Henryk M. Broder:
"Selbst ein Irrer kann gelegentlich Recht haben"
Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinejad
ist seit seiner Wahl im Juni bereits dreimal mit Verbalattacken gegenüber
Israel aufgefallen. Er hat die Auslöschung des jüdischen Staates gefordert
und immer wieder den Holocaust geleugnet. Zuletzt erregte er mit seinem
Vorschlag Aufsehen, Israel doch nach Deutschland zu verlegen. Der Publizist
und Journalist Henryk M. Broder, der sich seit Jahren engagiert gegen als
Antizionismus getarnten Antisemitismus einsetzt, hat diesen Vorschlag in
einer Glosse auf Spiegel-Online begrüßt. Mit ihm sprach Ivo Bozic.
Jungle World
51 v. 21.12.2005 Der iranische Präsident
Ahmadinejad propagiert seit Wochen offensiv die Idee, zur Lösung des
Nahost-Konflikts doch einfach Israel nach Deutschland zu verlegen. Sie haben
im Spiegel reagiert und dem Politiker vorgeworfen, diese Idee von Ihnen
geklaut zu haben.
Das ist tatsächlich so. Ich habe schon mehrfach
geschrieben: Wenn es eine historische Gerechtigkeit gäbe, wäre der jüdische
Staat in Deutschland errichtet worden, sozusagen als Kompensation für den
Holocaust. Ich habe Schleswig-Holstein oder Bayern vorgeschlagen.
Ahmadinejad hat sich bis in die Phrasierung an meinen Vorschlag gehalten.
Bei mir war das allerdings nicht dazu gedacht, den Nahost-Konflikt zu lösen,
sondern nur zur Herstellung historischer Gerechtigkeit zwischen Deutschen
und Juden.
Der Nahost-Konflikt ist aber auch ein Produkt des
europäischen Antisemitismus.
Ohne Zweifel. Selbst ein Irrer wie der iranische
Staatspräsident kann ja gelegentlich Recht haben. Die Gründung des Staates
Israel ist tatsächlich nicht nur Folge des Holocaust, des deutschen Versuchs
zur Endlösung der Judenfrage, sondern auch dessen, was vorher passiert ist:
Pogrome in Russland, der Ukraine und Polen, die Dreyfus-Affäre in
Frankreich, die Herzl erst zu einem Zionisten gemacht hat. Die Europäer
sollten sich dessen immer bewusst sein, wenn sie so tun und heucheln, als
liege ihnen daran, Frieden in der Region herzustellen.
Sehen Sie den Vorschlag auch als Lösung für die
Palästinenser?
Für die Palästinenser gibt es keine Lösung, weil sie seit
50 Jahren jede vernünftige Lösung vergeigen. Sie hatten dazu schon öfters
die Gelegenheit. Aber sie haben sich offensichtlich darauf festgelegt, die
Daueropfer der Weltgeschichte zu sein. Ich muss auch sagen, dass mich die
Zukunft der Palästinenser weniger beschäftigt als die Israels. Denn auch
wenn Ahmadinejad ein Irrer ist, so liegt seine Äußerung voll im Trend.
Israel wird seit langem politisch delegitimiert, bis hinein ins linke
Milieu in Deutschland. Man hat das an den Reaktionen auf die Gaza-Räumung
gesehen. Da wurde, nachdem der letzte israelische Soldat das Gebiet
verlassen hatte, einfach behauptet, Gaza stünde noch immer unter
israelischer Besatzung, nur weil die Israelis sich erlaubt haben, die
Grenzübergänge zu kontrollieren, anstatt jeden einzelnen Attentäter
persönlich an seinen Einsatzort zu bringen. Es ist vollkommen egal, was
Israel tut, es wird den europäischen Linken nie genügen.
Wie erklären Sie sich, dass der Iran, obwohl er im
Moment sowieso stark in der internationalen Kritik steht, derart aggressiv
gegen Israel auftritt?
Ich denke, dass der iranische Präsident ein strategisches
Konzept verfolgt. Das ist nicht nur eine Pointe, die er losgelassen hat. Er
testet aus, wie weit er gehen kann, wie lange die Europäer mit sich spielen
lassen. Und bei aller Empörung ist noch keine Rede von Sanktionen. Der
einzige Vorschlag, der gemacht wurde, ist, die iranische Fußballmannschaft
von der WM auszuschließen. Das ist eine Gratis-Empörung, die sich jetzt
breit macht, die ohne Konsequenzen bleibt.
