MEMRI Special – 15. Dezember 2005
Zurückhaltung:
Arabische Reaktionen auf Ahmedinejad
Während die anti-israelischen und antisemitischen
Äußerungen des neuen iranischen Präsidenten in der westlichen
Öffentlichkeit für große Empörung sorgten, halten sich die arabischen
Medien mit Kommentaren eher zurück. Zwar veröffentlichte die
palästinensische Al-Hayat Al-Jadida einen ins Arabische übersetzten
Beitrag der israelischen Zeitung Yedionot Ahronot, in der Ahmedinejads
Äußerungen als "unglaubliche Provokation" und "antisemitische
Aufhetzung" charakterisiert werden.
Auf der anderen Seite erklärte ein Kommentar in der
jordanischen Al-Dustour, dass Israelkritiker wie jetzt der iranische
Präsident weltweit verfolgt würden, obwohl es doch Israel und die USA
seien, welche die größten Kriegsverbrechen begehen würden. Moderater
gibt sich da ein Kommentar, der sowohl in der libanesischen Zeitung
Al-Nahar als auch auf der Seite des liberalen Satellitensenders
Al-Arabiya erschien: In einem Vergleich zwischen Khatami und Ahmedinejad
kritisiert der Autor vor allem, dass dessen Äußerungen dem Iran schaden
würden. Auch ein Beitrag der in London erscheinenden panarabischen
Zeitung Al-Hayat entzieht sich einer direkten Kommentierung von
Ahmedinejads Positionen. Er bekundet Verständnis für die Reaktionen im
Westen, verteidigt aber vor allem die Motive des iranischen Präsidenten.
Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge der Kommentare aus
Al-Dustour, Al-Arabiya und Al-Hayat:
Al-Dustour: "Die internationale Öffentlichkeit greift
immer dann schnell ein, wenn jemand Israel zu nahe tritt"
"Ich glaube, auf Nichts reagiert die internationale Öffentlichkeit so
aufgeregt und schnell, wie wenn es um 'die Katastrophe – den
nazistischen Massenmord' geht", schreibt Nawaf Al-Zarwa in Al-Dustour.
Immer wenn dazu jemand Zweifel äußern würde, starte die
"amerikanisch/westlich/zionisierte Welt einen Medienkrieg." Das erlebe
derzeit der englische Professor David Irving und so sei es dem
"amerikanisch-jüdischen Professor Norman Finkelstein" sowie dem
ehemaligen malaiischen Ministerpräsidenten Mahatir ergangen, als dieser
sich gegen die "jüdische Hegemonie" ausgesprochen habe. "Und derzeit
geschieht es eben dem iranischen Präsidenten", so Al-Zarwa.
Zwar finde im Irak und in Palästina ein "amerikanischer und zionistischer
Massenmord" statt – dort aber, so der Autor, "erleben wir keine schnelle
internationale Einmischung": "Warum geht die Welt nur gegen diejenigen
vor, die den Holocaust in Frage stellen oder gegen die, die es wagen,
die andauernden israelischen Kriegsverbrechen gegen die Palästinenser
oder die amerikanischen Verbrechen an den Irakern zu kritisieren?"
Dabei sehe doch die öffentliche Meinung weltweit ganz anders aus, meint
der Autor, und beruft sich auf Umfragen, nach denen 57% der Amerikaner
meinen würden, dass Israel die Menschenrechte verletze und 52% der
Deutschen erklärt hätten, dass Israel mit den Palästinensern so umgehe,
wie die Nazis mit den Juden und es überdies besser sei, wenn die Juden
den Mittleren Osten verlassen würden. Wenn aber 60% der Europäer Israel
und nicht etwa Irak, Syrien oder den Iran als größte Gefahr für den
Weltfrieden bezeichnen würden, dann bezeichne Israel das als
Antisemitismus, meint Al-Zarwa und verweist im Weiteren auf die Affäre
um den CDU-Abgeordneten Hohmann und den General Günzel als typische
Beispiele für die Reaktion auf Kritik an den Juden.
