MEMRI Special Dispatch – 17. Januar
2005
Atomakte geht an den UN-Sicherheitsrat:
Kritik aus dem Iran
Die iranische Atomakte wird den
UNO-Sicherheitsrat beschäftigen. Offenbar soll die Internationale
Atomenergie-Behörde auf Antrag der drei EU-Staaten Deutschland,
Frankreich und Großbritannien eine entsprechende Resolution vorbereiten.
Nicht nur die USA und die EU-Troika befürchten, dass der Iran das Ziel
verfolgt eine Atombombe zu bauen. Auch IAEA-Chef Mohammed Al-Baradei
zufolge ist der Iran nur noch wenige Monate von der Fertigstellung einer
Atombombe entfernt. Baradei schließt inzwischen sogar die Anwendung von
Gewalt nicht mehr aus, um den Iran am Bau von Atomwaffen zu hindern.
Die iranischen Reaktionen auf den
europäischen Vorsprung sind eindeutig. Reformislamisten und Hardliner
sind sich darin einig, dass der Iran ein Recht auf das
Urananreicherungsprogramm hat. Beklagt wird, dass der Westen das
internationale Recht missachte und das iranische Programm aus
politischen Gründen nicht akzeptiert. Die iranische Regierung und die
Medien hoffen nun auf das Veto Chinas, das sich gegen ein Vorgehen der
anderen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates stellen könnte.
Im folgenden dokumentieren wir die Kritik
aus dem Iran an das Einschalten des UN-Sicherheitsrates.
Zusammengefasst und übersetzt von
Wahied Wahdat-Hagh*
Ein Meinungsbild verschiedener
islamistischer Schattierungen
Im folgenden sind Äußerungen verschiedener
Politiker, Wissenschaftler und Journalisten dokumentiert, die sich am
13. Januar 2006 in diversen Berichten der Nachrichtenagentur ISNA zu
Wort gemeldet haben:
Der iranische Präsident, Mahmoud
Ahmadinejad hat erneut den "friedlichen Charakter des iranischen
Atomprogramms" hervorgehoben: "Wir wollten und wollen keine Atomwaffen
und sind gegen die Atomwaffenindustrie der Großmächte. Wir sind der
Überzeugung, dass ihre Rüstungsindustrie den Weltfrieden gefährdet, sie
hingegen sind der Meinung den Weltfrieden zu schützen. Wir wissen aber,
dass sie lügen."
Der hierzulande als pragmatischer
Politiker bekannte Hasemhi Rafsanjani trug als Vorsitzender der
"Versammlung zur Erkennung der Staatesinteressen" die Position seines
Gremiums, in dem auch Ex-Präsident Mohammad Khatami und Ali Akbar
Velayati sitzen, vor und führte dabei die Hauptursache für die
politischen Reaktionen der EU auf den "Neokolonialismus" zurück: "Die
Hauptgrundlage der Feindseligkeiten gegen den Iran ist ein Beweis für
ihr koloniales Bewusstsein. Sie wollen, dass insbesondere die Islamische
Republik Iran zurückbleibt und keine Fortschritte auf dem Gebiet der
modernen Wissenschaften macht. [...] Wir haben entschieden ihre
Drohungen nicht zu berücksichtigen. Wir müssen uns nur immer wieder
vergegenwärtigen, dass sich der Klerus in den historischen Krisenzeiten
immer gegen Regierungen, die gegen uns Gewalt anwenden, gewehrt hat und
für den Sieg des Islam Widerstand geleistet hat."
Verschiedene iranische Politiker fühlen
sich von den europäischen Reaktionen diskriminiert:
Hussein Seyyedabadi, Vorsitzender der
Faktion der Osulgaran, der konservativen Prinzipientreuen, sprach
gegenüber der ISNA von einer "atomaren Apartheidpolitik, welche die drei
europäischen Staaten unter amerikanischem Schutz gegenüber Iran
betreiben" würden.
Mohammad Salamati, Mitglied der linksislamistischen Organisation der
Mujahedin der islamischen Revolution ist ähnlich wie sein
rechtsislamistischer Kollege der Meinung, dass die Europäer die Welt
"völlig unbegründet" gegen den Iran aufwiegeln wollen: "Sie wollen um
jeden Preis versuchen, andere Staaten davon zu überzeugen, Druck auf den
Iran auszuüben."
Der iranische Wissenschafter Abbas Saliminamin vermutet gar die
"Zionisten" hinter der westlichen Politik gegenüber Iran. Als
Vorsitzender des "Studienbüros zur Erforschung der iranischen
Gegenwartsgeschichte", ist er der Meinung, dass die "Westler nicht
wollen, dass eine multipolare Welt entsteht, in der der Iran eine
bevorzugte Stellung hat. Die Westler stehen stets unter dem Einfluss der
zionistischen Lobbies, die nie dafür sein werden, dass die Macht der
islamischen Staaten wächst."
