Autonomiegebieten. Selbst Krebskranke konnten die israelischen Hospitäler
Hadassa in Jerusalem und Tel Haschomer bei Tel Aviv nur mit
Sondergenehmigungen erreichen. Seit Ausbruch der Intifada im September 2000
wurde es auch für "humanitäre Fälle" immer mühseliger, die Sperren zu
überwinden.
Wieso wurde also beschlossen, dennoch die einzige onkologische Klinik für
Palästinenser der autonomen Gebieten ausgerechnet im israelischen Jerusalem
einzurichten? Die Antwort fällt unterschiedlich aus, je nach dem, wen man
fragt. "Selbstverständlich aus politischen Gründen, um der Welt zu zeigen,
dass Jerusalem uns gehört," sagt eine muslimisch-palästinensische
Krankenschwester mit eng ansitzendem Kopftuch. Sie führt den einzigen
Journalisten, der einer Einladung der bundesdeutschen Repräsentanz in
Ramallah Folge geleistet hatte, zu den Strahlungsmaschinen und erzählt von
ihrer zehntägigen Ausbildung in Regensburg. "Das ist ein deutscher Beitrag,
damit Jerusalem die Hauptstadt Palästinas werde", sagt ein deutscher
Diplomat der Botschaft Tel Aviv. "Auch wenn es heute eine Wirklichkeit ist,
dass Patienten nur unter Schwierigkeiten nach Jerusalem gelangen können,
bedeutet das nicht, dass wir diese Wirklichkeit anerkennen und akzeptieren."
Die Krankenschwester gesteht, dass immer wieder Krebspatienten wegen der
Sperren ihre lebenswichtige Behandlung verpassen. Der Diplomat aus Tel Aviv
übergeht die Frage, ob die Statusfrage Jerusalems auf dem Rücken von
Krebskranken ausgetragen werden sollte. Er behauptet, dass es in Ramallah
keine "Infrastruktur" für Bestrahlungsmaschinen und Computer gebe. Ein
Diplomat der Ramallah-Repräsentanz meint hingegen, dass es an "menschlicher
Infrastruktur" mangele, weil die palästinensische Behörde kein
Onkologie-Personal ausgebildet hätte.
Das Augusta Viktoria Hospital "pfeift zudem auf dem letzten Loch", weil seit
Einrichtung der Autonomie 1993 die eigentlichen "Kunden", palästinensische
Flüchtlinge, ausbleiben. Der UNRWA fehlen so die Gebühren, das Hospital mit
500 Betten und 1000 Beschäftigen zu betreiben. Augusta Viktoria als
spezialisiertes onkologisches Zentrum bedeute auch Hoffnung, wieder schwarze
Zahlen zu erwirtschaften.
Im Rittersaal unter dem preußischen Adler und Wappen des Kaisers Wilhelm II
dankten die palästinensischen Redner der Bundesrepublik für die Spende, den
Gesundheitsministerien Israels und Palästinas für die Genehmigung und
israelischen Ärzten für die enge Kooperation. Einige Doktoren mit der Kipa
frommer Juden auf dem Hinterkopf waren zu der Zeremonie erschienen. Die
versammelten palästinensischen Onkologen begrüßten sie auffällig herzlich,
während Bischof Mounib Younan in einer arabischen Rede immer wieder die
Schlagworte Abu Amar (Arafat), El Kuds (Jerusalem), Falastin (Palästina) und
Haram Esch Scharif (die muslimische Bezeichnung des Tempelberges) fallen
ließ. © Ulrich W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 03-01-2006 |