"Immer wenn also jemand vorsichtig 'Israel' oder die 'israelische
Besatzung' und den Massenvernichtungskrieg Israels gegen die
Palästinenser anspricht, oder wenn ein Forscher, Intellektueller oder
hohe Politiker wie Mahatir und der iranische Präsident es wagen, die
Maßnahmen des zionistischen Staates zu kritisieren oder den Holocaust in
Frage zu stellen, dann eröffnen die amerikanisch-zionistischen Medien
schweres Feuer auf sie und klagen diese Forscher, Intellektuelle oder
Politiker des Rassismus und Antisemitismus an."
Vor diesem Hintergrund sieht er auch die Angriffe auf Ahmedinejad: Dieser
werde deshalb des Antisemitismus beschuldigt, weil der Iran "die
palästinensische Sache und die Rechte der Palästinenser unterstützt."
[1]
Al-Arabiya: "Khatami und Ahmedinejad, vertreten zwei
gegensätzliche Positionen aus Teheran"
Ein Kommentar aus der libanesischen Zeitung Al-Nahar, der vom
Satellitensender Al-Arabiya übernommen wurde, vergleicht das Auftreten
des ehemaligen iranischen Präsidenten Khatami mit dem des neuen
Präsidenten Ahmedinejad. "Die Aussagen von Ahmedinejad", so Muhammad
Al-Rumeihi, "gehen inhaltlich nicht über das hinaus, was die arabischen
oder vielleicht sogar allgemein die islamischen Massen fordern. Bei
diesen stoßen solche Aussagen auf offene Ohren, weil sie im Kern ein
klares Licht auf das lange Leiden der Palästinenser werfen." Allerdings,
so der Autor, würden sie die internationale Stimmung gegen den Iran
verstärken.
Dabei gebe es doch andere und genauso wirksame Wege, "diese Leiden ins
Licht der Öffentlichkeit zu rücken". Dass Ahmedinejads "Wahl auf diese
sensiblen Felder (den Zweifel am Holocaust der Nazis oder den Vorschlag,
die Juden doch in Europa anzusiedeln) fiel, was im Westen negativ
aufgenommen wurde, ist – um das Mindeste zu sagen – ein Hinweis auf die
mangelnde Erfahrung des neuen iranischen Präsidenten in der
internationalen Politik."
"Die westliche Reaktion auf diese Äußerungen entsprangen der Gewissheit,
dass es unter der Oberfläche bei den Massen in der ganzen Region gärt
und die tagtägliche Unterdrückung der Palästinenser, wie sie jeden Abend
im Fernsehen zu sehen ist, den Zorn noch anschwellen lässt. Dieser
Sichtweise zufolge, gießen Äußerungen wie die von Ahmedinejad nur noch
Öl ins Feuer und führen zu noch mehr Unruhe."
Ganz anders würde da der ehemalige iranische Präsident Khatami auftreten.
Dieser vertrete seine Positionen "in der Sache fest", aber in einem ganz
anderen Ton: Auf einer Konferenz in Beirut habe er den Dialog, die
Toleranz und den gegenseitigen Respekt zwischen Kulturen und Religionen
betont. Zur gleichen Zeit hätten Ahmedinejads im Rahmen einer Konferenz
der islamischen Staaten in Mekka gemachten Aussagen die positive
Botschaft dieses Zusammentreffens überdeckt, bei dem es schließlich auch
um die Begegnung des Terrors gegangen sei.
"Dabei weiß man doch", so der Autor, "dass solche Äußerungen nicht weiter
führen" und nur "die Angst der westlichen Massen vor diesem neuen
Zornigen an der Spitze der iranischen Regierung bestärken". Außerdem
würden sie nur als Vorwand verwendet, "um das negative düstere Bild zu
verbreiten, dass der Mehrheit von ein paar Islamisten aufgezwängt wird
[...]. "Es könnte also sein", so die Schlussfolgerung, "dass Ahmedinejad
ohne es zu wissen und in allerbester Absicht denjenigen Mittel in die
Hand gegeben hat, die seinem Land schaden wollen." [2]
"Israel und Ahmedinejad"
(von Abdul Wahab Badrakhan)
"Im Zuge der europäischen Verurteilungen der Äußerungen des iranischen
Präsidenten über Israel, erklärte der britische Außenminister Jack
Straw, dass für so etwas 'kein Platz in einer zivilisierten politischen
Debatte' sei. Ohne Zweifel provozieren die Aussagen Ahmedinejads, Israel
sei ein 'Krebsgeschwür', das man von der Landkarte tilgen oder nach
Deutschland oder Österreich verlegen sollte, den
amerikanisch-europäischen Westen. Dieser hat schließlich die letzten 50
Jahre damit verbracht, die Verbrechen Israels zu vertuschen und es bei
all seinen illegalen und unmenschlichen Vergehen unterstützt, um Israel
mitten in der arabischen Region zu installieren. Nachdem die Araber
aufgehört haben, sich dagegen zu wehren und sogar die Existenz Israels
nicht mehr verurteilen, greifen nun die Iraner auf Slogans zurück, die
als überholt und veraltet gelten, um den Westen und Israel daran zu
erinnern, dass die historischen Fakten nicht so sind, wie sie von ihnen
dargestellt werden [...].
