Papst Benedikt XVI. zu Besuch in Köln
Rede des Gemeinderabbiners Rabbiner Netanel
Teitelbaum, der Synagogen-Gemeinde Köln, anlässlich des Besuches von Papst
Benedikt XVI.
Kwod Harabanim
Hochverehrter Papst Benedikt
Sehr geehrte Festgäste
soeben haben wir hier in der Synagoge den Psalm 23
gelesen und gehört. Er hat eine große Bedeutung im Glauben eines jeden
Menschen. Dieser Psalm gibt dem Menschen in allen schweren Zeiten Kraft. Er
hat uns, dem jüdischen Volk, seit dem Auszug aus Ägypten bis zur Shoah und
auch in der Zeit danach die Kraft zum Überleben gegeben.
Und diese Kraft, das ist der Glauben des jüdischen Volkes,
der Glauben eines jeden Einzelnen, der Glaube an den Ewigen, Hakadosch
Baruch Hu, so wie es in dem Psalm 23 heisst: "fürcht' ich kein Leid, denn Du
bist mit mir". Das Volk Israel als Volk, als Gruppe, und auch jeder Einzelne
hatte immer wieder schwere Zeiten zu bestehen. Gerade fünf Tage ist es her,
dass wir den Trauertag Tischa Be Aw begangen haben. Einen Tag, der uns an
viel Unglück in der jüdischen Geschichte erinnert. Es ist der Tag der
Zerstörung des ersten und auch des zweiten Tempels in Jerusalem und zudem
der Tag der Niederschlagung des Aufstandes im Warschauer Ghetto.
Das jüdische Volk hat niemals aufgehört zu glauben, auch
dann, wenn es allein gelassen worden ist. Und aus diesem Glauben schöpfen
wir zu jeder Zeit Kraft, auch in den Zeiten, in denen das jüdische Volk
verfolgt worden ist.
Ihr Besuch heute, hochverehrter Papst Benedikt, ist ein
Zeichen hin zur Öffnung des Friedens in der ganzen Welt und ein Schritt auf
dem Weg zum geistigen Aufbau des dritten Tempels in Jerusalem, der nur
gebaut werden kann, wenn es Frieden unter allen Völkern gibt. Ihr Besuch
heute ist ein Schritt zum Frieden zwischen den Völkern der Welt. Ihr Besuch
ist auch ein aktives Zeichen gegen den früheren christlichen Antisemitismus.
Ihr Besuch hat darin größte Symbolkraft. Er zeigt allen, dass und wo Sie die
katholische Kirche im Verhältnis zu den Juden in aller Welt sehen.
Lassen Sie mich aus dem Allgemeinen zur Einzelperson
kommen. Ihr Besuch hat größte Bedeutung für Frau Lehrer. Fela Lehrer ist die
Mutter von Abraham Lehrer, der eben die Begrüßung vorgenommen hat. Sie sitzt
hier heute in der Synagoge. Auf ihrem Unterarm kann man die Nummer lesen,
die ihr im KZ eintätowiert wurde. 1944 in Auschwitz hatte sie weder die
Kraft noch die Vorstellung, dass eines Tages in 2005 ihr Sohn den Papst
offiziell in der Synagoge zu Köln begrüßen würde. Außer Ihr sitzen hier noch
manche andere, die diese Zeit überlebt haben. Von wo haben wir diese Kraft
erhalten: die Kraft zu glauben, die Kraft zum Überleben. Diese Kraft können
wir in den Texten finden, die wir heute hier gemeinsam gelesen haben. Denn
es heißt im Kapitel 1 im 1. Buch Moses "Und G-tt schuf den Menschen in
seinem Bilde, im Bilde G-ttes schuf er ihn...."
