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Berliner Gemeinde:
Von Zarenmord und Demokratie

Von Irene Runge, Jüdische Korrespondenz 12/2005

Es war die Zeit mannhafter Entsagungen. Schröder, Fischer, Müntefering, Stoiber, auch der Migrationsrat verlor einen Sprecher, der Vorsitzende der Tucholsky-Gesellschaft trat zurück, in der Jüdischen Gemeinde warf entnervt Albert Meyer das Handtuch und dann noch Sharon als die größte Überraschung.

Jetzt gibt es Merkel statt Schröder und der neue Mann an der Spitze der Gemeinde heißt Dr. Gideon Joffe. Weil er erst 33 Jahre alt ist, hat er nicht mehr in der Sowjetunion, sondern in Deutschland und China Betriebswirtschaft studiert.

Eine zukunftsträchtige Voraussetzung für jemanden, der als moderner Manager das verbogene Unternehmen Jüdische Gemeinde sanieren muss. Lösungen für Probleme sind längst überfällig, aber keine neuen Scheinprobleme für keine Lösungen. Zurückschauend bleibt nachzutragen, dass sich das innerjüdische Dilemma auch dann nicht erklärt, wenn Arkadij Schneidermann als stalinistisches System bezeichnet wird. Er ist auch kein Leninist, wenngleich er zuverlässig nach der Maxime von Wladimir Iljitsch Uljanow arbeitet: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser".

Wir kennen aus der Zarenzeit Revolutionen und Revolten, aber reformiert im europäischen Sinn ist das Riesenland bis heute nicht. Das ist ein echtes Problem. Albert Meyer, der Vorsitzende a.D., hatte sich über den Lauf der Dinge empört, was psychologisch nachvollziehbar, aber dennoch a-historisch ist. Wer politisch Einfluss nehmen will, muss die Schlüsselpositionen der Macht erobern. Das gilt seit alters her, auch die Jüdische Gemeinde kann Lieder davon singen.

Arkadij Schneidermann lebt schon drei Jahrzehnte in Berlin. Auch ohne gemutmaßten Zarenmord an Albert dem Ersten kennt er den hierzulande üblichen Machtpoker. Eine sowjetische Sozialisation ist dabei wohl eher hinderlich, denn bekanntermaßen war die Qualität der Systematisierung politischer Übernahmestrategien im Sowjetland grundlegend anders als in der Kultur westlicher Unternehmensphilosophien vorgesehen.

Das hat viele Folgen, manche reichen bis nach Berlin. Aber es war Änne Burda, die hausbacken wirkende Erfolgsdame im deutschen Nachkriegsmedienbereich, die dem staatlichen Fernsehen vor ihrem Tod verriet, dass das große Geschäft große Brutalität, nicht aber unbedingt Gewalt mit sich bringe.

Da lässt sich mit Lenin fragen: Was tun? Wenn Schneidermann also nicht die Quelle allen Übels, sondern der Überbringer schlechter Nachrichten ist, gilt es, zügig die diesen zugrunde liegenden tiefen Widersprüche logisch und historisch zu analysieren, um das Gemeindechaos zu entwirren.

Manche Beobachter neigen dazu, die ihnen undurchsichtig erscheinenden Konflikte zu nationalisieren und zu ethnisieren, meinen gar, Sprache und regionale Herkunft hätten eine ungut rebellierende Gruppe geeint ins Feld geführt, was hätte verhindert werden müssen. Man könnte diese Entwicklung aber auch positiv deuten, als Beweis dafür, dass sich nötige Umbrüche infolge einer neuen jüdischen Mannigfaltigkeit mit demokratischer Gewalt Bahn brechen.

Wenn jedoch der Zentralrat der Juden, wie er durch die Medien wissen ließ, äußerst besorgt ist, so heißt das nicht zwingend, er mache sich Gedanken; beispielsweise, wieso bei der Verwaltung der besser russisch als deutsch sprechenden neuen jüdischen Mehrheit im Lande deren Vertreter nicht angemessen in den Machtebenen integriert sind.

Niemand hätte übrigens die Konfessionalisierung der künftigen Einwanderung als fairen Kompromiss verkauft, wäre das Geschehen mit mehr Demokratie ausgestattet gewesen. So unehrlich wurde doch nur in den Soz.staaten mit den Völkern umgegangen. Oder? Erstarrte Systeme, das ist seit 1989 sehr klar, können schnell zersplittern.

Anlass und Ursachen müssen dabei nicht identisch sein. Immerhin hat ein relativ kleiner Zustrom hochqualifizierter, darunter zahlreicher energiegeladener, unterforderter und dennoch unternehmungsgieriger Jüdinnen und Juden die jüdische Gemeinschaft in Deutschland wie aus einer langen Erstarrung wachgerüttelt. Dabei wurde viel Staub und mancher Filz sichtbar.

In der Berliner Gemeinde haben erst unlängst Mitglieder, auch ich, nach heftigem Wahlkampf die heutigen Repräsentanten bestimmt. Anstatt heimlich oder hysterisch nach Neuwahlen zu schreien, sollten wir unsere Repräsentanten auffordern, mit britischem Demokratieverständnis, mit Fairness und stiff upper lip zu amtieren und auf solcher Basis mit Glasnost eine jüdische Perestroika einzuleiten.

Die strenge Kontrolle, wie Schneidermann sie fordert, ist unerlässlich, aber Vertrauen genauso wichtig. Joffe und die Seinen müssen ihre Chance haben. Hoffentlich mehr Mitglieder als bisher werden bei den nächsten Wahlen darüber befinden. The proof of the pudding lies in the eating. Alles andere sind nur Vermutungen.

hagalil.com 29-11-2005

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