Hoffnungen und Erwartungen:
Gazas wirtschaftliche Zukunft
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Mit der Räumung der Siedlungen und dem Abzug der
israelischen Truppen aus dem Gazastreifen müsste jetzt für die Palästinenser
ein Paradies ausbrechen. Denn gemäß deren Darstellungen haben die
israelischen "Landräuber" für ihre Swimmingpools alles Wasser gestohlen und
so die Misere im Gazasteifen verursacht. Doch statt Hoffnung auszustrahlen,
verkünden Palästinenser jetzt schon künftige Schuld Israels für die Misere.
Durch israelische Kontrolle der Außengrenzen werde der Gazastreifen nun erst
recht ein "Freiluftgefängnis". In
der Tat will Israel seine eigene Grenze zum Gazastreifen schließen und auch
den Zugang vom Meer kontrollieren, um das Einschmuggeln von Waffen zu
verhindern. Ägypten soll die restlichen 11 Kilometer Grenze bewachen. Die
Palästinenser können nach Ägypten ausreisen, der Warenverkehr soll aber über
Israel geschleust werden. Denn solange die Palästinenser den Schekel als
Währung benutzen und mit Israel eine Zollunion haben, sollen die Waren
identisch mit Mehrwertsteuer und Zoll belastet werden. Solange der
Gazastreifen fast ausschließlich mit Israel Handel treibt, in beide
Richtungen, macht das auch Sinn, verletzt aber palästinensischen Stolz.
Die Armut im Gazastreifen ist augenfällig, nicht erst seit
Ausbruch der Intifada ab Oktober 2000. Unverputzte Häuser, knapp einen Meter
breite Gassen mit offen fließender Kloake in den Flüchtlingslagern und
unbeschreibliche Mengen Abfall, wohin das Auge reicht. Eselskarren wechseln
sich ab mit teuren Limousinen. Der
Gazastreifen mit etwa 1,4 Millionen Einwohnern ist winzig: nur 360
Quadratkilometer. Der Landstreifen grenzt 11 Kilometer lang an Ägypten und
51 Kilometer an Israel. Hinzu kommen 40 Kilometer schönster Sandstrand. In
Gaza drängen sich 3090 Menschen auf einen Quadratkilometer. Doch
Bevölkerungsdichte allein ist kein Grund für Elend, denn sechs Länder sind
noch dichter besiedelt: Macao, Monaco, Hongkong, Singapur und Gibraltar. In
der Alterstruktur schlägt nur Uganda den Gazastreifen. Mit 48 Prozent unter
14 Jahren bedeutet Kindersegen einen Fluch. Die gleiche Statistik liefert
mit 3,77 Prozent Bevölkerungswachstum weltweit die höchste Geburtenrate nach
Afghanistan und Mayotte. 81 Prozent leben unter der Armutsgrenze. Kein
Wunder bei vermutlich 60 Prozent Arbeitslosigkeit und einem
Bruttosozialprodukt von 558 Dollar per Capita. Im Vergleich mit den ärmsten
Ländern der Welt bildet der Gazastreifen ein Schlusslicht.
Bisher war Gazas größtes Kapital die billige Arbeitskraft.
Bis zu 122.000 Männer aus Gaza wechselten täglich nach Israel zur
Tagelöhnerarbeit. Solange es kaum Terror gab, war der Zugang unkontrolliert.
Mit der Rückkehr Arafats nach Gaza begannen israelische Schließungen. Ein
elektronischer Zaun um Gaza schleuste den Menschenverkehr durch den
Erez-Übergang. Mit Zunahme der Terroranschläge wurden die Kontrollen härter
und langwieriger. Immer weniger Palästinenser erhielten eine Magnetkarte.
Schließlich versickerte der Strom völlig.
Eine beschränkte Alternative boten Industrieparks im
Grenzgebiet. Israelische Unternehmer profitierten von billiger
palästinensischer Arbeitskraft, während den Palästinensern die mühselige
Reise nach Israel erspart blieb. Bis Anfang dieses Jahres "blühte" das
Erez-Zentrum. 4000 Palästinenser verdienten halb so viel wie in Israel, aber
doppelt so viel wie in Gaza, wo es kaum Arbeitsplätze gibt. Nach
Selbstmordattentaten und Raketenangriffen wurde es den Israelis zu
gefährlich. Die Palästinenser wurden entlassen und das Industriezentrum ist
geschlossen. Von der internationalen
Gemeinschaft finanzierte Infrastruktur fiel den kriegerischen
Auseinandersetzungen zum Opfer. Das berühmteste Beispiel ist der "Jassir
Arafat Flughafen". Weil der damalige Palästinenserpräsent dreimal die Woche
ins Ausland flog und kistenweise Waffen in den Gazastreifen schmuggelte,
pflügte Israel die Landebahn um und stellte Arafat unter "Hausarrest". Ein
Kulturzentrum in Gaza wurde nie fertig, ebenso das riesige EU-Hospital. Es
sollte zwei Wochen nach Ausbruch der Intifada in Betrieb genommen werden.
