Erwiderung zum Leserbrief von Uwe Dieter Steppuhn
Von Matthias Küntzel, 15. August 2005
Herr Steppuhn reagiert mit seinem Leserbrief paradoxerweise auf ein Papier,
dessen Veröffentlichung in der vorgesehenen Form er selbst verhindert hat.
Sein Brief hätte gut auch mit den Worten beginnen können: "Ich habe dafür
gesorgt, dass der im Auftrag des Leitungskollektivs der
Hans-Böckler-Stipendiaten angefertigte und für eine öffentliche
Stiftungspublikation vorgesehene Aufsatz Unschuld und Abwehr in
keiner Schrift unseres Hauses erscheinen wird. Diese Entscheidung, die bei
den Stiftungsstipendiaten auf Erstaunen stieß, begründe ich wie folgt...."
Hiervon ist keine Rede. Stattdessen zeugt der Leserbrief von
Selbstgerechtigkeit. Zwar habe es "die absolut inakzeptable antisemitische
Stellungnahme eines Stipendiaten" – den berühmten Einzelfall, also –
gegeben. Davon abgesehen könne man "der Stiftung und ihren Stipendiatinnen
und Stipendiaten" eigentlich nur Beifall zollen: "sehr wichtig" sei die
Auseinandersetzung gewesen, "richtig" die Schlussfolgerung, und "positiv"
die Antwort.
Erst im letzten Absatz kommt Herr Steppuhn auf den zwischen ihm und mir
kontroversen Punkt: "Wir werden nicht nachlassen, weitere Seminare und
Veranstaltungen durchzuführen", ANSTATT die antisemitischen Äußerungen im
eigenen Hause zu skandalisieren oder auch nur coram publico zu
thematisieren.
Ich habe Herrn Steppuhn positiv angerechnet, dass er auf die antisemitische
E-Mail eines Doktoranden prompt und prinzipiell reagierte. (Wie ich erst
nach Abfassung meines Aufsatzes erfuhr, hatte sich zuvor der amerikanische
Politikprofessor Andrei S. Markovits, ein langjähriger Freund der Stiftung
und der deutschen Gewerkschaften, an die Leitung der Böckler-Stiftung
gewandt und sein Unverständnis über die Verbreitung dieser E-mail
artikuliert.)
Wichtiger als diese E-Mail erwies sich jedoch die anschließende, von
antisemitischen Stereotypen durchsetzte Auseinandersetzung unter den
Doktoranden. "Die Stiftung" ist "heftig erschrocken über die gesamte
Debatte", heißt es in einem internen Protokoll.
Natürlich ist es lobenswert, wenn die Böckler-Stiftung den Antisemitismus
"grundsätzlich und öffentlich" zum Thema macht. Ihr Seminar über den
Antisemitismus ist in Unschuld und Abwehr erwähnt. Dieses Engagement
droht jedoch zu einer Pflichtübung zu verkommen, solange der erschreckende
"konkrete Konflikt" in den öffentlichen Debatten ausgeklammert bleibt.
Es ist nachvollziehbar, dass die Stiftung eine Skandalisierung im Sinne
dessen, was die Amerikaner "finger-pointing" nennen, vermeiden will: Niemand
schwärzt sich selbst gerne an. Gleichwohl muss die Zunahme antisemitischer
Stereotype im Bewusstsein der jungen akademischen Elite hierzulande laut und
deutlich skandalisiert werden – nicht als Böckler- sondern als öffentliches
Problem.
In Unschuld und Abwehr habe ich nicht skandalisiert, sondern
analysiert. Dennoch teilte mir bis heute niemand mit, aus welchen
inhaltlichen Gründen die Stiftung den von ihr bestellten Aufsatz nicht
veröffentlicht hat und in der für Herbst 2005 angekündigten Dokumentation
auch weiterhin nicht veröffentlichen will.
In allen deutschen Stiftungen tauchten in den letzten Jahren verstärkt
antisemitische Stereotype unter Doktoranden auf. Bis heute schweigt sich
jede dieser Stiftungen Einzeln darüber aus. Klärung setzt Öffentlichkeit
voraus. Die Böcklerstiftung hat mit ihrer Weigerung, den hausinternen Streit
exemplarisch öffentlich zu machen, eine Chance vertan.
Leserbrief zum
Beitrag "Unschuld und Abwehr" von Dr. Matthias Küntzel
Matthias Küntzel fragt am Schluss seines Beitrages, ob die
Hans-Böckler-Stiftung und ihr Stipendiatenkreis aus der Debatte über ein
"antisemitisch gefärbtes" Diskussionspapier, das in einem internen
E-Mail-Verteiler kursierte, wohl "die richtigen Schlussfolgerungen ziehen"
werde. Die Frage ist berechtigt, die Antwort positiv...
Unschuld und Abwehr:
Über einen Antisemitismusstreit
in der Hans-Böckler-Stiftung
Bis heute ist der stiftungsinterne Antisemitismusstreit, der
im Februar 2003 auf der Mailing-Liste der Böckler-Stipendiaten aufflammte,
unter Verschluss geblieben...
hagalil.com 16-08-2005 |