Jedioth Achronoth über Berlins Bürgermeister:
Der rote Klaus
Von Eldad Beck, Jedioth Achronoth, 19.09.05
Sollten keine besonderen Überraschungen eintreten, wird
Schröder von der CDU und Angela Merkel abgelöst. Aber kurz nachdem der Staub
der Wahlen sich gelegt haben und die Deutschen sich an eine neue Führung
gewohnt haben werden, könnte ein neues Drama im Land auftauchen, das da
lautet: Wer wird die SPD sanieren? Einer der Namen, der in diesem
Zusammenhang häufig genannt wird, ist der von Klaus Wowereit, dem
Regierenden Bürgermeister von Berlin.
Er ist zwar ein Lokalpolitiker, erfreut sich jedoch großer
Popularität, weit über die Grenzen seiner Stadt hinaus. Vor allem ist er im
kollektiven Bewusstsein als der Mann in Erinnerung, der sich auf dem
Höhepunkt des Wahrkampfs in Berlin mit dem Spruch geoutet hatte: "Ich bin
homosexuell, und das ist gut so." Der Mut, den er damals bewies, wird ihm
heute zugute gehalten und macht Ihn zu einem der führenden Kandidaten um das
Amt des Parteivorsitzenden der SPD.
Wowereit, der Anfang nächsten Monats seinen 52. Geburtstag
feiern wird, dementiert entschlossen, Pläne zu haben, das Amt des
Regierenden Bürgermeisters zu verlassen. "Ich kämpfe darum, dass Schröder
Kanzler bleibt, und ich suche keinen neuen Job", sagt er in einem Interview
mit Jedioth letzte Woche in seinem Büro im Roten Rathaus von Berlin.
Übrigens, es wird nicht aus politischen Gründen so genannt? Sondern weil es
mit roten Steinen gebaut ist. Wowereit überraschte jedoch, als er nach
seiner Wahl eine Koalition mit den ehemaligen Kommunisten einging.
Ein solches Bündnis könnte auch der SPD helfen, die Regierung
zu behalten, Schröder hat jedoch bereits bekannt gegeben, er habe keine
Absicht, dies zu tun. Auch Wowereit sagt: "Das ist unmöglich - sowohl wegen
des Parteiprogramms als auch wegen der Leute, die die neue Partei anführen."
Die Wahlergebnisse, die für die SPD nicht viel versprechend aussehen,
könnten eine neue Realität vorschreiben. In der Zwischenzeit genießt
Wowereit sein derzeitiges Am in Berlin, das heute zu einer der
faszinierendsten Städte Europas wurde.
Anfang Oktober sind es 15 Jahre seit der Wiedervereinigung
Deutschlands, und in Berlin dauern die Bauarbeiten, mit welchen die
Erinnerung an die Teilung ausgelöscht werden soll, noch immer mit vollem
Schwung an. Wowereit übernahm eine schwere Aufgabe als er beschloss, für das
Amt des Regierenden Bürgermeisters zu kandidieren: Berlin steckte in
astronomischen Schulden in Höhe von 70 Milliarden Euro, die Arbeitslosenrate
war eine der höchsten in Deutschland und der Umzug der Regierungsämter aus
Bonn löste keinen Strom von neuen Bürgern in die Stadt aus. Es gab jedoch
auch positive Tendenzen: Langsam aber sicher wurde Berlin zu einem
internationalen Zentrum für Kultur, Musik und Mode. Und Wowereit ist
optimistisch: "Wir fühlen die Teilung der Stadt noch immer", sagt er. "Wir
befinden uns in Ostdeutschland. Wir hatten enorme Probleme mit der
Infrastruktur. Wir haben viele Arbeitsplätze verloren, aber die Erweiterung
der EU ih den Osten machte uns attraktiver. Wir befinden uns im Herzen
Europas, Berlin wird zur Metropole, und die Stadt zieht viele junge Leute
an. Das Potenzial Berlins ist enorm."
