"Brief der Gymnasiasten":
Massenhafte Wehrdienstverweigerung?
Der neue "Brief der Gymnasiasten", der angeblich von
Hunderten Schülern unterschrieben ist, die sich wegen der Beteiligung der
Armee an der Räumung der Siedlungen weigern werden, ihren Wehrdienst zu
leisten, ist bisher nur eine Medienstory. Der Generalstabschef hat noch
keinen solchen Brief erhalten, es ist noch nicht klar, von vielen Schülern
er tatsächlich unterschrieben ist und auch nicht, wie viele von ihnen
letztendlich tatsächlich den Wehrdienst verweigern werden.
Aber sollte es wirklich eine Massenverweigerung
als Folge der Räumung geben, kann niemand sagen, er sei nicht dafür
verantwortlich. Zunächst richtet sich der Protest natürlich gegen die
Regierung, die die Armee auf eine Mission geschickt hat, für die eigentlich
die Polizei zuständig ist. Es war doch klar, dass die Verzweiflung und der
Zorn der Siedler sich letzten Endes gegen die Soldaten richten werden. Wenn
die IDF dem Ministerpräsidenten, dem Verteidigungsminister und dem
Generalstabschef wirklich so am Herzen liegen würde, wie sie immer
behaupten, hatten sie alles tun müssen, um dies zu verhindern.
Die Rabbiner, die die Ideologie von Eretz Israel
über die Institutionen des Staates gestellt haben, tragen natürlich die
Verantwortung. Aber auch diejenigen, die sich beeilt haben, Lobeshymnen auf
die Soldaten anzustimmen, nur well sie diesmal eine Mission erfühlen, die
ihrer politischen Auffassung entspricht, können sich einer gewissen
Verantwortung nicht entziehen. Denn wie soll ein junger Mensch, den die
Armee gewaltsam aus seinem Haus entfernt hat, auf diese Lobeshymnen
reagieren?
37 Jahre Besatzung, die die Armee und in
gleichem Maße die israelische Gesellschaft korrumpiert haben, haben eine
geringe Zahl von Befehlsverweigerern hervorgebracht. Die wenigen konnten
leicht individuell behandelt werden, und das prinzipielle Problem wurde mit
Hilfe der öffentlichen Gleichgültigkeit unter den Teppich gefegt.
Die Siedler und ihre Befürworter profitierten
daraus am meisten. Viele von ihnen brachten der Armee Verachtung entgegen
oder übten politischen Druck auf sie aus. Jetzt befinden sie sich auf der
anderen Seite, und die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, dass von ihnen
eine härtere und besser organisierte Reaktion erwartet werden kann.
Eine Massenverweigerung könnte das System
erstmals auf eine echte Probe stellen: Wird es auf die Umsetzung des
Gesetzes bestehen, das besagt, dass Befehlsverweigerer für eine lange Zeit
ins Gefängnis kommen? (Befehlsverweigerer wegen der Besatzung, die vom
Obersten Gericht als "politische Befehlsverweigerer" definiert wurden, waren
eineinhalb Jahre in Haft).
Eines ist jedoch klar. In einem Staat, in dem es
derart heftige politische Kontroversen gibt, erschüttern die diejenigen, die
beschließen, diese Kontroversen von der Armee beilegen lassen, auch
gleichzeitig die Grundlage, die der Armee ihre Legitimation verleiht.
Medienspiegel der Deutschen Botschaft Tel Aviv
hagalil.com 07-09-2005 |