Helfershelfer:
Multikulti und Islamismus
Von Thomas v. der Osten-Sacken
Jungle World 30 v.
27.07.2005
Eine Ursache der Terroranschläge in London ist, folgt man
der Argumentation britischer Konservativer, schnell gefunden: jenes Konzept
von Multikulturalismus, auf das man auf der Insel so lange stolz war. Als
Anfang der neunziger Jahre in Deutschland Asylbewerberheime brannten, wurde
häufig noch auf die weitgehend erfolgreiche Integrationspolitik der Briten
verwiesen, auf jenes vermeintlich friedliche Nebeneinader
unterschiedlichster migrantischer Kulturen.
Die Kehrseite tritt nun zu Tage: "Die ganze arabische Welt war zu gefährlich
für mich geworden, deshalb ging ich nach London." Wer dies sagte, ist nicht
etwa ein kämpferischer Liberaler, sondern Yassir Sirri, bekennender
radikaler ägyptischer Islamist. Und entsprechend entwickelte sich keineswegs
jener aufgeklärte und gemäßigte Euro-Islam in London, wie ihn sich Bassam
Tibi seit Jahren wünscht, vielmehr sammelten sich hier und in anderen
europäischen Metropolen jene Hetzer, denen der Boden in der arabischen Welt
zu heiß geworden war. In Europa fänden sie unter Immigranten der zweiten und
dritten Generation, meint Olivier Roy, der Verfasser des Buches "L’Islam
mondialisé", ihre radikale und tatbereite Anhängerschaft.
Zugleich war es die Gattin des britischen Premiers, Cherie Booth, die als
Rechtsanwältin der aus Bangladesch stammenden Schülerin Shabina Begum zu
ihrem Recht verhalf, gegen den Willen der Schulleitung während des
Unterrichts ihren Hijab, der den ganzen Körper verdeckt, zu tragen. Das
oberste englische Gericht verfügte zugleich mit Berufung auf die europäische
Menschenrechtskonvention, dass der Schuluniformzwang, der einst die soziale
Herkunft der Schüler unkenntlich machen sollte, aufgehoben und stattdessen
fortan der islamische Schleier in englischen Schulen getragen werden dürfe.
Ausgerechnet Blairs Gattin feierte das Urteil als "einen Sieg für alle
Muslime, die ihre Identität und Werte (…) bewahren wollen".
Angesichts eines solch verstandenen Multikulturalismus fällt es heute
Konservativen wie dem Tory-Abgeordneten Ben Johnson leicht, das ganze
Konzept "Multikulti" für gescheitert zu erklären und nach einer
Re-Britannisierung zu rufen. "Wenn Britishness bedeutetet, Hasspredigern in
Moscheen das Handwerk zu legen und Frauen nicht als zweitklassige Bürger zu
behandeln, soll es so sein." Nun hat die Befreiung der Frau mit deutscher
Leitkultur so wenig zu tun wie mit Britishness, sehr wohl aber mit Ideen,
die schlicht besagen, dass jeder Mensch qua Natur frei und gleich sei. Eine
Idee, die eigentlich so selbstverständlich sein sollte, wie die, dass es
keiner Fatwa bedarf, um den Massenmord an Zivilisten als Verbrechen zu
verurteilen.
Solange aber die radikale Linke, angeführt vom Freund Saddam Husseins,
George Galloway, und dem Israelhasser und Bürgermeister von London, Ken
Livingstone, offen mit den Islamisten im Kampf gegen Imperialismus und
Zionismus fraternisiert, das linksliberale Establishment sich um die Zukunft
eines Multikulturalismus sorgt, der den Einzelnen nur als Teil von
kollektiver Identität wahrzunehmen vermag, und Konservative
christlich-abendländische Werte stärken wollen, bleibt dieser Universalismus
auf der Strecke.
So ist Shalom Lappin, Professor am King’s College, aus ganzem Herzen
zuzustimmen, der kürzlich warnte, dass der islamische Terror vor allem eine
Folge habe. Statt sie angesichts der jihadistischen Bedrohung zu
verteidigen, machten Linke und Rechte gemeinsame Sache gegen die "Grundlagen
der offenen und freien Gesellschaft" und würden damit zu Erfüllungsgehilfen
der Jihadisten.
hagalil.com 29-07-2005 |