"Female Genital Mutilation":
Kontrolle und Tabu
Im kurdischen Nordirak ist die
Genitalverstümmelung von Frauen weit verbreitet. Frauenorganisationen haben
eine Kampagne gegen die Praxis begonnen.
Von Sandra Strobel, Suleymania
Jungle World
35 v. 31.08.2005
Bekannt ist die Praxis der "Female Genital Mutilation"
(FGM) vor allem aus dem subsaharischen Afrika und Ägypten, wo einer
Untersuchung zufolge 97 Prozent aller verheirateten Frauen im Alter von 15
bis 49 Jahren an der Klitoris verstümmelt worden sind. Seit langem vermuten
Frauenorganisationen, dass diese brutale Praxis auch in anderen islamischen
Ländern weit verbreitet ist. Doch in Diktaturen wie Syrien, Saudi Arabien
oder dem Iran werden Informationen zu diesem Thema weitgehend unterdrückt.
Seit einiger Zeit beginnt sich dies allerdings, wenn auch
sehr langsam, zu ändern. So hat etwa die jemenitische Regierung nach Angaben
von Unicef einige Schritte unternommen, um Klitorisbeschneidungen zu
unterbinden. Und seit einiger Zeit wird auch in Irakisch-Kurdistan über
dieses Problem offen diskutiert.
Mitte der neunziger Jahre begannen Frauenorganisationen in
Suleymaniah die verschiedenen Formen von Gewalt gegen Frauen zu
thematisieren. Möglich war dies, weil diese Region nach 1991 dem
militärischen Zugriff der Diktatur Saddam Husseins entzogen war. Seitdem hat
sich im Nordirak eine rudimentäre Zivilgesellschaft entwickelt. Ersten
Berichten über Klitorisbeschneidungen, die das Fraueninformationszentrum
Rewan vorlegte, wurden allerdings kaum Glauben geschenkt. Offiziell ist
diese Praxis verboten, was dazu führt, dass sie, anders als in Afrika,
heimlich und unter äußerst unhygienischen Umständen durchgeführt wird.
Erst als vergangenes Jahr die deutsch-österreichische
Hilfsorganisation Wadi in
Germian, einer extrem armen und benachteiligten Region im Südwesten
Suleymanias, eine Studie unter 1500 Frauen durchführte, wurde das Ausmaß des
Problems bekannt: 907 der befragten Frauen waren beschnitten. "Wir waren
erschüttert als wir die Resultate sahen", sagte Suaad Abdulrahman, die
Frauenprojektoordinatorin von Wadi. "Wir wussten zwar, dass es diese
fürchterliche Praxis hier gibt, nicht aber, dass mehr als 50 Prozent der
Frauen betroffen sind." Hero Umar, eine Sozialarbeiterin aus Germian, die an
der Studie beteiligt war, erklärt, in der Regel würden die Mädchen im Alter
von vier bis sechs Jahren dem schmerzhaften Eingriff unterzogen. Dabei komme
es häufig vor, dass Mädchen verbluten.
Im Irak findet die so genannte Sunna-Beschneidung statt, bei
der äußere Schamlippen und Klitoris entfernt werden. Diese Bezeichnung nimmt
Bezug auf die Sunna, die islamische Überlieferung, der zufolge Mohammed
einer Beschneiderin die Anweisung gegeben habe soll: "Nimm wenig weg und
übertreibe nicht!" Im Koran dagegen wird die Frauenbeschneidung nicht
erwähnt. Deshalb herrscht unter den Klerikern Uneinigkeit. Einige
sunnitische Rechtschulen befürworten die Beschneidung, andere lehnen sie ab.
Unter Saddam Husseins Regierung wurde die Beschneidung von
Frauen geleugnet, deshalb fehlen umfassende statistische Daten. Auch die
kurdische Regionalregierung hat es bislang bevorzugt, das Problem
herunterzuspielen, erklärt Awad, der lange in einem Frauenschutzhaus
gearbeitet hat. Nun bereitet er, unterstützt von Hilfsorganisationen, eine
Studie im Nordirak vor. "Was wir brauchen, ist eine landesweite Kampagne
gegen Genitalverstümmelung. In Schulen, Kindergärten, Moscheen und in den
Medien muss dieses Problem thematisiert werden."
