Abbas in Washington:
Palästinensisch-amerikanischer Gipfel
von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 20. Oktober 2005
Der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas ist mit leeren Händen nach
Washington geflogen, um US-Präsident George Bush zu treffen. Die Hoffnung
auf einen Neuanfang im Nahostkonflikt nach dem israelischen Rückzug aus Gaza
greift nicht wirklich.
Die Amerikaner und Israelis hatten große Hoffnungen in den Nachfolger
Arafats gesetzt. Sein Widerstand gegen die "bewaffnete Intifada" und sein
Schwur, die staatliche Autorität in den palästinensischen Gebieten wieder
herzustellen, entsprach den Erwartungen Israels und der Amerikaner zwecks
Beendigung palästinensischen Terrors.
Abbas versuchte sein Ziel durch Dialog, Verhandeln und Einbinden radikaler
Gruppen wie Hamas und Dschihad zu erreichen. Um einen Bürgerkrieg zu
verhindern, weigert sich freilich Abbas, die Extremisten zu entwaffnen. Sie
sollten ihre Waffen im Kleiderschrank lassen und nicht mehr öffentlich
herumtragen. Immerhin hatte Abbas die Fähigkeit bewiesen, ausgerechnet den
im Chaos versinkenden Gazastreifen mit über 5.000 Polizisten so weit unter
Kontrolle zu halten, dass die Israelis sich ohne Blutvergießen aus ihren
Siedlungen zurückziehen konnten, als deren Festungen und Stellungen schon
geräumt waren. Doch nach dem Rückzug kam es zu Zwischenfällen, die Abbas
Verhängnis werden können.
Nach einem schweren selbstverschuldeten Unfall, als Raketen bei einer
Demonstration der Hamas explodierten und 19 Menschen töteten, startete die
islamistische Organisationen einen "Rachefeldzug" gegen Israel. Über vierzig
Raketen landeten in der israelischen Ortschaft Sderot und sogar beim Grab
der Lili Scharon, der verstorbenen Gattin des israelischen
Ministerpräsidenten, auf dem Gelände seiner Privatfarm.
Vor wenigen Tagen, als Unterhändler von Scharon und Abbas einen Gipfel in
Jerusalem vorbereiteten, machten palästinensische Extremistenorganisationen
ihre Drohung wahr, die Attacken von Gaza in das Westjordanland zu tragen.
Drei junge Israelis wurden nahe dem Siedlungsblock Gusch Etzion südlich von
Jerusalem mit Maschinengewehrfeuer aus einem fahrenden Auto niedergemäht. Es
war der schwerste tödliche Zwischenfall seit dem Rückzug. Auch an anderen
Stellen kam es zu Feuerüberfällen von Palästinensern, während die Israelis
ihre ebenfalls tödlichen Verhaftungsrazzien gegen palästinensische
Extremistenführer verstärkten.
Scharon sagte kurzfristig das Treffen mit Abbas ab, während Israel in aller
Eile die derweil demontierten Straßensperren und Fahrverbote für
palästinensische Privatautos erneuerte. Nach fünf Jahren Intifada und im
Vertrauen auf Abbas hatten die Israelis jene "Sicherheitsmaßnahmen"
gelockert, die von den Palästinensern als Schikane und Kollektivstrafe
empfunden wurden. Doch das Verbot für palästinensische Privatfahrzeuge, die
gemeinsam benutzten Durchgangsstraßen etwa zwischen Bethlehem und Hebron zu
benutzen, hätte nach Ansicht der Israelis das Leben der drei jungen Menschen
retten können, die getötet wurden, während sie als Anhalter am Wegrand
standen. Für die Israelis besteht das übliche Dilemma. Eine Erneuerung der
"Schikanen" schürt palästinensischen Terror, während die Lockerungen der
Sperren israelischen Bürgern das Leben kosten, ohne dem Terror Einhalt zu
gebieten.
Abbas ist da machtlos. Sein guter Wille allein reicht den Israelis nicht.
Aus Regierungskreisen in Jerusalem hört man schon: "Abbas ist gescheitert."
Doch die Amerikaner haben die Hoffnung nicht aufgegeben und wollen weiter an
ihm festhalten. Denn die Alternative zu Abbas heißt Hamas. Die gilt bei
Amerikanern, Europäern und bei den Israelis ohnehin als
"Terrororganisation". Sie will ihre Waffen nicht abgeben und Israel
zerstören. Zu den bevorstehenden Wahlen im Januar will sie gegen die
korrupte und im Niedergang befindliche Fatah-Partei von Abbas antreten.
Scharon erklärte schon, dass er im Falle einer Beteiligung der Hamas die
Wahlen verhindern wolle. Die Amerikaner können das nicht akzeptieren,
machten aber klar, dass die Hamas entwaffnet werden müsse, ehe sie ins
palästinensische Parlament einzieht. Die Amerikaner sagen freilich nicht,
wie sie reagieren würden, wenn trotz ihrer Forderung bewaffnete Milizionäre
in die gesetzgebende Versammlung der Autonomiebehörde einziehen
sollten. Die Ansichten Scharons und der Amerikaner liegen nahe beieinander,
nur die Formulierungen unterscheiden sich.
Öffentlich wird Abbas in Washington viel Lob ernten. Aber hinter den
Kulissen werden die Amerikaner ausloten, ob er seine guten Absichten auch
tatsächlich umsetzen kann. Denn am Ende entscheiden die Taten und Toten,
nicht schöne Worte.
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 21-10-2005 |