Die NPD wird bei der Bundestagswahl schwach abschneiden.
Etwas Besseres könnte den Rechtsextremen kaum passieren
Von Toralf Staud
Über Rechtsextremismus wird in Deutschland entweder
hysterisch oder gar nicht geredet. Rechtsextremistische Parteien sind immer
dann ein Thema, wenn sie bei Wahlen mehr als fünf Prozent der Stimmen
erhalten wie zuletzt im September 2004 die NPD in Sachsen. Nicht einmal ein
Jahr ist das her.
Bei der Bundestagswahl im Herbst 2005 wird die NPD voraussichtlich ein
schwaches Ergebnis einfahren. Der Auftritt der neuen Linkspartei wird die
Rechtsextremisten Wählerstimmen kosten. Aber so paradox das klingt: Etwas
Besseres als ein schwaches Abschneiden bei der Bundestagswahl könnte der NPD
kaum passieren. Sie kann dann in Ruhe weiterarbeiten und ihren schleichenden
Vormarsch in einigen Regionen Ostdeutschlands unbehelligt fortsetzen.Bonbons
und Bomberjacken. Die NPD marschiert - und gibt sich harmlos
Der vorgezogene Wahltermin hat zunächst auch die Planungen der NPD über
den Haufen geworfen. Bis zum Herbst 2006 hatte sie eigentlich noch versuchen
wollen, bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und in ihrer alten
Hochburg Baden-Württemberg über die Ein-Prozent-Grenze zu springen, um mit
staatlichen Geldern die Kassen aufzufüllen. Das hatte im Februar 2005 schon
in Schleswig-Holstein geklappt, im Mai in Nordrhein-Westfalen ging es nur
ganz knapp daneben. Die Wahl in Sachsen-Anhalt im März 2006 sollte – so die
Absprache mit dem rechtsextremen Verleger Gerhard Frey – dessen DVU nutzen,
um dort wieder in den Landtag einzuziehen. 1998 war das schon einmal mit
12,9 Prozent gelungen. Danach hatte sich die Magdeburger DVU-Fraktion in
peinlichen Streitereien zerfleischt; diese Scharte auszuwetzen ist Freys
persönlicher Ehrgeiz.
Mit diesem Rückenwind und unterstützt von Gerhard Freys Millionenvermögen
sollte dann im Herbst 2006 ein rabiater Bundestagswahlkampf geführt werden.
Die großspurigen Ankündigungen, man werde wie einst die NSDAP in den
Reichstag einziehen und die Berliner Politik aufmischen, waren von Anfang an
Propagandagetöse. Die Parteiführung hat nicht wirklich damit gerechnet, aber
das bundesweite Aufsehen, das sie erhoffte, sollte Rückenwind geben für die
gleichzeitig stattfindende Wahl in Mecklenburg-Vorpommern. Dort sollte der
zweite Einzug in einen Landtag gelingen. Die Chancen standen nicht so
schlecht, im Nordosten gibt es wie in Sachsen flächendeckend
Neonazi-Kameradschaften, aus Hamburg sind in den vergangenen Jahren
erfahrene Kader zugezogen, und es war Mecklenburg-Vorpommern, wo Udo Voigts
neue NPD 1998 ihren ersten kleinen Wahlerfolg erringen konnte.
Dieses Szenario ist nun durchkreuzt. Jedenfalls versucht die NPD bei der
vorgezogenen Bundestagswahl den Sprung über die Fünfprozenthürde gar nicht
erst. Schnell hat sie umgeschaltet, will nun unter anderem in der
Sächsischen Schweiz, im Erzgebirge, im Spreewald und in Vorpommern um
Direktmandate kämpfen. Die wird sie zwar auch nicht gewinnen, aber für die
Partei ist es die goldrichtige Strategie: Sie konzentriert ihre Ressourcen
auf genau jene Regionen, in denen sie bereits jetzt stark ist. Sie macht
dort ihre Kader weiter bekannt, in der Sächsischen Schweiz zum Beispiel soll
ihre Galionsfigur antreten, der Fahrlehrer Uwe Leichsenring.
