Messianische Hoffnungen auf biblische Grenzen:
Ein nationales Trauma
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Der Sechs-Tage-Krieg von 1967 weckte messianische
Hoffnungen auf einen jüdischen Staat in den biblischen Grenzen. Vor Allem
die Eroberung der Altstadt Jerusalems mit Tempelberg und Klagemauer bot
nationalreligiösen Träumen den Nährboden.
Ähnlich wie die Aufteilung in links und rechts in Deutschland, hat auch der
jüdische und später israelische Nationalismus gegensätzliche Richtungen
entwickelt. Es hat nie ein "zionistisches Programm" gegeben. Vielmehr
betonten linke Zionisten gesellschaftliche Werte, während den Rechten das
Territorium wichtiger war.
Schon lange vor der Staatsgründung gaben die Sozialisten den Ton an. Unter
David Ben Gurion riefen sie 1948 den Staat aus und gestalteten ihn bis 1977.
Weder die Größe des Landes noch der Zugang zu den Stätten jüdischen Glaubens
hatten Priorität. Allein die Schaffung eines sicheren Asyls für Juden aus
aller Welt stand im Vordergrund. David Ben Gurion akzeptierte deshalb
Minimalgrenzen entsprechend des UNO-Teilungsplanes von 1947 und konnte sich
1949 mit dem Verlust Ostjerusalems abfinden. Die Staatsgründer standen unter
dem Eindruck des Holocaust. Millionen Menschen hätten überlebt, wenn es
schon in der Nazizeit einen jüdischen Staat gegeben hätte. Unmittelbar nach
der Staatsgründung setzte die Massenflucht von Juden aus allen arabischen
Ländern ein. Israel nahm mehr Juden aus arabischen Ländern auf, als zuvor
Araber aus den jüdischen Gebieten geflüchtet sind.
Erst nachdem sich Israel als nahöstliche "Supermacht" etabliert hatte, war
die Zeit reif geworden für territoriale Ansprüche. Die "Rechten" unter
Menachem Begin schufen die "politische Siedlungspolitik" und lösten so die
militärstrategischen Überlegungen der Sozialisten beim Festlegen des
Standorts neuer Siedlungen ab. Die Rückkehr der 1929 aus Hebron vertriebenen
Juden ist die wichtigste Ausnahme dieser Regel.
Selbst die "Rechten" änderten trotz ihrer Ansprüche auf die "biblische
Heimat" nichts am Status der besetzten Gebiete. Außer Ostjerusalem, das
schon 1967 erweitert und annektiert wurde, folgten der Eroberung des
Westjordanlandes von Jordanien und des Gazastreifens von den Ägyptern keine
politischen Schritte. Ausgerechnet Ariel Scharon bewies 1982 im Sinai, dass
"Tatsachen vor Ort", Siedlungen, rückgängig gemacht werden können.
Amtsvorgänger Ehud Barak war bereit, Teile des annektierten Jerusalem
aufzugeben.
Das Festhalten am Status der besetzten Gebiete war wegen demographischen
Bedenken notwendig, den arabischen Bevölkerungsanteil Israels nicht zu
vergrößern. Der "linke" Ministerpräsident Jitzhak Rabin löste das Dilemma,
indem er im Rahmen der Osloer Verträge die arabischen Städte und über 95
Prozent der Palästinenser in eine Selbstverwaltung entließ, obwohl Jericho,
Bethlehem und Sichem (Nablus) im Mittelpunkt der biblischen Geschichte
standen. Premierminister Benjamin Netanjahu zerbrach bei den "Rechten" den
Traum eines "Großen Landes Israel", indem er Teile der Stadt der Erzväter,
Hebron, an die palästinensische Autonomie übergab. Für religiös gefärbte
Ideologen ist es eine schmerzhafte historische Tatsache, dass die
Palästinenser mehrheitlich in biblischen Gefilden leben, während sich der
jüdische Staat im biblischen Philisterland entlang der Mittelmeerküste
etabliert hat.
Gleichwohl sterben Ideologien nicht einfach, vor Allem wenn sie mit
irrationalen religiösen Glaubenssätzen versetzt sind. Wer glaubt, muss keine
Beweise liefern und kann Realitäten wegzudiskutieren. Fromme Siedler
behaupten gar, dass Erzvater Abraham in der isolierten Siedlung Netzarim
gewesen sei.
Die Rückzugsgegner zählen zu den rechtsgerichteten frommen Ideologen. Ariel
Scharon hingegen ist nicht fromm und war niemals ein Ideologe. Als
pragmatischer Politiker besinnt er sich heute wieder auf die Grundsätze
David Ben Gurions, einen jüdischen Staat als sicheres Asyl für alle Juden zu
garantieren. Ebenso knüpft er an die Politik Rabins und Netanjahus an, indem
er Gebiete an die Palästinenser abgibt, die nicht in sein Konzept Israels
als jüdischer Staat in sicheren Grenzen passen. Für die Räumung von
Siedlungen wie für die Übergabe "biblischen" Landes an die Palästinenser
gibt es schon Präzedenzfälle. Scharon handelt wie seine Vorgänger in einer
schnell wandelnden Realität im Nahen Osten. Er definiert die Interessen
Israels und passt sie der Wirklichkeit an.
Solange kein arabischer Staat zu Frieden mit Israel bereit war und die PLO
sich als politische Kraft noch nicht etabliert hatte, konnte Israel die
besetzten Gebiete nur mit zivilen Siedlungen unter Kontrolle halten. Heute
erweisen sich diese Siedlungen als Hindernis. Deshalb beschloss Scharon die
Räumung des Gazastreifens, trotz der Gefahr, die Minderheit der
ideologischen Rechten vom Rest der Bevölkerung zu entfremden. Die Mehrheit
der Israelis, Linke wie Rechte, stimmt heute jedoch der Räumung der
Siedlungen zu, so wie sie bis vor wenigen Jahren deren Errichtung
mitgetragen hat. © Ulrich Sahm /
haGalil.com
hagalil.com 18-08-2005 |