Paradise Now:
Den Wahnsinn zeigen!
"Paradise Now" ist nicht zu einseitig,
sondern zu differenziert. Als Propaganda für die Terroristen taugt er nicht.
Von Andreas Hartmann
Jungle World 40 v.
05.10.2005
"Du, Selbstmordattentate finde ich aber nicht so gut,
israelische Mütter lieben doch auch ihre Kinder!" – "Aber unsere Körper sind
das einzige, was wir haben, um uns zu wehren, und wir müssen uns wehren." –
"Sollten wir uns nicht lieber zusammensetzen, an einen runden Tisch?
Selbstmordattentate sind doch auch keine Lösung, und die Israelis leiden
bestimmt auch unter der Intifada."
Hätte er so aussehen sollen, der etwas ausgewogenere Dialog, den manche
Kritiker und Antifa-Organisationen so sehr vermissen, dass sie sogar
deutsche Kinos aufgefordert haben, "Paradise Now" aus dem Programm zu
nehmen?
Unerträglich wäre das doch. Nein, "Paradise Now" erzählt den Nahost-Konflikt
ausschließlich aus palästinensischer Sicht, und in Ramallah oder Gaza
interessiert man sich im Allgemeinen nicht dafür, welche Probleme sich für
Israelis aufgrund der Besatzung ergeben. So ist das nun mal. Für die
Palästinenser sind Israelis gerne Judenschweine, Landräuber,
Herumschikanierer, deshalb wäre es hanebüchen, hätte der
palästinensisch-israelische Regisseur Hany Abu-Assad seinen Protagonisten –
immerhin potenziellen und wahrhaftigen Selbstmordattentätern! – ein
gesteigertes Reflexionsvermögen angedichtet.
Nein, seine Figuren müssen Israel und den Israelis für alles, für wirklich
alles, was schief läuft in ihren Leben, die Schuld zuschreiben. Israelis
würden das Wasser der Palästinenser vergiften, heißt es dann, und Said, der
sich später in einem vollbesetzten Bus in Tel Aviv in die Luft jagen wird,
macht selbst dafür, dass sein Vater als Kollaborateur von den eigenen Leuten
hingerichtet wurde, die Israelis verantwortlich. Ist Said etwa ein
Antisemit? Aber natürlich! Und die Jungs von der Hamas, der Lässige mit dem
Dreitagebart und der Vierschrötige, der nochmals die Sache mit den
Jungfrauen und dem Paradies erklärt, sind das etwa Antizionisten? Äh: ja.
Was dachten Sie denn?
Wie hätte ein Film, der das Sujet "palästinensische Selbstmordattentäter aus
palästinensischer Sicht" gewählt hat, die Sache differenzierter darstellen
sollen, ohne dabei Kitsch zu erzeugen? Er manövriert doch so schon permanent
zwischen Überzeugung und Selbstzweifel seiner Figuren hin und her. Beinahe
schon zu sehr. Said steht bereits auf der israelischen Seite an einer
Bushaltestelle, neben einem Pulk von Siedlern. Er hat seine Hand bereits am
Auslösungsmechanismus des Sprengstoffgürtels. Aber was macht der Typ? Er
rennt nochmals nach Hause und überlegt sich die ganze Sache. Und Khaled,
sein Kumpan, bereut sogar endgültig und löst sich schier in Tränen auf, als
er mitbekommt, dass Said es beim zweiten Versuch ernst meint. Der
palästinensische Regisseur Subhi Al-Zobaidi wirft "Paradise Now" vor, durch
dieses Zeigen von Verwirrung und Hilflosigkeit sogar zu wenig eindeutig zu
sein. Denn Selbstmordattentäter seien "überzeugt von dem, was sie da tun".
Auch Henryk M. Broder, der sagt, "Paradise Now" sei "ein guter, ein
wichtiger Film", hat eher ein Problem damit, dass ihm dieser "zu pädagogisch
und pathetisch" sei und es ihm an "Radikalität" fehle.
Doch diese fehlende Radikalität bewahrt den Film immerhin davor, von
palästinensischer Seite als Propagandamachwerk missbraucht zu werden. Wie
man hört, können die palästinensischen Hardliner mit dem Film nichts
anfangen; solche Märtyrer, wie sie hier porträtiert werden, Typen, die nicht
mal hundertprozentig von ihrer Sache überzeugt sind, kann die Hamas als
Vorbilder nicht gebrauchen. Die Täter werden nicht glorifiziert und es wird
eben nicht versucht, wie es immer wieder in der Kritik heißt, Empathie für
sie zu wecken. Said ist ja schon vor seinem Anschlag tot, ein komplett
verstockter Timm Thaler, der nicht mal mehr lächeln kann, der ein
Psycho-Trauma mit seinem "unehrenhaften" Vater zu klären hat, und als eine
wunderbare Frau ihn anbaggert, kriegt er das gar nicht geregelt. Said ist
kein sympathischer Loser, wirklich nicht. Mit so einem möchte sich niemand
identifizieren.
"Paradise Now" zeigt den kompletten Wahnsinn. Vorgeworfen wird dem Film,
dass er die Wahnsinnigen nicht dämonisiert, dass er sich überhaupt für sie
interessiert. Schon bei "Der Untergang" hieß es ja, den Führer zu zeigen,
wie er lächelnd einem Hitlerjungen über den Kopf streicht, das ginge gar
nicht. Warum denn nicht? Denke ich seitdem etwa: Ach, so schlecht war er
doch gar nicht, der Führer? Ein anderer Film aus dem letzten Jahr, "The
Woodsman" mit Kevin Bacon, behandelte das Thema Pädophilie. Aus der Sicht
des Täters. Der Film war gut, was Pädophilie nicht besser macht.
hagalil.com 06-10-2005 |