Von Schimschi Zahubi,
inzwischen wieder in Haifa
Aus der Feder eines weisen Mannes stammt der Ausspruch, wonach der
fortgeschrittene Antisemit auf leibhaftige Juden gar nicht mehr angewiesen
ist.
Beispielsweise wird die populäre, rechtsgerichtete Bewegung im modernen
Ungarn zwar antisemitisch geschimpft, sie richtet sich jedoch gegen alles,
was nicht national ungarisch aussieht. Dazu gehören zwar auch Juden, egal
seit wie vielen Generationen im Lande, betroffen sind aber hauptsächlich
alle liberal denkenden Freigeister - und, weil für jeden etwas dabei sein
soll, Ausländer.
Der Mythos des permanent Verfolgten lastet davon unabhängig auf den
Juden, was noch immer jeder schnell begreift, was mancher sogar praktisch
findet, wenn's darum geht schnell ein Zusammengehörigkeitsgefühl
herzustellen.
Hinter dem ehemaligen, eisernen Vorhang, aber auch im früheren
Jugoslawien geistern Juden umher, die es schon lange nicht mehr als
Lebewesen gab, als Gespenster also, als Verkörperung allgemeiner Bedrohung,
die sich in der Furcht vor zugewanderten Fremdlingen äußert. Zum einen vor
solchen, die sich allmählich anpassen könnten, oder, was noch übler wäre,
vor solchen, die dies verweigern würden, um ihre eigene Kultur beizubehalten
- mithin die vorhandene als minderwertig ansehen. Kurz und gut, das jüdische
Verhalten schlechthin.
Betritt man nun aber ein ländliches Zuhause in Kroatien, lächelt einem
der beliebteste aller Juden, Jesus von Nazareth, vom Kreuz aus an. In dieser
qualvollen Position hat er die Herzen der Nichtjuden im Sturme erobert. Wo
hingegen einer wie Ariel Scharon, der dank seiner Körperfülle kaum zu
übersehen ist, Angst und Schrecken verbreitet und Ablehnung hervorruft. Mit
kämpferischen Juden, die man nicht mal verteidigen kann, kann man nun
wirklich garnichts anfangen. Ans Kreuz genagelt sind sie einfach
sympathischer!
So bereist man die Lande, stattet Besuche ab, und lässt sich voller Dank
vor einem Fernsehapparat nieder, der eine deutsch gesprochene Diskussionen
bringt zum Thema: Sollte man der Türkei den Zutritt zu Europa gestatten oder
nicht?
Schon wieder ein jüdisches Thema. Passen "die" überhaupt zu uns, oder
wäre es uns lieber, sie würden eindeutig als nicht kompatibel erkannt, um
uns die Ablehnung zu erleichtern. Erschrocken fährt es einem durch den Kopf,
dass das Denken des zivilisierten Menschen, eines Bürgers Europas, nicht
allzu weit gekommen ist. Seit dem Dritten Reich hat sich zwar viel geändert,
doch in den Köpfen kribbelt es wie Anno dazumal. Wenige Schritte in Richtung
Steinzeit, Völker kämpfen um Lebensraum, gegen andere, die eben diesen für
sich beanspruchen, sich im Kampf gewisser Gepflogenheiten befleißigen,
andere, die dies nicht so tun, ausgrenzen, und schon Grenzen in den Ideen
errichten, bevor ebensolche um die Länder gezogen wurden, Nationen entstehen
lassen, und damit Gegner definieren, immer wieder das gleiche tun, nur um
letztlich einzelnen Individuen die Möglichkeit einzuräumen, vor den anderen
als mächtig aufzutreten, und die Mehrheit ins Verderben eines Krieges zu
reißen.
Schlachtfelder in allen Urlaubsgebieten, Bilder von heldenhaft im Kampf
gefallenen, die auf dem Fernsehapparat stehen, daneben eine venezianische
Kunststoffgondel, eine Erinnerung an den Urlaub in Italien. Das gleiche
Schicksal schweißt zusammen, der selbe Feind, der ähnliche erlebte Irrsinn
des Krieges, dies sind die Wege auf denen sich eine Nation formt. Und dies
sind auch die Wege, die zur Ausgrenzung anderer führen.
Der andere ist derjenige, der nicht dabei war, als gerade alle zusammen
einem Missverständnis hinterhergelaufen waren, um mit Waffengewalt das
vermeintliche Recht zu erreichen. Doch wehe dem, der den gemeinsam
begangenen Irrsinn als solchen bezeichnet! Man verstünde nichts von der
ehrenvollen Geschichte eines Volkes, was sei man überhaupt für ein Mensch?
Waren denn all die Toten im Kampfe umsonst gewesen?
Eine derartige Entfremdung von jedweder geheiligter Nationalidee bringt
hurtig in Lebensgefahr. Also packt man seine sieben Sachen, hastet zum
Automobil und flüchtet über die neu errichteten Schnellstrassen, Wege zur
Verbindung von Völkern, zur Verbesserung des Lebensstandards, zur Reise in
den Urlaub.
Sie stellen aber auch eine Gefahr dar, nicht nur bezüglich eines
Verkehrsunfalls der bekannten Art, sondern eben auch eines Unfalls, der auf
Missverständnissen beruht: Jetzt wo es die Strasse gibt, da kann man
hinfahren und mit allen über alles reden - eine Welt voller Juden, viele
Meinungen aber noch mehr Missverständnisse. Aber, wie doch schon an anderer
Stelle erwähnt, die Ursache allen Irrtums liegt in der endlos vielseitig
auslegbaren Geschichte der Heiligen Schrift verborgen - und diese ist die
Grundlage des -- jüdisch, christlichen, europäischen Weltverständnisses.
Im Rückblick der Ereignisse seit dem Auszug aus Ägypten, sieht die Welt
der Menschen so aus, wie sie von den Juden beeinflusst wurde. Der Weg, den
ER für die Menschen vorgesehen hatte, wurde beschritten, in vielen Ländern
funktioniert das gesellschaftliche Leben sogar recht gut, so dass es kaum
noch zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommt, obzwar sich jene noch
immer wie ein roter Faden durch das Leben des "auserwählten Volkes" ziehen.