Bislang wird FGM als Familienangelegenheit und absolutes
Tabuthema behandelt. In der sehr patriarchalisch geprägten kurdischen
Gesellschaft spielt das Konzept der "Ehre" eine Schlüsselrolle. Die "Ehre"
der Familie ist direkt an das Sexualverhalten der Frauen gebunden und wird
mit Waffengewalt verteidigt. "Khatana, so der kurdische Name für FGM, warnt
das Mädchen auf brutalste Art davor, die Ehre der Familie in Gefahr zu
bringen. Das ist Besitzsicherung", sagt Runak Faraj, Geschäftsfüherin von
Rewan.
Die Praxis der Genitalverstümmelungen passt schlecht zu dem
Bild, dass die Kurden gerne nach außen vermitteln. Besonders Suleymaniah
gibt sich betont westlich, weniger Frauen als in anderen kurdischen Städten
tragen hier ein Kopftuch. Doch hinter dieser Fassade verbirgt sich eine
andere Realität. "Wir Frauen wissen alle, dass es für uns eine rote Linie
gibt, deren Überschreitung schnell tödlich verlaufen kann. Keine von uns ist
frei. Auch in Suleymania nicht, der modernsten Stadt Kurdistans," kritisiert
Nias, eine Studentin der Universität Suleymania, die gerade ihre
Magisterarbeit über Selbstmorde von Frauen beendet hat.
Stichproben von Rewan ergaben, dass selbst in Suleymaniah im
Jahr 2001 noch mindestens zehn Prozent der Frauen beschnitten waren. "In
Dörfern und den armen Stadtvierteln der Städte, in denen Traditionen und
Unwissenheit dominieren, liegt die Quote wesentlich höher", erklärt Nias.
Auf dem Land seien die Leute noch immer der Ansicht, unbeschnittene Frauen
seien schmutzig und könnten nicht kochen, weil sie ständig an Sex denken
würden.
Zudem unterstützen viele Kleriker die Beschneidung. Aber es
gibt auch gegensätzliche Entwicklungen. In Suleymania wurde sogar eine Fatwa
gegen Genitalverstümmelung von Frauen erlassen, doch ist dies vor allem in
Dörfern, in denen die Frauen weder lesen noch schreiben können, weitgehend
unbekannt. "Tradition ist ein wichtiger Pfeiler der kurdischen Gesellschaft.
Nur wenige haben Khatana bisher in Frage gestellt. Man macht es, weil es
schon immer so war, weil es alle machen und weil es eben gemacht werden
muss", sagt Nias. "Außerdem herrscht in unserer Gesellschaft ein völlig
unnatürliches Verhältnis zu Sexualität. Die Eltern reden mit ihren Kindern
nicht darüber und können ihnen deswegen nicht vertrauen."
Das größte Problem sei der Wunsch der Männer, totale
Kontrolle über ihre Frauen auszuüben. Befragungen haben allerdings ergeben,
dass vor allem ältere Frauen auf der Beschneidung ihrer Töchter oder
Enkelinnen bestehen. Dies mag auf Unwissenheit zurückzuführen sein, aber
auch die Angst, unbeschnittene Frauen könnten von ihrem Ehemann nach der
Hochzeitsnacht wieder nach Hause geschickt werden, spielt eine Rolle. Doch
selbst in den Dörfern beginnt sich etwas zu ändern. Fatima erzählt: "Meine
Mutter hat es bei mir und allen meinen älteren Schwestern getan. Aber bei
meinen jüngeren Schwestern habe ich es nicht zugelassen. 'Wenn du es
trotzdem machst, schneide ich dir deine Ohren ab!', sagte ich meiner
Mutter."
Dass verschiedene Medien über Klitorisbeschneidungen
berichtet haben, Frauenorganisationen Aufklärungskampagnen planen und
offener über die verschiedenen Formen von Gewalt gegen Frauen diskutiert
wird, sei erst der Anfang eines langen und schwierigen Prozesses, meint
Nias. "Früher, zu Saddams Zeiten hätte man uns einfach verhaftet oder wir
wären verschwunden." In Suleymaniah hofft man, dass die Aktivitäten gegen
FGM auch Wirkungen im restlichen Irak zeigen. Man ist sich sicher, dass
Frauen im ganzen Land unter dieser Praxis leiden, nur traue man sich im Süd-
und Zentralirak noch nicht, darüber zu sprechen. "Diese Gesellschaft fußt
wie in allen islamischen Ländern auf der Unterdrückung von Frauen", weiß
Suaad Abdulrahman, "erst wenn wir dies ändern, wird sich unser Traum von
einem Leben in Demokratie und Freiheit verwirklichen."
Weitere Informationen:
http://www.wadinet.de
hagalil.com 04-09-2005 |