Rabbinerin Britney
Spearsnik:
Koschere Groupies
von Robert Cohn
(für Pjotr S.)
Rabbinerin Britney Spearsnik ist ein steiler Zahn. Aber noch ist sie nicht
da. Man wartet auf sie, seit mindestens zwei Stunden. Die Hamburger St.
Sauli-Synagoge ist zum Bersten voll, Fernsehkameras wuchten hektisch durch
die Menge, die übertragen das Alles live auf dreißig Kanälen bis nach
Timbuktu und Buxtehude, das Warten ist ja schon Sensation genug, denn
Rabbinerin Spearsnik kommt!
Vor den Bildschirmen
fiebern Millionen mit, wenn nicht mehr, und Nachrichtensprecher hauchen seit
über zwei Stunden in mindestens siebzig Sprachen die neuesten Gerüchte über
die Spearsnik ins Mikrofon. Die Leute in der St. Sauli-Synagoge drängeln
sich wie die Dosenheringe vorn und hinten und überall, reißen die Augen auf,
quetschen sich, horchen und gucken und rufen und die Fernsehkameras weiden
sich an jedem Detail, an schwitzenden Körpern, Gesichtern, an tuschelnden
Schulmädchen, aufgeregten alten Herren, Managern mit ihren Joop-Jarmulken (1),
Othmarschener Künstlerinnen in irrsinnig schicken Gebetsmänteln (2),
Autonomen aus der roten Florah mit ihren Mugen Dovidl (3)
aus Stacheldraht, und sogar die Christenbischöfin aus St. Georg ist da und
sehr viele muslimische Gemüsehändler aus Altonah, und alle kommen sie ins
Fernsehen, denn die Zuschauer sollen ja nichts verpassen.
Der Raum wird immer
knallvoller, er ist ja nur für gut siebzehnhundert Leute gebaut, aber jetzt
schwitzen schon doppelt so viele drin, geht eigentlich kaum, aber es muss
halt. Die Geländer vorm Torah-Schrein (4)
ächzen, denn auch da sitzen Leute drauf, runterfallen können sie nicht, ja
nicht mal sich rühren. An den Säulen der Empore hängen Jeschiwastudenten (5)
wie die Trauben, von ihren Peies (6) perlt der
Schweiß. Sogar auf den Fensterbrettern drängen sich welche, die sind in vier
Metern Höhe, trotzdem ist alles voll da, Kunststück, und die Bocherim (7)
spähen von da oben kilometerweit nach Rabbinerin Spearsnik und rufen ganz
laut ihr "Britneyleben Britneyleben oj-oj-oj (8)!!"
Nur der Lesetisch (9)
in der Mitte muss frei bleiben, denn das geht ja nicht, dass sich die Fans
da auch noch drauf breit machen, so hats der St. Sauli-Synagogenvorstand
gestern beschlossen und so wurde das mit Lautsprecherwagen die Reeperbahn
hoch und runter bekannt gegeben und dazu im vollen Millerntorstadion, denn
auch die Jidden aus Beirut, die da gegen die St. Saulianer gespielt haben,
solltens wissen.
Also scheucht Kantor (10)
Feinbein jetzt jeden vom Lesetisch weg, der sich vielleicht doch draufsetzen
will. Die Tischkante drückt auf seine Rippen, aber er wahrt die Würde, denn
er hat so Einiges erlebt in seinem Leben, und gerade denkt er zum Beispiel
an das irre Gedränge vor der Jeschiwe (11) an
den Landungsbrücken letztes Jahr, als der römische Oberrabbiner Dr. Jossele
Ratsinger, leben soll er, die Torah ausgelegt hat, oj Gewalt, war das
Klasse, sogar die Scheichs aus Saudi-Arabien, extra dafür eingeflogen, haben
Allahu akbar! (12) gejubelt, und
der russische Präsident Wladechai Puttenheimer, leben soll er, ders am
Fernseher verfolgt hat, soll gesagt haben, dass wohl nur Mosche Rabbenu (13)
(soll leben) mehr über die Torah gewusst hat, ja, genau so stands in den
Zeitungen drin, sogar in den sefardischen (14)
aus Madrid und Kairo und Damaskus, und das will ja was heißen, wenn sogar
die Sefardim -.
