Langwieriger Prozess:
Der Ausstieg aus der Szene
Von Andreas Speit
Sie wird gesucht. Seit dem Ausstieg aus der
Neonaziszene muss sich Tanja Privenau verstecken. Die
Mittdreißigerin wird von ihren ehemaligen Kameraden um Noch-Ehemann
Markus Privenau verfolgt. "Auch Morddrohungen habe ich erhalten",
sagte sie der Presse.
Nach 20 Jahren verließ die Mutter von fünf Kindern im
Januar dieses Jahres die Szene. Als Jugendliche hatte sie sich erst
der "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" angeschlossen, leitete
später "Freie Kameradschaften" und wirkte zuletzt in der
"Artgemeinschaft" mit. "Die Phase des Ausstiegs ist sehr lang", sagt
sie. Nicht nur weil ihr Mann, der sie schlug, ein führender Neonazi
im Bremer Raum ist. Die Verstrickung geht tiefer: "Die Gesinnung
legt man nicht von einem Tag auf den andern ab." Wie eng die
Heilpraktikerin noch dem völkischen Denken verhaftet ist, klingt
durch, wenn sie stolz berichtet, dass ihre Kinder keine Pullis mit
amerikanischem Aufdruck und selten Jeans tragen.
"Ein Ausstieg bedeutet immer einen Umstieg", hebt
Andrea Müller hervor. Der pädagogische Leiter des Lidice Hauses
weiß, wie tief greifend die Trennung von der Neonaziszene ist. "Es
ist ein langwieriger Prozess", betonte er. Das Lidice Haus in Bremen
setzt sich ebenso wie die "Arbeitsstelle Rechtsextremismus und
Gewalt" aus Braunschweig und die "Aussteigerhilfe Rechts" in
Hannover mit Aussteigern auseinander.
Vor zwei Jahren verließ der Lübecker Neonazikader
Jürgen Gerg die Szene. Doch ob der frühere NPD-Landesvorsitzende und
Chef des "Bündnisses nationaler Sozialisten für Lübeck" sein
politisches Denken ganz verändert hat, bleibt fraglich. Denn damals
setzte er sich für eine Zusammenarbeit von Rechts und Links gegen
"das System" ein, und heute beteiligt er sich am
"antiimperialistischen Kampf" gegen "Amerika".
Im Gegensatz zu Tanja Privenau kennt Jürgen Gerg
Bedrohung kaum. "Nicht alle Aussteiger werden bedroht", sagt
Lidice-Haus-Leiter Müller. Die Angst vor den "Kameraden" aber lässt
Ausstiegswillige zögern. Eine Trennung kommt meist nur, wenn in
einer ambivalenten Lebenssituation private Verunsicherung und
politische Zweifel zusammenfallen. Oft ist auch die Gründung einer
Familie ein Trennungsgrund. Dem Ausstieg folgt dann eine veränderte
Verhaltensweise, selten jedoch eine gewandelte Einstellung.
Bei einigen, die sich als Jugendliche der Szene
anschlossen, beginne mit dem Älterwerden auch ein Nachdenken, sagt
Müller "Die rechte Ideologie deckt sich für sie immer weniger mit
der wirklichen Realität." Das bedeute aber nicht, dass sich das
"Rechtssein" einfach auswachse oder gar alle rechten Ressentiments
verschwinden.
Manche Rechte geben sich auch "geläutert", wenn eine
Verurteilung droht, berichtet ein Mitarbeiter der "Aussteigerhilfe
Rechts". Das Projekt der niedersächsischen Justizbehörde betreut vor
allem rechte Straftäter in der Haft oder auf Bewährung. "Nur wenn
der Leidensdruck und der Wille zum Ausstieg groß ist, helfen wir",
erklärt der Mitarbeiter. Die Projektteilnahme führe daher auch nicht
zu Straf- oder Hafterleichterungen.
Eine Abkehr ist meist mit einer Identitätskrise
verbunden, das eigene Weltbild aber auch der alte Freundeskreis
brechen weg. So versuchen alle Ausstiegshilfen, gemeinsam mit den
Aussteigern neue Lebensperspektiven
aufzubauen. Die Unterstützung kann von Einzel- und
Familiengesprächen über Wohnungssuche und Schulhilfe bis hin zu
Ausbildungs- und Arbeitsplatzsuche gehen.
Bei den Aussteigerhotlines melden sich die Rechten
allerdings selten. Es sind die "betroffenen Eltern, die meistens
anrufen", sagt Müller. Die Elternberatung wurde deshalb weiter
ausgebaut. Doch 2006 laufen für die freien Projekte die staatlichen
Förderungen aus. Abdruck mit
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06-12-2005 |