Uneinigkeit innerhalb der gegenwärtigen Regierung:
Israel geht Neuwahlen entgegen
Von Israel A. Glück
Angesichts der totalen Uneinigkeit innerhalb der
gegenwärtigen Regierung werden jetzt die nächsten Wahlen vorverlegt und
sollen im März statt im November 2006 stattfinden. Aber etwas ist nicht wie
sonst: es ist derzeit fast unmöglich, irgendwelche Voraussagen zu machen -
und seien sie noch so vage.
Ein neuer Kandidat bewirbt sich diesmal um das höchste Amt
in der nächsten Regierung, und zwar ist dies Amir Peretz, ein radikaler
sozialistischer Feuerbrand, der die Ideologie der Mapai -der einstigen
Arbeiterpartei Israels - zurückzubringen versucht. Damals, vor der Geburt
der Hi-Tech-lndustrie, arbeitete der typische Israeli entweder in der
Landwirtschaft oder auf dem Bau. Heutzutage begnügt er sich mit der
Bedienung eines Computers. Das Arbeitsgebiet hat sich im Laufe der Zeit sehr
geändert, und nach dem 6-Tage-Krieg verrichteten immer weniger Juden
physische Arbeit. Sie wurde von Palästinensern oder von Bauarbeitern aus der
Türkei und Rumänien, und von Landarbeitern aus Thailand verrichtet. Diese
Leute hatten natürlich kein Wahlrecht, gehörten auch keiner Partei an, so
dass die Arbeitspartei alsbald die Partei der Intellektuellen, des
professionellen Mittelstandes und der Beamten wurde, darunter auch ehemalige
Mitglieder der revisionistischen Cherut-Partei.
Doch gleichzeitig hat sich auch die Zusammensetzung der Opposition stark
geändert. Besser gestellte Mitglieder übersiedelten in die Arbeitspartei,
während ein Großteil der zwar ärmeren, aber sehr nationalistisch
eingestellten Israelis in der revisionistischen Cherut-Partei - dem
späteren, von Scharon gegründeten Likud - verblieb.
Auch Israels religiöse Parteien waren nationalistisch gesinnt, und als
Premierminister Jitzchak Rabin im Rahmen des Oslo-Abkommens den
Palästinensern gewisse Zugeständnisse machte, geriet diese Opposition in
Aufruhr. Jitzchak Rabin fiel schließlich dem Anschlag eines religiösen
Attentäters zum Opfer, die Arbeitspartei verlor die nächsten Wahlen und
befindet sich bis heute in der Opposition. Dann kam der große Knall: Premier
Scharon, Haupt des Likud, veranlasste den einseitigen Abzug aus dem
Gazastreifen. Ungeachtet heftiger Proteste innerhalb seiner Partei, passiven
und aktiven Widerstandes der Siedler, einer tiefen Spaltung des Likud, doch
mit Zustimmung der Arbeitspartei und finanzieller Unterstützung der USA,
führte Scharon die heiß umstrittene Räumung durch - ungeachtet des Schadens,
den dies der Aussicht seiner Wiederwahl zufügen mag. Jetzt überlegt er, ob
er im uneinigen Likud verbleibt, oder an der Spitze einer neugegründeten
Partei zur Wahl gehen soll. Selbstverständlich vermindern auch die schweren
finanziellen Vergehen seiner beiden Söhne die Chancen seiner Wiederwahl.
All dies verbessert natürlich die Aussichten seines
Konkurrenten Benjamin Netanjahu, Israels nächster Premier zu werden. Er
weigerte sich nämlich, zugunsten der Einigkeit der Partei seine Kandidatur
für die Zusicherung des zweiten Platzes in der neuen Regierung aufzugeben,
und scheint im Augenblick Scharons stärkster Widersacher zu sein.
Aber eine große Gefahr droht beiden von seiten des MdK
Amir Peretz, der nichts unversucht lässt, als neugewähltes Haupt der
Arbeitspartei auch Israels nächster Premierminister zu werden. Doch seine
bisherigen Heldentaten - wie zum Beispiel der von ihm inszenierte Streik der
ohnehin gut bezahlten Hafenarbeiter, der den Staat viele Millionen kostete -
sind noch frisch im Gedächtnis. Außerdem spricht er ein zu schlechtes
Englisch für einen Ministerpräsidenten, und so manche Wähler in seiner
Partei hätten lieber den erfahrenen Politiker Schimon Peres an seiner Stelle
gesehen - ungeachtet dessen verhältnismäßig hohen Alters.
Wie gesagt ist alles noch offen. Und außerdem kann sich in den mehr als drei
Monaten bis zu den Wahlen noch vieles ändern und so manches geschehen, was
das jetzige Bild auf den Kopf stellen könnte. Man muss sich also in Geduld
fassen. |