Auch der reformislamistische Sozialwissenschaftler Mashallah Shamsolwaezin
kritisierte die Vorgehensweise der EU-Troika: "Europa hat überhaupt
keine rechtliche Grundlage für das Einschalten des Sicherheitsrates.
Europa und Amerika sagen, sie hätten Angst, dass Iran Uran anreichern
und die Atombombe erlangen könnte. Dabei wollen sie nicht, dass die
Forschungsarbeiten über das Brennmaterial fortgesetzt werden. Ich bin
mir sicher, dass Europa und der Iran noch viele Möglichkeiten des
friedlichen Dialoges vor sich haben. [...] Der Westen und Amerika müssen
wissen, dass sich ,- wenn sie sich in Richtung Sicherheitsrat
entscheiden,- neue Fronten für den Ausstieg des Iran aus dem NPT-Vertrag
und seine freiwillige Mitgliedschaft auftun werden."
Und die studentische Organisation der
Bassiji, die ansonsten eher aktiv wird, wenn es gegen die Freiheit der
Jugend und Frauen geht, forderte in Teheran die "Freiheit für alle
Aktivitäten, die mit dem Anreicherungsprogramm und Schlüsselaktivitäten
des Atomprogramms zusammenhängen."
Der Vorsitzende der Kommission der nationalen Sicherheit und Außenpolitik
des Majless, Alaoldine Borujerdi, betonte: "Die Islamische Republik Iran
hat immer wieder betont, dass unlogische Forderungen nicht akzeptiert
werden." [1]
Auch das iranische Außenministerium hat
laut der reformislamistischen Zeitung Sharq die Entscheidungen der
EU-Troika kritisiert. In einer Erklärung schrieb das Ministerium, dass
ausgerechnet die "Länder, die selbst die Atomenergie nutzen und die
größten und schrecklichsten Rüstungsindustrien besitzen, nun einseitig
unter Drohungen und mit Druck dem Iran falsche Vorwürfe machen." Die
iranischen Atomaktivitäten würden innerhalb des NPT-Vertrages unter
Aufsicht der IAEA fortgesetzt werden. Man habe mit den Aktivitäten auf
dem Gebiet des geschlossenen Atomkreises, d.h. der Urananreicherung,
noch gar nicht begonnen. Iran sei weiterhin für Verhandlungen mit der
Europäischen Union offen. Weiter heißt es in der Erklärung: "Die
Islamische Republik Iran möchte daran erinnert, dass gegenwärtig ein
großer Teil des friedlichen iranischen Atomprogramms im Rahmen des
NPT-Vertrages noch nicht ausgeführt wird und immer noch aufgeschoben
ist. Jede unlogische Aktivität, die die Probleme jenseits der durch die
IAEA festgelegten technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen lösen
will, wird die gegenwärtigen Bedingungen gänzlich verändern." [2]
Jomhuriye Eslami zitiert eine
Verlautbarung des iranischen Außenministers Manuchehr Mottaki, in der er
davor warnt: "Wenn die iranische Atomakte an den Sicherheitsrat
verschickt wird, wird die iranische Regierung auf der Grundlage des
Beschlusses des Majles gezwungen sein, seine gesamte Zusammenarbeit mit
der IAEA abzubrechen." Jomhuriye Eslami kommentiert, nachdem man die
UCF-Gas produzierenden Anlage in Isfahan in Betrieb genommen habe, dies
[Forschung in Natanz] der zweite Schritt sei. Um den geschlossenen
Brennstoffkreis erfolgreich abschließen zu können, müsste auch bald der
dritte Schritt erfolgen. [3]
"Es gibt kein internationales Recht"
Kayhan kommentiert, dass "die politische
Botschaft des Westens besagt, dass es kein internationales Recht" gebe.
Denn eigentlich habe der Iran im Rahmen des NPT-Vertrages das Recht auf
Urananreicherung. Kayhan schreibt: "Sie wollen einerseits ‚ganz
ernsthaft’ die iranische Akte an den UN-Sicherheitsrat schicken und
andererseits wissen sie ganz genau, dass sie niemals in der Lage sein
werden, die Folgen eines Boykotts gegen den Iran durchzuhalten. Dies
erklärt die Vorgehensweise der drei europäischen Staaten, die mit dem
Sicherheitsrat drohen und im nächsten Moment sagen, dass aber niemand an
einen Boykott glaubt." […] Kayhan zufolge sei die Wahrscheinlichkeit,
dass die iranische Akte innerhalb der nächsten vier Wochen an den
UN-Sicherheitsrat geschickt werde, sehr gering, da die USA den
rotierenden Vorsitz im Sicherheitsrat erst in einem Monat übernehmen
würden. Daraus könne man schließen, dass sich die Sache nicht so
entwickeln werde, wie es sich die Europäer wünschen, zumal nicht nur
China für einen Dialog sei, sondern auch die Europäer ihre prinzipielle
Dialogbereitschaft erklärt hätten.