Diese Schwerpunktwahlkämpfe bringen die NPD näher an ihr Ziel, sich
dauerhaft an der Basis der Gesellschaft zu etablieren. Berlin ist weit weg.
Gefährlich ist die Partei nicht, weil sie in den Bundestag oder gar
irgendwann ins Kanzleramt einziehen könnte. Auch in den Landtagen werden
Holger Apfel und seine Kameraden »das System« kaum stürzen können.
Gefährlich ist die NPD, weil sie an einer Faschisierung der ostdeutschen
Provinz arbeitet. In einigen Gegenden ist sie schon ziemlich weit gekommen,
überregional interessiert das kaum jemanden, denn solange sie bei den großen
Wahlen unter fünf Prozent bleibt, scheint ja alles in Ordnung.
In Teilen Sachsens, aber auch in Brandenburg, Thüringen, Sachsen-Anhalt
und Mecklenburg-Vorpommern gelten Freiheiten und Grundrechte heute nur noch
eingeschränkt. »National Befreite Zonen« gibt es dort nicht, aber Gegenden,
die von den Organen des Rechtsstaates nur noch mühsam erreicht werden. In
denen rechte Jugendcliquen vorgeben, was auf der Straße erlaubt ist und was
nicht. Und wo in den Köpfen der Bevölkerung ein völkisches Weltbild herrscht
– übrigens weit über die Wählerschaft der NPD hinaus und praktisch
unwidersprochen. Misst man dort Rechtsextremismus nicht in Wählerstimmen,
sondern an den Einstellungen, kommt man leicht auf Ergebnisse von 30
Prozent. Wer zum Beispiel Punk ist oder mit einer Afrikanerin verheiratet,
muss entweder sehr tapfer sein, um den Alltag zu ertragen – oder er geht.
Stück für Stück wird so die Gesellschaft homogener, kommt dem völkischen
Ideal näher.
Vielerorts hat die NPD 2004 ohne größeren Widerstand die
Montagsdemonstrationen gekapert; in einigen Städten wird noch heute jede
Woche protestiert, es kommt zwar nur noch ein Häufchen Leute, aber die
Rechtsextremisten haben das Thema besetzt. In einem Ort in der Oberlausitz
wird der traditionelle Maibaum von der dortigen Neonazi-Kameradschaft
aufgestellt. Ein Bürgermeister aus Vorpommern erzählt, die einzigen
Jugendlichen, die in seinem Städtchen überhaupt noch gesellschaftlich aktiv
seien, fänden sich bei den Rechten. In einer Stadt nahe Magdeburg hat die
NPD eine Umweltgruppe gegründet, und die Behörden fanden das anfangs eine
feine Sache. Viele frühere Skinheads kommen jetzt in ein Alter, wo sie
selbst Kinder haben. Schon tauchen in den ersten Elternvertretungen rechte
Eltern auf, die mehr Volkslieder im Musikunterricht fordern. Zur
Schöffenwahl im Jahr 2004 rief ein Neonazi-Kader seine Leute auf, die
Gerichte zu unterwandern. Weil man dort »die Möglichkeit hat, sein
individuelles Rechtsempfinden zumindest teilweise in den Gerichtsbeschluss
einfließen zu lassen«.
Die Institutionen, die im Westen Deutschlands die
Gesellschaft zusammenhalten, sind im Osten schwach. Die Kirchen haben kaum
Mitglieder, die »Volksparteien« sind dort keine Volksparteien, die Distanz
zum Politzirkus von Westerwelle, Christiansen und Co. ist noch größer. Ein
»68« mit seiner befreienden Wirkung, eine Liberalisierung der Gesellschaft
hat es in den neuen Ländern nicht gegeben. Im Herbst 1989 erlernte die
Bevölkerung die Demokratie, doch schon bald ging es nicht mehr um
Redefreiheit, sondern um Bananen. Und am 3. Oktober 1990 war der Aufbruch
ganz vorbei. Eine Selbstverständigung der Gesellschaft über demokratische
Werte oder Menschenrechte fand in den neuen Ländern nicht statt. Eine
Verfassungsdebatte aus Anlass der Wiedervereinigung lehnte das westdeutsche
Establishment ab. Das nutzt die NPD heute demagogisch aus: Das Grundgesetz
sage doch selbst, rechtfertigen sich die NPD-Spitzen scheinheilig, dass es
nicht für die Ewigkeit gilt, sondern nur, bis eine endgültige Verfassung
»von dem deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist«. Nur
darauf arbeite man hin.
