Rumänien und der Holocaust:
Unterm Hakenkreuz
Im September soll das erste Institut zur
Erforschung der Shoah in Rumänien gegründet werden.
Von Roland Ibold
Jungle World 34 v.
24.08.2005
Mehr als 60 Jahre nach Kriegsende bekennt sich zum ersten
Mal eine rumänische Regierung offiziell dazu, dass auch das Land an der
Vernichtung der europäischen Juden beteiligt war. In dem neuen Institut zur
Erforschung der Shoah in Rumänien sollen 30 Wissenschaftler Informationen
über die Verfolgungen und Ermordungen sammeln und den Umgang mit dem Thema
in den Bereichen Bildung, Kultur und Medien wissenschaftlich begleiten.
Präsident Traian Basescu verwies im Januar während eines Treffens mit dem
israelischen Präsidenten, Moshe Katzav, anlässlich des Jahrestags der
Befreiung von Auschwitz darauf, dass das "rumänische Volk die Realität des
Holocaust in Rumänien akzeptieren müsse". Die neue konservative Regierung
bemüht sich mit Blick auf den erwünschten EU-Beitritt, den demokratischen
Schein zu wahren. Neuerdings wird die Vernichtung der rumänischen Juden auch
im Schulunterricht behandelt.
Das sah vor zwei Jahren noch ganz anders aus. Im Juni 2003 sorgte eine
Presseerklärung der rumänischen Regierung für Proteste der jüdischen
Gemeinde, aber auch im Ausland. Die sozialdemokratische Regierung hatte dem
Washingtoner Holocaust-Museum die Zusammenarbeit angeboten, aber zugleich
betont, "dass in den Grenzen Rumäniens von 1940 bis 1945 kein Holocaust
stattgefunden hat".
In einer Stellungnahme in der israelischen Tageszeitung Ha'aretz betonte der
damalige Präsident, Ion Iliescu, erneut die Überzeugung der Regierung: "Ich
sagte, der Holocaust sei ein gesamteuropäisches Phänomen gewesen. Es gab
keinen rumänischen Holocaust, keinen deutschen oder polnischen. Es handelte
sich um einen allgemeinen Prozess; innerhalb dieses europäischen Phänomens
hat es auch eine rumänische Komponente gegeben." Zur gleichen Zeit verlieh
er seinem Parteifreund, dem Ceausescu-Dichter Adrian Paunescu, einen hohen
Orden für kulturelle Leistungen, zu denen besonders die Rehabilitierung des
faschistischen Diktators Ion Antonescu zählt.
Unter dem mit dem nationalsozialistischen Deutschland verbündeten Regime von
Antonescu wurden 410 000 der 780 000 Juden, die damals in "Großrumänien"
lebten, ermordet. 100 000 Juden wurden in Auschwitz von den Deutschen
umgebracht. Der größere Teil starb während der Pogrome der rumänischen
Bevölkerung und der Armee sowie in den 50 Ghettos und 58
Konzentrationslagern im so genannten Transnistrien, das heute zur Ukraine
gehört. In diese Region deportierte der rumänische Staat Juden, Roma und
andere Minderheiten. Antijüdische Pogrome waren seit den zwanziger Jahren
keine Seltenheit in dem Land. In den dreißiger Jahren traten antisemitische
Gesetze in Kraft, die die Juden vom gesellschaftlichen Leben ausschlossen.
Und der Antisemitismus west kontinuierlich weiter. Verschwörungstheorien
über eine jüdische Weltherrschaft und der Kult um Antonescu werden von
Zeitschriften wie Atac la persona ("Persönlicher Angriff") oder Romania Mare
("Großrumänien") verbreitet. Attacken auf Vertreter der 12 000 Mitglieder
zählenden jüdischen Gemeinde und Friedhofsverwüstungen sind keine
Seltenheit. Auch die Großrumänien-Partei und die Bauernpartei beteiligen
sich an der antisemitischen Hetze.
Auf internationalen Druck sah sich die Regierung Iliescu 2002 gezwungen, den
Kult um den 1946 als Kriegsverbrecher hingerichteten Antonescu unter Strafe
zu stellen. Zwei Jahre später wurde der 9. Oktober zum Holocaust-Gedenktag
erklärt. Gleichzeitig rief die Regierung eine Kommission zum Thema Shoah in
Rumänien ein. Sie bestand aus Wissenschaftlern unter Leitung des
Friedensnobelpreisträgers und NS-Überlebenden Elie Wiesel, der 1928 in
Rumänien geboren wurde. Die Wissenschaftler werden in Zukunft an dem neuen
Institut tätig sein.
hagalil.com 01-09-2005 |