Zerrbild vom Nachbarn Islam:
Trialog statt "Islamophobie"
Von Irene Runge
Der Artikel erscheint in:
"antifa" - Magazin für
antifaschistische Politik und Kultur
Es ist nicht nachvollziehbar, wieso mal mehr, mal weniger intensiv vor
allem Misstrauen gegen Muslima und Muslime aller Länder, Sprachen,
kulturellen und sozialen Identitäten geschürt wird. Wer so zündelt, riskiert
die Feuersbrunst. Was also treibt Mächtige in der Politik in diese Richtung,
was wollen die Medien? Wen nährt dieses Zerrbild vom Nachbarn Islam?
Unübersehbar ist derweil, dass die hier beheimateten Mitglieder
muslimischer Gemeinschaften und all jene, die dafür gehalten werden, einer
sozialen Ausgrenzung unterliegen. Dumpf und zerstörerisch hat sich die
Islam-Feindschaft inzwischen hoffähig geredet. Man hat ohne Vorbehalt den
Irrweg zum Antiislamismus betreten, versteckt im Wort "Phobie", wie die
krankhafte Angst auch genannt wird. Das erinnert mich an die Judeophobie,
die Judenfeindschaft sprich Antisemitismus.
Islamophobie klingt harmloser, das erinnert ein wenig an hysterische
Spinnenphobie oder die Allergien gegen Lebensmittel und Blütenstaub. Wer
will denn nun eigentlich die gesamte muslimische Gemeinschaft als verdeckt
sprudelnde Quelle jenes extremistischen Terrors denunzieren? Es geht doch
wohl eher um die Minderheit radikalislamischer Extremisten, die die ganze
moderne Menschheit im Visier hat!
Die letzten Jahrzehnte gingen ohne politisches Interesse an den anderen
Lebenswelten ins deutsche Land. Leider hat die EU Ende 2004 auch mit
Deutschlands Stimme den Vorschlag Spaniens abgelehnt, bei der Integration
den Erwerb von Kenntnissen über die Kulturen der Welt für unentbehrlich
anzusehen. So blühen also die Vorurteile weiter in den Sümpfen behaglichen
Halbwissens und halbwissenden Unbehagens.
Seit dem 11. September 2001 ist die terroristische Weltverschwörung an
das Wort "Islam" gekoppelt, wird geschlussfolgert. Aber Terroristen können
Muslime, Katholiken oder Protestanten, jüdische und andere Nationalisten,
selbsternannte radikale Revolutionäre sein. Kreuzzüge und Inquisition sind
Erbmasse des Christentums. Der politische Terror hat seine weltumspannend
eigene Geschichte.
Das Gift der üblen Nachrede zersetzt den Alltag. Von der
vorurteilsbeladenen Warte aus gesehen ist es ohne Belang, ob Männer, Frauen
und Kinder aus Gottesfurcht, Tradition, Gewohnheit oder um des
selbstbestimmten kulturellen Rückzugs willen unter die Haube einer Religion
kriechen. Der Glaube ist irrational, sagte mir einst ein Rabbiner, weshalb
die rationalen Argumente unweigerlich abprallen müssen. Gilt das nicht für
jede Ideologie, die auf einer reinen Lehre beruht? Die Zeit lief schneller,
als der Luftterror über Manhattan auch Berlins kulturelles Miteinander zu
entsorgen drohte. Gerade noch war Multikulti eine Vision sozialer Harmonie,
da traumatisierte der 11. September 2001 die gesamte westliche Welt. Der
vielleicht brutalste Angriff in Friedenszeiten hat die Grundfesten
bisheriger Glaubenswerte erschüttert, die Message war blutig genug.
Geblieben sind tiefes Misstrauen und Furcht vor Wiederholungen, wogegen
nicht nur ideologisch aufgerüstet wird.
Hierzulande gab es die Kopftuchdebatte und nachfolgend Verbote religiöser
Symbole im Öffentlichen Dienst. Getroffen werden vor allem muslimische
Frauen, denn sie können das Tuch nicht unter dem Hemd verstecken wie andere
das Kreuz. Bärtige, mit bedecktem Haupt arbeitende jüdische Beamte gibt es
nicht. Noch nicht, denn neben katholischen und protestantischen werden
jüdische und absehbar wohl auch muslimische Schulen ihren Nachwuchs für den
Berufsalltag ausbilden.
Drei Weltreligionen berufen sich auf Abraham: Judentum, Christentum und
Islam haben vielerorts das Gespräch eröffnet. In unserem säkularisierten
Alltag ist dieser Trialog noch nicht angekommen. Doch er ist eine passende
Antwort auf Islamophobie und Antisemitismus.
Irene Runge ist Vorsitzende des
Jüdischen
Kulturvereins in Berlin.
Die öffentliche Verarbeitung eines
islamistischen Mords:
Oder: Was "Israelkritik" und
"Islamkritik" gemeinsam haben
Auch wenn die Kritik an Israel auf
deutschsprachigen Internetseiten, in Presse und Rundfunk fraglos dominiert –
seit dem Mord am niederländischen Regisseur Theo van Gogh bekommt sie
ernsthafte Konkurrenz...
hagalil.com 04-07-2005 |