Rabbinerin Spearsnik,
leben soll sie, ist immer noch nicht da. Kantor Feinbein versinkt wieder in
Erinnerungen, er tastet behutsam über die Marmorfläche des Lesetischs, den
sein seliger Großvater, auch Kantor, hier 1942 eingeweiht hat, als der alte
Reichspräsident Saul Hindenburger, leben soll er, die Platte gestiftet
hatte, hui, das waren Zeiten, und seine Finger tasten über die Inschrift des
kubistischen Bildhauers Ariel Breker-Levy, soll leben, und er vergisst kurz,
dass er sich hier seit zweieinhalb Stunden die Beine in den Bauch steht. Er
fühlt nach den hundert roten Rosen unter dem Lesetisch, HaSchem (15)
sei Dank, da liegen sie, keiner ist draufgetreten. Die hat Kantor Feinbein
heute Vormittag auf dem Spielbudenplatz gewonnen, da hat er einen Ring nach
dem anderen um die Hälse der Aschtraroth (16)
Bierflaschen geworfen, dreißig Stück und keinen daneben, das kann er halt,
denn er ist ziemlich cool, wenn er will. Es gab die hundert roten Rosen als
Preis, und die will er seit zweidreiviertel Stunden auf Rabbinerin Spearsnik
werfen (leben soll sie), eine nach der anderen, wenn sie doch mal endlich
käme. Kantor Feinbein steckt sich eine Salzpastille aus dem toten Meer in
den Mund, die sind so gut für die Stimme, er darf ja nachher für Rabbinerin
Spearsnik den Background singen, und er merkt gerade, wie aufgeregt er ist.
Da! Neues Gedränge in
der Tür! Oh, es ist nicht der Star, nur Bundespräsident Ignaz Bubis,
Vorsitzender der galizisch-polnisch-deutsch-französisch-italienischen
Staatenunion, der sich da reindrückt. Man macht ihm etwas Platz, das gehört
sich ja so. Kantor Feinbein winkt zu ihm rüber, und Herr Bubis winkt zurück,
ruft etwas, aber im Lärm ist das nicht zu hören. Gesundheitsminister
Friedman ist wieder mal nicht mitgekommen, aber der geht ohnehin sehr, sehr
selten in die Synagoge. Kulturminister Ilja Richter ebenso, der war schon
als Kind so doll weltlich gesinnt. Kantor Feinbein überlegt, ob das der
Grund sei, weshalb der Maschiach (17) noch
nicht gekommen ist – aber der kann sich mit dem Kommen sowieso ruhig Zeit
lassen, weil Alles ganz gut läuft, seitdem der römische Kaiser Konstantin (18)
einst zum Judentum übertrat.
Es dauert und dauert,
drei Stunden sind fast um, und Kantor Feinbein lässt seine Gedanken
schweifen. Heute morgen hat er in der Zeitung gelesen, dass US-Präsident Gad
W. Buczinski bald mit der kompletten Begrünung der Sahara fertig ist, und
das klappt so gut, dass die Touaregs, die schon zu richtigen Waldmenschen
geworden sind, ihn vorgestern für den Schalomnobelpreis vorgeschlagen haben.
Und dass eine chinesische Anarchogruppe letzten Monat diese wunderbare
magnetische Torah-Rolle (19) für den
Hänge-Betsaal in der Raumstation JSS gestiftet hat. Dann könnte der
Maschiach eigentlich kommen (übrigens, leben soll er). Aber vielleicht stört
es ihn, dass Yid Vicious and the dead Gaonim (20)
im seit drei Monaten völlig ausverkauften Mojo-Club spielen? Pah, die
sind gar nicht so schlimm wie ihr Ruf, denkt Kantor Feinbein, er hat sie ja
selber dort gesehen, inkognito. Und dann denkt er dran, dass der wirklich
letzte Krieg der Türkenkrieg (21) vor über
dreihundert Jahren war (Stichwort "unsere Türkenlejt vor Wien!"), den der
osmanische Sultan Süleyman der Feine und der aschkenasische (22)
Wahlkaiser Moischele IV von Horebsburg nach anderthalb Tagen Kanonendonner
schließlich im Caféhaus bei ein paar Kannen sehr starkem Mokka und mit ein
paar für Alle sehr vorteilhaften Staats- und Handelsverträgen beigelegt
hatten, wie man weiß. Seitdem überschwemmt der Großstaat Türkaustria, auch
Ösmanizien genannt, alle Weltnachbarn mit seinem herrlichen Dönerschmarrn,
Marillencharoset (23), Köftetscholent (24)
und Lemberger Nockerln, und Kantor Feinbein merkt, dass er gerade mächtigen
Hunger kriegt.
