Netanjahus ungestümer Auftritt:
Über Sharon und Truthähne
Kommentar von Yoel Marcus, Ha'aretz, 02.09.2005
Übersetzung Daniela Marcus
Du wirst niemals einen Truthahn finden, der
darum bittet, dein Thanksgiving-Fest verfeinern zu dürfen, lautet
ein amerikanisches Sprichwort. Doch genau das schlägt Benjamin
Netanjahu seiner Partei vor. Er sagt den Ministern und
Knessetabgeordneten des Likud, sie sollen vorzeitige Wahlen
einberufen, den Rebellen und rechten Extremisten nachgeben und sich
von einer großen Partei, die ein Sortiment politischer Meinungen
darstellt, in eine kleine Bastion von Fanatikern verwandeln, was
sogar in einem großen Machtverlust enden könnte.
Mit einem ungestümen Auftritt bei etwas, was er eine Pressekonferenz
nannte, was aber eher wie eine Mini-Versammlung von
Parteisympathisanten dritten Ranges aussah, forderte Netanjahu
Sharons Regierung heraus. Er erschien bekleidet mit einem Anzug und
Krawatte, sein Haar war frisch gestylt, sein Gesicht geschminkt,
doch er war der gleiche alte Bibi aus seinen "Sie haben Angst"-Tagen
– schwitzend, nervös, unbequemen Fragen ausweichend, das Mantra "Ich
habe meine Lektion gelernt" wiederholend. Nach einem ähnlichen
Auftritt vor fünf Jahren, während dessen Netanjahu seine Absicht
erklärt hatte, gegen Sharon anzutreten, witzelte Uzi Landau: "Bibi
das Land regieren zu lassen ist das gleiche wie wenn man ein Kind
mit Streichhölzern spielen lässt."
Doch seit die ultra-rechten Fanatiker gekommen sind, um den Likud zu
übernehmen und Sharon zu stürzen, geben sie selbst einem Pyromanen
Streichhölzer in die Hände. Sie wollen Rache. Doch es ist schwer zu
sagen wofür. Für die Abkopplung selbst? Oder für die Tatsache, dass
Sharon der Nation und der Welt bewiesen hat, dass Siedlungen ohne
Blutvergießen und sogar mit großer Unterstützung der Bevölkerung
geräumt werden können? Sie wollen Sharon draußen haben, selbst wenn
der Likud in diesem Prozess die Hälfte seiner Knessetsitze verliert.
Sie sind von Bibi abhängig, um die Bremsen zu betätigen und
sicherzustellen, dass die Evakuierung der Siedlungen nicht
weitergeht, wie Sharon in einem Interview mit London und
Kirschenbaum angedeutet hat. Die Wahl des Zentralkomitees des Likud
am 26. September, die für 3.300 Mitglieder offen steht, wird
entscheiden, ob in 60 Tagen Vorwahlen für einen neuen
Likud-Vorsitzenden und Premierminister-Kandidaten stattfinden
werden. Wenn Sharon bei dieser Wahl eine Niederlage erleidet, wird
dies ein Schlag ins Gesicht sein. Nicht nur für den Likud, sondern
für das gesamte Land. Mit vorzeitigen Wahlen in der Luft und einem
geschwächten Premierminister, dessen politische Zukunft unsicher
ist, wird Israel nicht fähig sein, die Früchte der Abkopplung zu
ernten – eine Milliarde Dollar, um den Negev und Galiläa zu bebauen,
Amerikas Versprechen, hinsichtlich des Themas "palästinensisches
Rückkehrrecht" fest zu bleiben und die Unterstützung für Israels
Siedlungsblöcke.
Amerikas Bewunderung für Sharon und Europas Unterstützung für ihn
münden in Druck auf die Palästinenser. Die Abkopplung und gemeinsam
mit ihr die Überzeugung, dass Sharon "schmerzhafte Konzessionen"
machen kann und hinsichtlich der Roadmap Fortschritte erzielt werden
können, haben die globale Koalition gestärkt, die versucht, die
Palästinenser dazu zu bringen, ihre Terrororganisationen zu
demontieren. Indem es Verantwortung für die Philadelphi-Route
übernimmt, ist auch Ägypten dem Club derjenigen beigetreten, die ein
ernsthaftes Interesse daran haben, den Terror zu bekämpfen.
Israel sollte im Jahr 2006 vor den Wahlen im November alles nur
Mögliche tun, um mit der Roadmap vorwärts zu kommen und mehr
einseitige Schritte zu gehen. Die Wahlen vorzuziehen, nur weil es
eine Gruppe von Likud-Rebellen so sagt, ist purer Wahnsinn. Sharon,
der sich als der einzige Mann mit politischem Horizont entpuppt und
als der einzige, der fähig ist, die schmerzhaften Dinge zu tun, die
getan werden müssen, wird außer Gefecht gesetzt werden. Eine Partei,
die sich in einem Anfall von Wahlraserei befindet und ekstatisch den
Kriegspfad hinunterfegt, um ihren eigenen Anführer zu stürzen,
braucht keinen neuen Vorsitzenden. Sie braucht einen Psychiater.
Vielleicht hatte Ministerin Tzipi Livnat Recht als sie sagte, dies
sei kein Kampf zwischen zwei Gladiatoren, sondern ein Kampf darum,
wie der Likud geführt werden sollte. Eine Partei, die aus Respekt
vor einer extremistischen Randgruppe ihren eigenen Untergang
arrangiert, marschiert geradenwegs auf den kollektiven Selbstmord
zu.
Bibis Initiative bringt die persönlichen Pläne vieler
Likud-Aktivisten durcheinander. Gemäß letzter Umfragen wird der
Likud ohne Sharon Gefahr laufen, die Regierungsherrschaft zu
verlieren. Wie die Truthähne werden die Hälfte der
Knessetmitglieder, die derzeit im Amt sind und Hunderte von
politischen Mitarbeitern, von denen alle der politischen Mitte
angehören, nicht mehr für eine weitere Amtszeit zur Verfügung
stehen. Wichtig ist, dass Sharon nicht nach großen oder kleinen
Knallern sucht, denn dies hat bisher nicht gut funktioniert.
Stattdessen muss er absolut klar stellen, dass er, egal, was kommt,
in der Partei bleibt. Dass er innerhalb der Partei die Dinge auf
seine Art tut, selbst dann, wenn er dabei diejenigen konfrontieren
muss, die versuchen, unsere Chancen auf Frieden zu zerstören. Er
muss klar stellen, dass er der Chef des Likud und der Herr des
Hauses ist – und nicht die Rebellen oder deren Anführer Bibi, den er
entscheidend schlagen kann.
Bibis Brüllen ist Furcht einflößend. Doch jedes Mal während der drei
Begebenheiten, als er sich seine politischen Herzogs zur Seite
stellte, zuckte er mit der Wimper und lief davon. Sharon sagt, Bibi
habe kein Rückgrat? Das ist nicht ganz exakt. Er ist einfach nur ein
Papiertiger.
hagalil.com 02-09-2005 |