In einem Kommentar für die
Tageszeitung Al-Nahar wirft Jibran Tueini, libanesisches
Parlamentsmitglied und Herausgeber der Zeitung, der Hizbullah vor, als
Staat im Staat zu agieren und den Willen des libanesischen Volkes zu
missachten. In seinem Beitrag vom 11. August kritisiert er die
Organisation, eher den Interessen Syriens und des Iran zu dienen, als
denen des Libanon. Tueini tritt für die Stationierung der libanesischen
Armee an der Grenze zu Israel ein [1]. Syrien wirft er vor, genau das
verhindern zu wollen.
Tueini reagiert mit seinem
Artikel auf eine Aussage des stellvertretenden Generalsekretärs der
Hizbullah, Na’im Qasim, wonach die Hizbullah ihre Waffen auch dann nicht
abgeben würde, wenn sich Israel von den Sheba-Farmen [2] zurückzöge:
"Der Widerstand", so Na´im Qasim, "ist nicht nur als Schritt zur
Befreiung der Sheba-Farmen zu begreifen. Angesichts des Ausmaßes der
Bedrohungen, denen wir durch Israel ausgesetzt sind, ist es unbedingt
notwendig, den Widerstand zum Schutze des Libanon aufrecht zu erhalten."
[3]
Im Folgenden dokumentieren wir
Auszüge aus Tueinis Artikel [4]:
'Syrien und der Iran wollen
den Libanon zum Schauplatz regionaler und internationaler
Auseinandersetzungen machen'
"Die Bürger haben das Gefühl,
dass die Dinge außer Kontrolle geraten sind. [...] Die neue Regierung
muss sich darüber klar werden, dass sie kein Instrument von Syrien mehr
ist. Vielmehr ist sie wie ein Körper, der die Kontrolle über seine
Funktionen wiedererlangt hat. Und diese Funktionen bestehen im Schutz
der Souveränität und Unabhängigkeit. Sie muss jene, die das offenbar
vergessen haben, daran erinnern, dass der Libanon nicht hilflos ist und
kein Protektorat braucht. Daher sollte sich die Regierung ohne Angst vor
möglichen Schwierigkeiten deutlich positionieren und eine eindeutige
Politik formulieren [...] und die Rechte des Heimatlandes und seiner
Bürger verteidigen. [...]
Die gegenwärtige Krise an der
libanesisch-syrischen Grenze ist Teil des Versuchs von Damaskus, Beirut
zu erpressen. [...] Außerdem sind da noch die aktuellen Spannungen
zwischen Syrien und dem Iran auf der einen und den USA auf der anderen
Seite. In diesem Zusammenhang versuchen nun Syrien und Iran neben dem
Irak auch den Libanon zum Schauplatz der Krise zu machen.
Aus diesem Grund weht an der
libanesisch-syrischen Grenze entweder ein ‚kalter’ oder ein ‚heißer’
Wind, je nachdem, was im Irak und in der Atomkrise zwischen Iran und dem
Westen gerade passiert.
Zweifellos stellt der erneute
Versuch, den Libanon zum Schauplatz aller möglichen regionalen und
internationalen Auseinandersetzungen zu machen, eine Gefahr für das Land
dar. Gleichzeitig dient es israelischen Interessen, denn schließlich
profitiert Israel am meisten davon, wenn die Errichtung eines starken
Libanon behindert wird. [...]"
'Syrien hält die
libanesische Armee davon ab, sich an der Grenze zu Israel zu
stationieren'
"Kommen wir nun zur Frage der
Stationierung der [libanesischen] Armee an der Grenze mit dem
israelischen Feind – was nicht nur die UN-Resolution 1614 umsetzen
würde, sondern auch die selbstverständliche Aufgabe einer Armee ist.
Eine Armee verteidigt Land und Leute - es ist nicht normal, wenn eine
Armee nicht an den Grenzen ihres Landes stationiert ist.
[Premierminister Fuad] Sinioras
Regierung muss in dieser Frage deutlich Stellung beziehen, gerade weil
die Stationierung der Armee gleichzeitig eine libanesische und eine
internationale Forderung ist. Hat die Regierung sich nicht verpflichtet,
UN-Resolutionen zu achten und umzusetzen? Dieser Verpflichtung müssen
dann auch [Taten] folgen, wenn sie nicht in Kauf nehmen will, dass der
Libanon nicht nur internationalen Rückhalt, sondern auch das Vertrauen
der Libanesen selbst verliert.
Man verrät kein Geheimnis, wenn
man sagt, dass Syrien den Libanon davon abhält, seine Truppen an der
Grenze zu Israel zu stationieren. Syrien tut dies, damit an dieser Front
auch weiterhin keine Ruhe einkehrt. Das soll als Druckmittel in den
Beziehungen mit den USA eingesetzt werden und Israel signalisieren, dass
es keine Verhandlungen [zwischen Libanon und] Israel geben kann, in die
Syrien nicht eingebunden ist.
Da der Libanon aber nicht mehr
syrisches Protektorat ist, muss die libanesische Regierung libanesische
Interessen verteidigen und die volle Verantwortung für die
[militärische] Verteidigung des Landes und der Bevölkerung übernehmen.