Zudem berichtet Kayhan, dass sich das
iranische Majless erneut "scharf und entschieden gegen den politischen
Aufstand und die Propaganda des Westens bezüglich der iranischen
Atomaktivitäten richte und "die Drohungen der Europäer und der
Amerikaner als hohl und nutzlos bezeichnet" worden seien. Das
Majlessmitglied Mehdi Kuchaksadeh sagte: "Niemand darf gegenüber Iran
die Sprache der Gewalt benutzen und es wagen, das iranische Volk von
seinem Recht auf das Atomprogramm abzubringen. Die Europäer müssten in
den letzten Jahren verstanden haben, dass sie dem iranischen Volk nicht
gewachsen sind. Ihre Verschwörungstaten zeigen lediglich das Ende ihrer
politischen Macht in der Welt."
Ein anderes Majlessmitglied, Hassan Seyyedabadi, ist der Meinung, dass die
"Europäer in den letzten 27 Jahren immer wieder versucht haben, den
iranischen Interessen zu schaden. Die iranische Atomakte ist nur ein
Vorwand, um den Mittleren Osten besser auszubeuten und illegitime
Staaten wie Israel unterstützen zu können." [4]
Die "Mächte der Arroganz" und die
"reine Demokratie"
Qeisar Salehi, Mitglied der Faktion der
rechtsislamistischen "Prinzipientreuen" sagte im Hinblick auf die
Anrufung des UN-Sicherheitsrates: "Auch wenn sie unsere Akte an den
UN-Sicherheitsrat schicken, werden die Mächte der Arroganz, Europa und
Amerika, die Verlierer sein." [5]
Ahmadinejad ist der Meinung, dass das
politische System im Iran eine "reine Demokratie" sei. Der Westen
versuche jedoch politischen Druck auszuüben und fügte hinzu: "Heute ist
die Kultur der Herrschaft der Gewalt, die auf atomaren, biologischen und
chemischen Waffen beruht, nicht mehr möglich. Die Völker sind wach
geworden. Die Geschichte wird heute vom Willen der Völker der Welt
bestimmt. [...] Sie haben bisher trotz aller Kontrollen der IAEA nichts
gefunden, was sie beanstanden könnten. [...] Sie wollen aber nicht, dass
unser Volk sein natürliches Recht bekommt. [...] Wenn wir die Welt
führen würden, würden wir dafür sorgen, dass auf der Welt es keine
Raketen mehr gibt." [6]
Russland und China gegen den Iran?
Seyyed Abdol-Majid-Shoja, Mitglied der
Energiekommission des iranischen Majless, kommentiert die Entwicklungen
der letzten Wochen hingegen aus einer anderen Richtung: "Die Vereinten
Nationen und die IAEA haben unsere Rechte anerkannt, aber manche Staaten
gehen politisch gegen uns vor." Seit über 100 Jahren hätten die "Russen
nie ihr Wort gehalten. Wir dürfen den russischen Vorschlag nicht zu
optimistisch und positiv bewerten." [7]
Abschließend ist festzuhalten, dass die iranische Regierung auf die
Unterstützung Chinas im UN-Sicherheitsrat hofft. Der Sprecher des
iranischen Außenministeriums, Hamidresa Asefi sagte: "Die Chinesen sind
der Überzeugung, dass man die Rechte des Iran respektieren müsse. Sie
betonen auch den friedlichen Charakter des iranischen Atomprogramms."
[8]
Während in verschiedenen deutschen Medien
die Einschaltung des UN-Sicherheitsrats für immer wahrscheinlicher
gehalten wird, [9] wird in der Kayhan konstatiert, dass China auch nach
dem Treffen der 5+1 Staaten [Die 5 ständigen Mitglieder des
UN-Sicherheitsrates plus Deutschland] in London, die westliche Strategie
gegen den Iran nicht mittragen werde. [10]
*Dr. Wahied Wahdat-Hagh ist
Politikwissenschaftler und Mitarbeiter von MEMRI.
Anmerklungen:
[1] Verschiedene Meldungen von ISNA, 13.1.2006.
[2] Sharq, 15.1.2006.
[3] Jomhuriye Eslami. 14.1.2006.
[4] Kayhan, 14.1.2006.
[5] Sharq, 15.1.2006.
[6] Kayhan, 15.1.2006.
[7] ISNA, 13.1.2006.
[8] Sharq 16.1.2006.
[9]
http://www.n-tv.de/623911.html und
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,395622,00.html
[10] Kayhan, 17.1.2006.
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