Israel war so lange nicht das Hauptproblem zwischen Iran und dem Westen
bis die USA ihm das 'Recht' gaben, seine Sicherheitssphäre auf den Iran
und darüber hinaus auszudehnen. Infolgedessen begann Tel Aviv so zu
agieren, als ob Israel das Land sei, welches das iranische Atomprogramm
vor allem anginge. Israel will das iranische Militär genauso überwachen,
wie es das [militärische] Potential der gesamten arabischen Region
kontrolliert. [...]
Es liegt auf der Hand, dass Ahmedinejad Israel ganz bewusst und in der
Hoffnung erniedrigt hat, dass die westlichen Länder endlich verstehen
würden, dass sie mit dem Iran anders umgehen müssen - egal ob es um
seine Rolle in der Region oder sein Atomprogramm geht. [...] Ein anderer
Grund für die systematischen Attacken von Ahmedinejad liegt darin, dass
Israel seine Finger nach dem Irak ausstreckt und mit Wissen der
Amerikaner und Europäer versucht, in einigen irakischen Regionen Fuß zu
fassen. Vor dem Hintergrund einer damit möglich werdenden direkten
Auseinandersetzung zwischen Iran und Israel wird Teheran keinerlei
Konzessionen akzeptieren.
Wenn man den Wortlaut von Ahmedinejads Aussagen betrachtet, dann musste er
sich wohl auch an die arabische öffentliche Meinung wenden, die unter
den Symptomen dieses 'Geschwürs' gelitten hat und weiterhin leidet. Vor
allem seit Israel zum Ausdruck gebracht hat, dass es nicht zu einem
normalen Staat in der Region werden und sich integrieren will: Israel
erklärt ja, dass es ihm nicht um eine 'friedliche Partnerschaft',
sondern um Hegemonie geht.
Und um auf die von Jack Straw angesprochene 'zivilisierte' politische
Debatte zurückzukommen: Genau das haben die Araber im Jahr 2002
versucht, als sie die Friedensinitiative auf dem Gipfel in Beirut
akzeptierten. Man weiß, wie Israel darauf reagierte - mit der
Wiederbesetzung der palästinensischen Gebiete und einer Reihe von
Massakern. Weder Straw, noch der US-Präsident oder irgendein anderer
westlicher Führer hat damals klargestellt, dass das israelische
Verhalten absolut nicht zivilisiert war. Auch hat keiner von ihnen
erklärt, dass der rassistische Zaun unzivilisiert und zu verurteilen ist
und nach Artikel 7 der UN-Verfassung behandelt werden sollte. Schlimmer
noch: Israel wurde sogar noch mit Anerkennung belohnt – etwa als der
UN-Generalsekretär in einer Rede erklärte, dass der Nazi-Holocaust die
Existenz Israels rechtfertige.
Ahmedinejads Aussagen mögen die Verurteilung des Westens durchaus verdient
haben, für die Araber ist es hingegen schwer, diese Verurteilung
mitzutragen – selbst dann, wenn sie nicht hinter dem iranischen
Präsidenten stehen."
Anmerkungen:
[1] Al-Dustour, 14.12.2005
[2] Al-Arabiya, 13.12. 2005
[3] Al-Hayat, 12.12. 2005 (Übers. aus der engl. Fassung)
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