Zunächst muss sie überall im Libanon die Kontrolle über das
Sicherheitsproblem erlangen, besonders an der Grenze mit dem
israelischen Feind. Dies würde nicht der Verteidigung des hebräischen
Staates dienen – so hatte es ja Präsident Emile Lahoud wohl entsprechend
syrischer Wünsche behauptet -, sondern diente vielmehr der Sicherheit
des Libanon und der Integrität seines Territoriums. [...] Es gibt keinen
einzigen Libanesen, der nicht die Interessen seines Landes über alles
andere stellen würde. [...] Und wer würde schon die Stationierung der
Armee seines Landes an der Grenze zum Feind ablehnen? [...]"
'Sollte die Sicherheit des
Libanon nicht auch für die Hizbullah Vorrang vor der Sicherheit Syriens
oder des Iran haben?'
Als "lächerlich" bezeichnet
Tueini im Folgenden die Aussage des stellvertretenden Generalsekretärs
der Hizbullah, Na’im Qasim, der die Stationierung der Armee im
Südlibanon ablehnt:
"Wenn die Hizbullah mit der
Armee zusammenarbeiten will und es als Aufgabe des Widerstandes
betrachtet, die Armee zu unterstützen - warum widersetzt sie sich dann
deren Stationierung an der Grenze? Warum ist sie dagegen, dass die Armee
als primäres, einziges und oberstes Sicherheitsorgan fungiert, das einer
von der Zentralregierung formulierten militärischen Strategie folgt?
Geht es hier nicht um grundlegende Prinzipien eines demokratischen
Staats, der von einer Zentralregierung geführt wird, die von frei
gewählten Legislativorganen beaufsichtigt wird?
Wir haben Scheich Na’im Qasim
wieder und wieder aufgefordert, seine Aussage zu erläutern, der
Widerstand werde seine Waffen auch dann behalten, wenn Israel sich von
den Sheba-Farmen zurückziehe! [...] Vielleicht hat ja deshalb der
syrische Premierminister [Muhammad Naji Atari] erklärt [5], dass die
Bewaffnung der Hizbullah unmittelbar mit Syriens nationaler Sicherheit
zusammenhänge.
[...] Fühlt sich die Partei
[Hizbullah] der libanesischen Sicherheit verpflichtet und folgt sie
dabei einer klaren, von der Zentralregierung festgelegten Politik - oder
ist sie an die syrische, vielleicht sogar die iranische Politik
gebunden, die sie unabhängig von der libanesischen Regierung und vom
Willen des libanesischen Volkes verfolgt? Sollte für die Hizbullah nicht
die libanesische nationale Sicherheit Vorrang vor der syrischen oder der
iranischen haben?"
'Hizbullah sollte als
Partner und nicht als Staat im Staat agieren'
"Das bringt uns zu einer noch
deutlicheren Frage: Welche Art von Beziehungen pflegt [die Hizbullah]
eigentlich mit Syrien und dem Iran? Sind ihre Beziehungen untereinander
den grundlegenden Normen und Prinzipien unterworfen, die zwischen
souveränen, unabhängigen Staaten gelten? [...] Oder handelt es sich um
Beziehungen, die diese Normen und Prinzipien missachten, indem man
direkt mit verschiedenen, [unabhängigen] politischen, religiösen und
ideologischen Gruppen agiert [...]? Anders ausgedrückt: Betrachtet sich
die Hizbullah in ihren Kontakten mit Syrien und dem Iran als unabhängig
vom libanesischen Staat und dem Willen seines Volkes, oder fühlt sie
sich diesen verpflichtet? [...]
Das [Prinzip] des Widerstands
besteht weiterhin. Alle Libanesen sind sich einig, dass die Frage der
Bewaffnung Hizbullahs eine innere Angelegenheit des Libanon ist und an
einem Runden Tisch, ohne externe Einmischung oder regionale und
internationale politische Erpressung, verhandelt werden sollte.
Dieses [Prinzip des
Widerstands] ist [nach wie vor] gültig und wird bestehen bleiben. Aber
ebenso muss [Hizbullah] als Partner am politischen Leben des Libanon
teilnehmen und nicht als unabhängige Gruppe, die ohne Rückbindung an
staatliche Politik agiert und Verhandlungen führt, als sei sie ein Staat
für sich. Die Partei muss lernen, dass sie Teil des Herrschaftsgebiets
und der Regierung des Libanon ist und keinen Staat im Staate darstellt!
Aus diesen Gründen ist es
erforderlich, dass die Siniora-Regierung die volle Verantwortung [über
alle Regierungsbereiche] übernimmt und die notwendigen Entscheidungen
zur Umsetzung ihrer [Politik] trifft. Sie muss das Recht des Landes und
aller seiner Bürger auf ein ehrenhaftes Dasein verteidigen und
insbesondere dafür sorgen, dass dem Libanon die international gewonnene
Unterstützung erhalten bleibt und er seine Legitimität und Rückendeckung
auf internationaler Ebene nicht verliert."
Anmerkungen: