Demokratie muss sein:
Falls die Hamas siegt
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Demokratie muss sein, sagen die Amerikaner. "Aber das
Wahlergebnis muss wohl nach amerikanischem Geschmack sein", klagt Kadura
Fares, ein führender palästinensischer Politiker, nachdem der amerikanische
Kongress damit drohte, im Falle eines Wahlsiegs der radikalen
Hamas-Organisation im Januar der palästinensischen Autonomiebehörde
finanzielle Unterstützung versagen zu wollen.
Der EU-Chefdiplomat Javier Solana will dem amerikanischen
Beispiel folgen und verkündet eine Streichung europäischer Hilfsgelder,
falls die Hamas an der Macht beteiligt werden sollte. Während die Amerikaner
nur 50 Millionen Dollar überweisen, finanzieren die Europäer mit geplanten
300 Millionen Euro im Jahr 2006 einen großen Anteil des palästinensischen
Staatshaushalts. "Das ist reine Erpressung. Die müssen den Willen des
palästinensischen Volkes respektieren", schimpft Muschir al-Masri von der
Hamas. Ein Entzug dieser Finanzhilfe dürfte sehr schnell einen Zusammenbruch
der Autonomiebehörde nach sich ziehen.
Befürchtungen sind berechtigt. Bei Kommunalwahlen hat die Hamas mit 75
Prozent der Stimmen alle großen Städte außer Ramallah eingenommen und die
Fatah-Partei weit abgeschlagen. Der Grund für die Popularität der Hamas
dürfte weniger in ihrem menschenverachtenden Programm liegen, als vielmehr
in der Korruption und Ausbeutung der aus Tunis mit Arafat eingereisten
Fatah-Funktionäre. Zwar haben sich auch Anhänger der Fatah-Partei als "El
Aksa-Brigaden" mit Terror und Selbstmordattentaten hervorgetan, aber die
Hamas steht offiziell auf der amerikanischen Terrorliste, während die
Europäer fein zwischen dem "militärischen Arm" und der politischen
Hamas-Partei unterschieden. Die
Amerikaner und die EU dürfte nicht nur der Alptraum stören, dass da
islamistische Extremisten in Palästina die Macht übernehmen könnten. Man
muss da auch eine entscheidende Formalität in Betracht ziehen. Die
Autonomiebehörde mitsamt ihrem Parlament und demokratischen Wahlen sind ein
Produkt der Osloer Verträge zwischen der PLO und dem Staat Israel. Dieses
Regelwerk gilt bis heute und auferlegt Palästinensern wie Israelis gewisse
Verpflichtungen: eine gegenseitige Anerkennung und Gewaltverzicht.
Die Hamas ist nicht Mitglied der PLO noch fühlt sie sich den
Osloer Verträgen verpflichtet. Offen betreibt sie die Zerstörung des Staates
Israel. Solange die Hamas diesem Ziel und der Gewalt nicht abschwört, würde
ihr Wahlsieg den Osloer Verträgen und damit auch der Existenz der
palästinensischen Selbstverwaltung die Grundlage entziehen. Im schlimmsten
Fall könnte Israel aus rechtlichen Gründen gezwungen sein, die Autonomie
aufzulösen und die Besatzung erneuern. Problematisch ist auch die Tatsache,
dass die Hamas eine Entwaffnung ihrer Mitglieder verweigert, sodass eine
Partei mit eigener "Armee" ins Parlament einziehen würde.
Hinzu kommt, dass Israel sich weigert, mit Organisationen zu
verhandeln, die Israels Existenzrecht nicht anerkennen, wobei auch Sprecher
der Hamas wiederholt erklärten, dass für sie die "Zionisten" weder
Gesprächs- noch gar Vertragspartner seien. Gespräche mit der PLO waren nach
1988 erst möglich geworden, nachdem Jassir Arafat in Genf das Existenzrecht
Israels zustanden hat. Auch für die
Amerikaner und Europäer würde eine Teilhabe der Hamas an der Macht ein
Dilemma erzeugen. Deren Diplomaten sind angewiesen, keine Kontakte mit
Vertretern der Hamas zu knüpfen. Auf
Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas wird schon Druck ausgeübt, entweder die
Hamas auszuschließen oder die Wahlen ausfallen zu lassen. In beiden Fällen
droht Hamas mit Bürgerkrieg, während Abbas angesichts der Schwäche seiner
eigenen Partei aus ganz egoistischen Gründen mit diesem Gedanken spielen
könnte. Ein Vorschlag von Israels Ministerpräsident Ariel Scharon, die
Wahlen durch Straßensperren zu verhindern, verursachte weltweite Empörung.
Jetzt rächt sich Arafats Politik, vor Allem während der
Intifada, die Zügel gelockert und die Hamas gefördert zu haben. Ihm war der
Kampf gegen Israel wichtiger als in den Palästinensergebieten für "Recht und
Ordnung" zu sorgen. Bis zu den Wahlen
am 25. Januar muss dieses Problem irgendwie gelöst werden, doch niemand
weiß, wie das noch geschehen könnte.
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 21-12-2005 |