Er lutscht noch
schnell eine Salzpastille, man kann ja nicht wissen, ob Rabbinerin Britney
Spearsnik nicht bald reinkommt, und über den Maschiach weiß sie am besten
Bescheid, das ist jedem hier klar, und die Menschenmassen draußen vor der
Synagoge, die sich bis zum Millerntor, ja bis über die Ost-West-Straße
drängen, wissen das auch, und auch die Vielen vor dem Fernseher. Und dann
memoriert Kantor Feinbein noch eben mal den Gesang, den er gleich anstimmen
wird, und er muss sich darauf so konzentrieren, dass er kurz vergisst, was
das heute überhaupt für ein sehr, sehr schöner Tag ist.
Anmerkungen:
[1]
Jarmulke, jiddisch für die Kopfbedeckung beim Torah-Lernen und in der
Synagoge
[2]
Tallit, ein koscheres (=kultisch reines) dünnes Stoff-Rechteck, das in der
Synagoge getragen wird
[3]
jidd. für hebr. Magén Davíd = Schild Davids, Davidstern
[4]
hebr. Aharon HaKodesch, meist künstlerisch gestalteter Schrank (Heilige
Lade) in oder an der Ostwand der Synagoge für die Aufbewahrung der
Torah-Rollen
[5]
Jeschiwá, jidd. Jeschíwe, Talmud-Torah-Hochschule
[6]
Peies, jidd. für die traditionellen Schläfenlocken orthodoxer Juden
[7]
hebr. Burschen, Studenten
[8]
jidd. –leben wird traditionell an Eigennamen mit besonderer persönlicher
Bedeutung angefügt
[9]
hebr. Almemor bzw. Bima, der kultische Mittelpunkt der Synagoge. Tisch zum
Ausbreiten der Torah-Rolle und zum Vorlesen der Parascha, des
Wochenabschnitts, beim Schabbatg"ttesdienst (Schacharit)
[10]
hebr. Chasan, Vorsänger, der den G"ttesdienst leitet. Das kann ein
ausgebildeter Sänger sein, muss es aber nicht, denn im Judentum gibt es
keine Geistlichen
[11]
siehe Anmerkung 5
[12]
arab. "Allah ist groß"
[13]
hebr. "unser Lehrer Moses"
[14]
Die sefardischen Juden (Sefardim, von hebr. Sefarad = Spanien) lebten
während des Mittelalters im arabisch beherrschten Spanien, siedelten nach
den Vertreibungen durch die christliche Reconquista 1492 im Maghreb, der
Türkei und im Nahen Osten bis zum Balkan. Pogrome und Vertreibungen im 20.
Jahrhundert vernichteten das traditionelle Sefardentum fast ganz
[15]
hebr. "Der Name", traditionelle Anrufung G"ttes (meist jedoch "Adonai"), da
der Eigenname G"ttes nicht ausgesprochen wird
[16]
St. Pauli-Astra plus der überlieferte Götzenname Aschtaroth
[17]
Maschiach, hebr. Gesalbter. Nach dem jüd. Glauben wird er eines Tages
kommen, wenn alle Juden die Mitzwot (religiösen Gesetze) einhalten. Er
wird ein Mensch sein, kein "Sohn G"ttes", denn nach der Definition ist G"tt
Einer (hebr. "Adonai Echad") und er kann keinen Sohn haben. Niemand erklärt
den Maschiach zum Maschiach, wenn er kommt, sondern er wird von den Menschen
(egal, welcher Religion sie angehören) als solcher erkannt. Nu, wenn.
[18]
Kaiser Konstantin trat ca. 310 zum Christentum über
[19]
das müsste eine halachische (religionsgesetzliche) Meisterleistung sein,
denn Torah-Rollen bestehen aus dem Pergament koscher geschlachteter Kälber
und aus extra durch den Sofer (Torahschreiber) angerührter eisenfreier
Tinte, und aus weiter nichts
[20]
Gaonim, die Weisen, die bis zum 6. Jahrhundert den Talmud aufgeschrieben
haben. In der frühen Neuzeit kurzzeitig wieder Ehrentitel (der Gaon von
Wilna)
[21]
die Türken vor Wien, 1683
[22]
aschkenasisch, von hebr. Aschkenas = Deutschland, die Juden Mittel- und
Osteuropas. Siehe Anm. 13
[23]
Charoset ist eine der traditionellen Pessach-Speisen, bestehend aus Nüssen,
Mandeln, Feigen und Wein
[24]
Tscholent, Schabbatspeise aus Rindfleisch, Zwiebeln, Mohrrüben und Gemüse,
die seit Freitag vor Sonnenuntergang warm und langsam (altfrz. chaud et
lent) im Ofen sich selber gart, da man am Schabbat weder Feuer anzünden noch
löschen darf
hagalil.com 02-09-2005 |