Die NPD ist die älteste rechtsextremistische Partei Deutschlands, aber
sie ist auch die modernste. Erstens hat ihr Programm die Ideen der Neuen
Rechten aufgesogen. Mit völkischen Sozialismuskonzepten und einer
ethnopluralistischen Begründung von Ausländerfeindlichkeit kann sie über
ihre alte Kernklientel hinaus attraktiv sein. Die NPD und ihre
Weltanschauung mögen in den Parlamenten isoliert sein, in der Bevölkerung
sind sie es nicht. Und durch ihre Graswurzelrevolution in Ostdeutschland
prägt sie schon heute die Lebenswelt eines Teils der Bevölkerung mit. Für
die Sozialisierung von Menschen und eine langfristige Verankerung der
Ideologie ist dies viel wichtiger als Bundestagsmandate. Frei nach Antonio
Gramsci: »Ohne kulturelle Hegemonie, ohne Revolution im Kopf, keine
Revolution«.
Zweitens hat es die NPD geschafft – dies ist ihr größter
Erfolg –, sich an eine vitale Jugendkultur anzuhängen. Aus der kleinen
Skinheadszene von vor 15, 20 Jahren ist heute eine breite rechtsradikale
Strömung mit verschiedenen Stilen und unterschiedlichen Graden von
Eindeutigkeit geworden. Die NPD schwimmt mittendrin. Sie wächst aus diesem
Milieu und fördert es. Sie agiert an der Schnittstelle von Jugendkultur,
Ideologie und parlamentarischer Politik. Mit einem Durchschnittsalter der
Mitglieder von 37 Jahren dürfte sie jünger sein als alle anderen Parteien.
In Wahlen holt sie bei den (eher schlecht gebildeten) Jungen die meisten
Stimmen.
Drittens setzt die NPD seit einigen Jahren auf aktuelle Themen. Zwar ist
das »Dritte Reich« immer noch das Identitätsthema der Partei; so viele
Demonstranten wie zum jährlichen Rudolf-Hess-Marsch in Wunsiedel oder zum
Gedenken an die Bombardierung Dresdens kann die NPD zu keinem anderen Thema
mobilisieren. Aber die Proteste gegen den Irak-Krieg oder gegen Hartz IV
haben ihr den Anschluss an die gesellschaftliche Mitte ermöglicht. In
etlichen Punkten ihres Programms ist die NPD nur der extreme Ausdruck einer
durchaus weit verbreiteten Stimmung: die Abschottung gegen Fremdes,
Vorrechte für die Alteingesessenen, eine protektionistische
Wirtschaftsordnung oder ganz allgemein die Hoffnung auf weniger Unsicherheit
und weniger Flexibilisierung, die Sehnsucht nach mehr Homogenität,
Stabilität und der eigenen Scholle – all das könnte die NPD für breite Teile
der Bevölkerung attraktiv machen, auch in Westdeutschland.
Käme es nach der Bundestagswahl zu einer Großen Koalition, wäre das für
die NPD der vermutlich günstigste Wahlausgang. In einer solchen
Konstellation gelang ihr zwischen 1965 und 1969 ein Höhenflug bei sieben
Landtagswahlen. Der Eindruck politischer Alternativlosigkeit im System kann
dazu führen, außerhalb des Systems nach Lösungen zu suchen.
Gekürzter
Vorabdruck aus: Toralf Staud:
»Moderne Nazis. Die
neuen Rechten und der Aufstieg der NPD«. © 2005 Verlag Kiepenheuer &
Witsch, Köln.
Das Buch erscheint am 1. August
Toralf Staud
Moderne Nazis
Die Neuen Rechten und der Aufstieg der NPD
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