Als europäische Spender es mit vierfachen Kosten fertig gestellt hatten,
bemerkten sie, dass es kein Fachpersonal gab.
Nur einen Tag vor Beginn des israelischen Rückzugs kam ein
Vertrag zwischen israelischen Siedlern und amerikanischen Vermittlern
zustande. Für einen Teil der Gewächshäuser sollen die Siedler Kompensation
erhalten. Die amerikanischen Vermittler wollen diesen blühenden
Industriezweig den Palästinensern weiterverkaufen. Wäre dieses Geschäft
früher zustande gekommen, in direkter Kooperation, hätten die Palästinenser
auf einen Schlag tausende Arbeitsplätze gewonnen und eine hochspezialisierte
Landwirtschaft mit einem Umsatz in Millionenhöhe. So aber sind einige
Triebhäuser abgerissen, einige wurden von Siedlern in Brand gesteckt und in
anderen sind die Computer für die automatische Bewässerung von Orchideen,
Weihnachtssternen und Nelken demontiert worden. Wie die Siedler wollten die
Palästinenser bis zuletzt nicht glauben, dass Scharon es mit dem Rückzug
ernst meinte. Voraussetzung für die
Landwirtschaft ist Süßwasser und das ist Mangelware. Seit Einrichtung der
Autonomiebehörde 1994 wurden in vielen Hinterhöfen unkontrolliert etwa 400
Brunnen gegraben. Der Küstenstreifen "schwimmt" auf einem unterirdischen
Süßwassersee, den Winterregen füllt. Doch der Raubbau des Wassers hatte eine
unumkehrbare Folge. Seewasser aus dem Mittelmeer drückte sich in die
leergepumpten Süßwasserschichten und versalzten das Wasser. Im
Palestine-Hotel am Strand von Gaza hängt an jedem Wasserhahn ein Schild:
"Kein Trinkwasser". Zu genießen ist nur importiertes Mineralwasser. Das
Argument, dass die Siedler den Palästinensern das Wasser "stehlen", dürfte
kaum stimmen, denn im Sommer wird Wasser aus dem See Genezareth auch in den
Gazastreifen gepumpt. Neben 112.000 Tonnen Kochgas und 660 Millionen
Kilowattstunden Strom bezieht der palästinensische Gazastreifen 13 Millionen
Kubikmeter Wasser aus Israel. Große
aber wohl wenig reale Hoffnungen setzen palästinensische Sprecher in den
Tourismus. Der Strand könnte Besucher anlocken, aber die Hamas will keine
Bikinis dulden. Ob europäische Frauen sich mit knöchellangen dunklen
Gewändern in die Wellen stürzen mögen, darf bezweifelt werden.
Die Stadt Gaza wirbt auf ihrer Homepage für Touristen. Doch
das "großartige historische Erbe" wurde durch Vernachlässigung gestohlen
oder liege unter Häusern und Sand versteckt. "Es sollte ausgegraben werden,
um unsere tief verwurzelte arabische Identität zu demonstrieren in einer
Zeit, wo wir einem fremden Feind (Israel) gegenüberstehen, der keinerlei
Geschichte hat." Gaza sei sogar bei "Herodos", dem Vater der
Geschichtsschreibung, erwähnt. Der Autor verwechselte offenbar den König
Herodes seiner geschichtslosen Feinde mit dem griechischen Autor Herodot.
© Ulrich Sahm / haGalil.com
Konkurrenzkampf:
Palästinensische Autonomiebehörde gegen
Hamas
Abu Mazen rief zur Durchsetzung der Road-Map auf...
Auflösung der palästinensischen
Terrororganisationen gefordert:
Der Gazastreifen ist ein
Modellfall
Ohne Auflösung der palästinensischen Terrororganisationen wird sich nichts
bewegen...
Verschiedene Optionen:
Gaza füllt das "Sommerloch"
Der Abzug aus dem Gusch Katif gestaltet sich zu einer teilweise
peinlichen Affäre für Israels Juden zu entwickeln. "Peinlich" bedeutet
-schmerzhaft-aber auch ärgerlich...
hagalil.com 21-08-2005 |