Anschlag in Netanja:
Ein Todesschuss hätte Menschenleben gerettet
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
"In seinen Augen stand der Hass", erzählt die
Polizeioffizierin Attiah. Sie liegt verletzt im Krankenhaus. "Ich stand vier
Meter von dem Attentäter entfernt und schaute ihm in die Augen." Attiah
hatte den Selbstmordattentäter rechtzeitig identifiziert und "Terrorist,
Terrorist" gerufen. Der 26 Jahre
alte Wächter Chaim Amram, der für umgerechnet vier Euro pro Stunde Dienst am
Eingang des Einkaufszentrums von Natanja machte, reagierte instinktiv, indem
er den verdächtigen Mann mit den grell gefärbten Haaren und der Hand in
einer großen Tasche, zehn Meter weg vom Eingang zerrte. Der Wächter
verhinderte so ein größeres Unglück, bezahlte aber mit seinem Leben. Zwei
Polizisten einer Streife jagten vor der Explosion den Verdächtigen. "Mir war
klar, dass es ein Selbstmordattentäter war", sagte ein nur leicht verletzter
Polizist, der ebenfalls einen "weggerückten Blick in den Augen des
Attentäters und ein Lächeln in der Sekunde vor der Explosion" bemerkte.
Diese Zeugenaussagen lösten eine Diskussion aus, warum die
bewaffneten Polizisten und der Wächter nicht rechtzeitig den Attentäter
erschossen haben. Überwachungskameras zeigen, dass der Attentäter mindestens
hundert Meter weit rannte, nachdem er erkannt worden war. Durch einen
gezielten Todesschuss wäre das Leben von fünf Menschen gerettet worden und
es lägen keine fünfzig Verletzte im Krankenhaus. Der stellvertretende
Polizeichef Kobi Cohen sagte: "Die Polizisten haben die Vollmacht, in
solchen Fällen gezielt zu schießen."
Doch Polizisten waren in der Vergangenheit immer wieder in Zwischenfälle
verwickelt, bei denen sie ebenfalls glaubten, einen "Terroristen" vor sich
zu haben. Nach tödlichen Schüssen erwies sich das Opfer jedoch als
unschuldig. Die Polizisten wurden wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht
gestellt. Gegen den Einsatz der Waffe, so Polizeibeamte, spreche auch die
Gefahr, unbeteiligte Passanten zu treffen.
Die Diskussion ist nicht neu. Im Sommer 1990 versuchte ein
Geheimdienstmann einen Amok laufenden Araber in Jerusalem dingfest zu
machen, nachdem der schon auf offener Straße einen Mann erstochen hatte. Der
Geheimdienstmann zögerte, seine Waffe zu zücken und wurde selber erstochen.
Einen umgekehrten Fall gab es 1982, als Israel seine Grenzen für Besucher
aus Libanon öffnete. Mitten in Jerusalem schoss ein Libanese mit einem
Schnellfeuergewehr blindlings auf Passanten. Ein israelischer Zivilist, der
legal zum Selbstschutz eine Waffe trug, erschoss den Libanesen und rettete
so zahlreichen Menschen das Leben. Gleichzeitig scheint er aber auch
unbeabsichtigt einen Passanten getroffen zu haben.
Derweil berichteten "palästinensische Sicherheitskreise" von
einem israelischen Luftangriff auf Gaza-Stadt. Nach Angaben von
Nachrichtenagenturen sei das israelische Vergeltung nach dem Attentat von
Netanja gewesen. Getroffen wurde angeblich ein Denkmal für den unbekannten
Soldaten im Rimal-Viertel in Gaza. Eine Anfrage beim israelischen
Militärsprecher ergab: "In der Nacht zum Dienstag gab es keinerlei
militärischen Angriff auf den Gazastreifen, auch keinen Luftangriff." Der
Militärsprecher fügt hinzu, dass die israelische Armee nichts mit dem
Vorfall um das Denkmal zu tun habe.
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 07-12-2005 |