Der Mensch ist ein Teil G-ttes. Und der Mensch trägt einen
Teil von G-tt in sich. Und dieser Teil, den der Mensch von G-tt in sich
trägt, das ist die Seele. Die Seele unterscheidet den Menschen von den
anderen Lebewesen, die sich auf dieser Welt befinden. Die Seele gibt dem
Menschen die Möglichkeit nachzudenken, bevor er eine bestimmte Tat
vollbringt. Es liegt in den Händen des Menschen, Gutes zu tun und nicht zu
zerstören, zu beleidigen oder zu vernichten. Der Ewige, Ha Kadosch Baruch
Hu, hat dem Menschen eine, seine Seele gegeben. Der Mensch ist damit dafür
geschaffen, Gutes zu tun. Und aus dieser Seele hat der Mensch die Kraft und
die Aufgabe, Menschen zusammen zu bringen und nicht auseinander zu treiben.
Das bedeutet praktisch, dass der Mensch Frieden haben und schaffen muss.
Im Judentum steht die Grundlage für den Frieden auf fünf
Säulen: Die erste der fünf Säulen ist der Glaube an den Einzigen und
Allmächtigen, Ha Kadosch Baruch Hu. Die Erinnerung an die Vergangenheit und
darauf der Aufbau der Zukunft, das ist die zweite der fünf Säulen. Als
Napoleon in die Stadt Akko kam, es war der Abend des 9. Aw, Tischa Be'Aw,
und als er sah, dass das Volk Israel weinte, da fragte Napoleon: "Aus
welchem Grunde weinen die Juden?" Die Antwort, die man ihm gab, lautete:
"Wir weinen über die Zerstörung des Tempels von Jerusalem." Da fragte
Napoleon: "Wann ist das passiert?" Die Anwesenden antworteten ihm: "Es
geschah vor etwa 2000 Jahren." Da sagte Napoleon: "Vor 2000 Jahren ist es
geschehen und noch heute weint ihr. Wenn dieses so der Fall ist und wenn ein
Volk sich noch heute so an seine Vergangenheit erinnert, dann ist das ein
Volk, das auch Zukunft hat."
Die Dritte der drei Säulen ist die Säule der Guten Taten.
Das Gebet ist die vierte Säule. Und heute am Ende der Feierstunde werden wir
gemeinsam aus dem Gebet hören, das "Sim Schalom" = "Gebt Frieden" heißt. Die
Stimme des Schofar ist die fünfte der fünf Säulen. Der Klang des Schofar
steht für Frieden. Dieser Klang symbolisiert auch die Freiheit, die Freiheit
des Einzelnen zu entscheiden.
Der wirkliche Frieden auf der Welt ist der Frieden, der
keinen Terror kennt. Es ist der Frieden, der von allen Seiten
gleichberechtigt angenommen wird. Und das ist der Grund, aus dem wir heute
das Schofar haben erklingen lassen; denn Ihr Besuch heute ist ein Zeichen,
ein Symbol für den Frieden, der auf der Welt herrschen muss. Ein Frieden
ohne Terror. Wenn wir diese fünf Säulen jetzt zusammenfassen, so bildet sich
hieraus eine Hand. Und obwohl sie fünf Finger hat, ist sie doch eins. Sie
ist eine Hand, die Hand des jüdischen Volkes. Und diese Hand gebe ich Ihnen
als ein Symbol des Friedens des jüdischen Volkes für alle Völker auf dieser
Welt.
Erlauben Sie mir abzuschließen mit dem letzten Satz aus
dem Kaddisch-Gebet in hebräisch und Deutsch:
"Osseh schalom bimromaw hu ja'asseh schalom aleinu we al kol israel. We'imru
Amen"
"Der Frieden stiftet in Seinen Höhen, Er stifte Frieden für uns und für ganz
Israel, sprecht Amen".
Es gilt das gesprochene Wort.
Begrüßung von Papst Benedikt XVI. durch Abraham
Lehrer, Vorstandsmitglied der Synagogen-Gemeinde Köln, am 19.08.2005 in der
Synagoge Roonstraße
Papst Benedikt XVI. bewegte bei seinem Besuch in
der Synagoge alle Herzen
Synagogen-Gemeinde Köln
hagalil.com 04-09-2005 |