Historische Tage:
Abzug ohne Hintertüren?Von
Ralf Bachmann,
Jüdische Korrespondenz 9/2005
Historische Tage, die dereinst in allen
Geschichtsbüchern als ein gravierender Einschnitt in die Entwicklung des
Landes registriert werden, liegen hinter Israel. Man kann Ministerpräsident
Ariel Scharon getrost abnehmen, wenn er sagt, die Räumung der jüdischen
Siedlungen im Gaza-Streifen sei ihm persönlich sehr schwer gefallen, gehörte
er doch selbst einst zu den Einpeitschern der Siedlerbewegung.
"Es ist kein Geheimnis, dass auch ich geglaubt habe, dass
wir ewig an Netzarim und Kfar Darom festhalten können", räumte er in einer
Rede an die Nation ein. Er verschwieg nicht, dass die Motive der Veränderung
seiner Haltung rein pragmatischer Natur sind: "Doch die sich wandelnde
Realität in Israel, in der Region und in der Welt hat mich dazu gebracht,
die Dinge anders einzuschätzen und meine Position zu ändern." Der General
hat die strategische Situation analysiert und festgestellt, dass sie
unhaltbar geworden ist.
Vizepremier Shimon Peres von der Arbeitspartei geht einen
Schritt weiter und erklärte gegenüber deutschen Journalisten: "Wir hätten
dort nie präsent sein dürfen. Es ist einfach sinnlos, dass 8 000 jüdische
Siedler unter 1,3 Millionen Palästinensern leben. Wir haben keine Zukunft im
Gazastreifen." Der militärische Schutz der isolierten Siedler-Inseln wurde
immer schwieriger und teurer, eine extreme Belastung der israelischen
Volkswirtschaft. Für Scharon gab es keine Alternative.
Und trotzdem: Verdient der nicht zu unrecht umstrittene
Politiker in dieser Sache Respekt. Als er sich vor zwei Jahren auf den Weg
begab, den er selbst "Abkopplungsplan" nannte, haben viele geglaubt, er
taktiere nur, andere, darunter die Mehrheit seiner eigenen Partei, kündigten
ihm die Gefolgschaft auf, wollten ihn stürzen, als sie merkten, dass es ihm
ernst ist. Nationalistische Extremisten und fanatisierte Siedler drohten ihm
mit Gewalt und Bürgerkrieg. Er ist konsequent auf dem Kurs geblieben, auf
dem er wohl nicht nur seine politische Existenz riskierte. Zwei Milliarden
Dollar haben die Umsiedlungen den Staat Israel gekostet, eine großzügige
Entschädigung der Betroffenen einberechnet.
Der Nutzen kann jedoch weit höher sein. Die Räumung ist
trotz fast unglaublich hasserfüllter Widerstandsaktionen erfolgreicher
verlaufen als in der aufgeheizten Atmosphäre zu erwarten war. Es ist den
zehntausend Gewaltbereiten nicht gelungen, das ganze Volk auf Dauer in
Geiselhaft zu nehmen. Den Nutzen haben vor allem die Palästinenser, die nun
nicht nur ein geschlossenes Siedlungsgebiet verwalten können, sondern denen
auch, um nur zwei Beispiele zu nennen, die befreundeten Emirate auf den
Ruinen der Siedlungen für 100 Millionen Dollar 3.000 Wohnungen errichten und
die dank Vermittlung und Finanzierung durch eine US-Bundesbehörde den
Großteil der riesigen Gewächshäuser in Gush Katif übernehmen können.
Sie müssen die nächsten Schritte tun, eine funktionierende
Verwaltung mit einer florierenden Wirtschaft anstreben und ihre politische
Werteskala vom Kopf auf die Füße stellen: Statt auf Terror und Rache auf
Empathie und friedliche Koexistenz setzen. "Der ausgestreckten Hand des
Friedens werden wir mit einem Ölzweig begegnen, doch auf Gewalt werden wir
mit Gewalt reagieren, kräftiger denn je", versprach und drohte Scharon in
einem Atemzug. Die Palästinenser sollten den Ölzweigtest wagen und die
Terroristen entwaffnen. Doch nach wie vor hängt viel von Israel ab. Gaza war
ein markanter Schritt.
Wer die Road Map zur Hand nimmt, wird schnell finden, dass
die Straße zum Frieden noch lang ist und durch manches verminte Gebiet
führt. Und auch im Inneren ist viel zu tun. Die Regierung hat versprochen,
dass sich die nationale Agenda nun ändern wird. "Die Wirtschaftspolitik wird
sich auf die Schließung der gesellschaftlichen Kluft und eine echte
Armutsbekämpfung konzentrieren können. Wir werden das Bildungssystem und die
persönliche Sicherheit jedes einzelnen Staatsbürgers verbessern." Das wird
notwendig sein, um den sichtbar gewordenen Riss in der israelischen
Gesellschaft zu schließen.
Wie eng Innenpolitik und Regionalpolitik auch künftig
verflochten sein werden, geht schon aus der Tatsache hervor, dass in Israel
neben 5,26 Millionen Juden 1,35 Millionen Araber leben.
hagalil.com 05-09-2005 |