Erstaunlicherweise nehmen viele Israelis an dem blühenden
Leben Berlins teil. In den letzten Jahren wurde die Stadt nicht nur ein
Wallfahrtsort für israelische Touristen, sondern viele Israelis haben sich
sogar dort niedergelassen, vor allem Künstler aus allen Bereichen. Viele
Israelis kaufen sogar Immobilien in der deutschen Hauptstadt. Und all das
nur 60 Jahre nach dem Holocaust. "Ich freue mich sehr, dass die Beziehungen
zwischen den Israelis und Berlin sich derart verbessert haben und dass das
jüdische Leben in die Stadt zurückkehrt", sagt Wowereit. "Das ist kein
leichter Prozess, aber die Tatsache, dass wir es so weit gebracht haben, ist
ein sehr gutes Zeichen".
Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach die israelische Präsenz
in Berlin?
"Die Künstler aus Israel bereichern das kulturelle Leben in der Stadt enorm.
Ihre Präsenz betont den internationalen Charakter des Berliner Kulturlebens,
das durch kulturelle Entwicklungen bereichert wird, die nur in Israel und
nicht in Europa stattfinden konnten."
Würden Sie auch israelische Investitionen in die
industrielle Entwicklung der Stadt begrüßen?
"Durchaus, Es gibt hier viel Platz für israelische Investitionen, vor allem
auf dem Bereich der HITech. Die Voraussetzungen sind gegeben: ausgebildetes
Personal, Infrastruktur, enge Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen
Institutionen. Die Investoren müssen nur Kapital und Zeit mitbringen. Ich
bin sicher, dass Sie profitieren werden."
Trotz allem sind die Beziehungen zwischen den Deutschen und
den Berliner Juden auch heute alles andere als einfach. Die Einweihung des
Mahnmals für die sechs Millionen Holocaustopfer, das im Zentrum der Stadt
errichtet wurde, erweckte erneut eine stürmische Diskussion über die
Erinnerungskultur in Berlin und in Deutschland. Als Gegenreaktion auf das
Mahnmal initiierten verschiedene Organisationen Verewigungsprojekte für
Opfer des kommunistischen Regimes und forderten, auch für sie Mahnmale zu
errichten. In Kürze wird in Berlin auch eine umstrittene Gedenkstätte für
die deutschen Vertriebenen errichtet.
"Die Diskussion über die Grenzen der Erinnerung ist
kompliziert", gibt Wowereit zu. "Wir müssen darüber nachdenken, wie wir den
jungen Generationen erklären, was in Deutschland geschehen konnte - die
Ermordung von Millionen Menschen, und ich glaube nicht, dass die
Erinnerungsaktivitäten abgeschwächt sind. Das Mahnmal für die
Holocaust-Opfer beweist, dass großes Interesse besteht. Die Leute strömen in
Massen zu dem Mahnmal und setzen sich mit ihm auseinander, nicht nur mit dem
künstlerischen Aspekt der Stätte, sondern auch mit der Information, die dort
übermittelt wird."
Und wie sieht Wowereit die gemeinsame Zukunft von Berlin und
den Israelis und Juden, die dort leben? Was wird diese Verbindung in 50 oder
100 Jahren hervorbringen? Der Mann, der eine Stadt mit einer langen und
komplizierten Vergangenheit anführt, ist sich ihrer Sensibilität durchaus
bewusst. "Diese Stadt hat eine lange Geschichte, die von ihren jüdischen
Mitbürgern stark beeinflusst wurde. Die Ermordung und Vertreibung der Juden
machte die Stadt arm, und dieses Loch wird sich niemals füllen lassen.
Deshalb ist es gut, dass sich viele Juden hier wieder zu Hause fühlen und
zurückkommen. Berlin wird immer mit seiner Vergangenheit leben müssen, der
guten und der schlechten."
Medienspiegel der Deutschen Botschaft Tel Aviv
hagalil.com 21-09-2005 |