Haaretz:
Merkel gab Exklusivinterview
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
"Die Beziehungen mit Israel sind ein kostbarer Schatz, den
wir hüten müssen", sagte Kanzleramtsanwärterin Angela Merkel in einem
Exklusivinterview mit der linksliberalen israelischen Zeitung "Haaretz". Sie
sprach mit Adar Primor, führender politischer Redakteur der Zeitung und Sohn
des ehemaligen Botschafters in Bonn, Avi Primor. "Wir und die kommenden
Generationen müssen uns deshalb unserer Geschichte bewusst sein und der
Verantwortung, die sie beinhaltet. Wir müssen eine klare öffentliche
Position dazu einnehmen und enge Beziehungen mit der jüdischen Gemeinschaft
in Deutschland pflegen. Und natürlich müssen wir enge Beziehungen zu Israel
pflegen, mit persönlichen Begegnungen."
Merkel wird von Primor als "kräftige Unterstützerin der
Politik von Premierminister Ariel Scharon" bezeichnet. Sie distanziere sich
klar vom Lager der Rückzugsgegner. "Mit der Abkopplung hat Premierminister
Scharon einen sehr mutigen Schritt getan, der es mir erlaubt, optimistisch
in die Zukunft zu schauen. Dieser Schritt könnte in Israel einen neuen
Ansatz für den Friedensprozess schaffen", sagte Merkel.
Merkel anerkenne die führende Rolle der USA im Nahen Osten.
Gleichwohl solle sich Deutschland künftig stärker engagieren. Gerhard
Schröder und Scharon hätten sich schon lange Zeit nicht mehr getroffen,
schreibt Primor und erwähnt, dass Deutschland drei U-Boote der Dolphinklasse
aufgrund einer alten Absprache zwischen Konrad Adenauer und David Ben Gurion
sowie als Entschädigung für die irakischen Raketenangriffe während des
Irak-Krieges von 1991 erhalten habe. Schröder habe sich geweigert, mit
Verteidigungsminister Peter Struck über die Lieferung weiterer U-Boote an
Israel zu diskutieren. Ohne jetzt öffentlich darüber reden zu wollen,
behauptet Primor, dass Merkel nach den Wahlen "Israels Wünsche
berücksichtigen wolle". Als "Ossie"
habe Merkel gelernt, dass "Zionismus" ein Schimpfwort sei und Synonym für
Imperialismus. Doch ihr Vater, ein protestantischer Pastor, habe ihr eine
"ausgeglichenere Perspektive" beigebracht. Sie habe eine "warme Haltung zu
Israel", als Reaktion auf ihre kommunistische Erziehung.
Merkel sagte, dass sie während des Wahlkampfes neben dem "New
Yorker" nur Haaretz unter den ausländischen Medien ein Interview gewähre.
Eigentlich sei für jeden Kanzlerkandidaten ein Israel-Besuch ein "Muss".
Doch aus Zeitmangel sei das nicht möglich gewesen. So betrachte sie dieses
Interview als "Kompensation". Lachend fügte sie hinzu: "Und falls ich die
Wahlen verliere, wird sich ohnehin niemand mehr für mich interessieren."
Merkel betrachte den Antisemitismus als "ernstes Problem" und
schwörte, ihn zu bekämpfen. "Wir werden alle zur Verfügung stehenden
rechtlichen Mittel nutzen. Es ist wichtig, das gesellschaftliche Bewusstsein
für die Bedeutung des Antisemitismus als Hass auf die Menschheit zu heben."
Manchmal, so Merkel, seien sich die Menschen nicht der antisemitischen
Tendenzen bewusst. Deshalb wolle sie die Erziehung und Training gegen
Antisemitismus fördern. "Um das zu erreichen, wollen wir die
Austauschprogramme für Teenager aus Deutschland und Israel ausweiten, damit
möglichst viele deutsche Jugendliche Israel besuchen können und anders
herum." Zu Iran sagte Merkel: "Wir
haben ein gemeinsames Ziel: Iran (den Besitz) von Atomwaffen zu versagen."
Ein gemeinsames Angehen von Frankreich, Britannien und Deutschland,
unterstützt von den USA, sei der Schlüssel für eine politische Lösung.
© Ulrich Sahm / haGalil.com
hagalil.com 14-09-2005 |