In der iranischen Tageszeitung Iran News wurde Ihr
Beitrag zitiert und als ernsthafte Unterstützung des Vorschlags von
Ahmadinejad gewertet.
Ich bin nicht dazu da, den Leuten dort Nachhilfe in Sachen
Ironie und Satire zu geben. Das wäre auch eine mission impossible. Etwa so,
als versuche man, den Norddeutschen den Respekt für gutes Essen
beizubringen. Daran würde jeder scheitern. Aber es zeigt, was für eine tiefe
kulturelle Kluft zwischen denen und uns liegt. Dabei ist die
gesellschaftliche Konstruktion im Iran, abgesehen von den Menschenopfern,
die sie bedeutet, quasi eine Realsatire. Da gibt es eine Demokratie auf dem
Papier und darüber einen Wächterrat, der mehr Macht hat als das Parlament
und die Regierung. Und so spielen sie da fröhlich Demokratie und
Weltherrschaft, während sie, auf dem Öl schwimmend, nicht in der Lage sind,
die eigenen Bürger mit genügend Energie zu versorgen. Und der Westen schaut
dieser Posse seit 25 Jahren gelassen zu, schaut zu, wie ein ganzes Land von
einer mafiotischen Bande als Geisel genommen wird.
Ich sehe durchaus Ähnlichkeiten zur Machtübernahme durch
die Nazis in Deutschland. Wir begehen hier immer den 9. November, grölen
"Wehret den Anfängen" und fragen uns, wieso sich die Juden damals dermaßen
wehrlos zur Schlachtbank haben führen lassen, aber diesem antisemitischen
Treiben schauen wir regungslos zu. Und nur darum ging es mir. Ich will eher
über die Defizite im Politikverständnis der Europäer reden als über die
Ausrastereien dieses Clowns im Amt des Staatspräsidenten im Iran.
Die internationalen Reaktionen auf den
Umsiedlungsvorschlag Ahmadinejads waren heftiger als auf seinen ersten
Vorstoß, Israel zu vernichten. Wie erklären Sie sich das?
Ja, dabei ist das doch realpolitisch ein Fortschritt, wenn
man so will. Erst fordert er die Vernichtung, und dann nimmt er die
Forderung zugunsten einer "humanitären" Lösung zurück. Es ist ein ähnlicher
Fortschritt, wie wenn die zu Tode Verurteilten im Iran nicht mehr
gesteinigt, sondern erhängt werden.
Aber es ist ja verständlich, dass der zweite Vorschlag
mehr Erschrecken auslöst in Europa: Bei einer Vernichtung Israels, Gott
behüte, bleiben ein paar Überlebende, die muss man dann mit Decken und
Milchpulver versorgen. Das würde die EU sicher sehr gerne übernehmen im
Rahmen ihres humanitären Auftrags. Die Idee aber, die Juden nach Europa zu
schicken, erschreckt die Europäer, weil sie die Juden ja gerade erst
losgeworden sind. Darum haben sie auf den Vorschlag der Rückführung der
Juden heftiger reagiert, denn damit landet das Problem vor ihrer Haustür.
Die Bundeskanzlerin hat den Vorschlag Ahmadinejads als
"vollkommen inakzeptabel" zurückgewiesen. Ganz so wie einen normalen
diplomatischen Vorstoß.
Bei aller Verehrung für Frau Merkel war das ein sehr
peinlicher Auftritt. "Inakzeptabel" ist absolut nicht das Wort, das in
diesem Zusammenhang angemessen ist. "Inakzeptabel" ist die Erhöhung der
Mehrwertsteuer oder irgendetwas, was auch diskutabel ist. Da hat sich Frau
Merkel in der Wortwahl vergriffen. Halten wir es ihrer Unerfahrenheit
zugute.
Wäre es nicht eine Alternative, den palästinensischen
Staat in Deutschland aufzubauen?
Sie haben vollkommen Recht. Wenn schon die Möglichkeiten
diskutiert werden, eine Bevölkerung umzusiedeln, warum wird dann nicht der
gleiche Vorschlag in Bezug auf die andere Bevölkerung gemacht? Die
Palästinenser sind genauso wenig Autochthone wie die Juden. Die meisten von
ihnen sind auch irgendwann eingewandert. Aber man sieht eben immer die Juden
als die Ursache des Konflikts und möchte ihnen daher auch dessen Lösung
aufhalsen. Genau in diesem Nichterfolgen des Vorschlags bezüglich der
Palästinenser kommt dieses alte Schema zum Ausdruck.
hagalil.com
28-12-2005 |