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Gaza-Rückzug:
Israels heißer Sommer

Von Reiner Bernstein

Vor einigen Tagen erschien in der liberalen Zeitung "Haaretz" ein Kommentar mit der Überschrift "Überall Eskalation". Der Verfasser berichtete über die gewalttätigen Spannungen in der israelischen Öffentlichkeit und knüpfte daran die These, dass der Rückzug aus dem Gazastreifen und vier Siedlungen im Norden der Westbank bereits begonnen habe.

Gut möglich, dass die zeitlichen Vorgaben Ariel Sharons, mit den Räumungen erst am 15. August zu beginnen, der Vergangenheit angehören. Zwar ist Israel in der Lage, Angriffe der libanesischen "Hisbollah" und den Beschuss israelischer Ziele durch radikale Palästinenser abzuwehren und zu unterbinden. Gleichzeitig aber ist der innenpolitische Widerstand gegen territoriale Verzichte so massiv geworden, dass er nicht mit "eiserner Faust" (Sharon) unterdrückt werden kann.

Der Ministerpräsident hat sein Durchsetzungsvermögen überschätzt. Glaubte er in seiner ersten Amtsperiode, mit Feuer und Schwert die von ihm definierten Sicherheitsinteressen seines Staates gegen die zweite "Intifada" behaupten zu können, quittieren nunmehr politische Freunde und Gegner gleichermaßen seine politischen Windungen mit höchstem Misstrauen: Die einen fürchten, dass die Preisgabe des Gazastreifens eine unabsehbare Dynamik auslösen werde, die auch große Teile der Westbank nicht verschont. Die anderen betonen, dass ein Rückzug aus dem Gazastreifen so lange bedeutungslos bleibt, solange die Diskussion über die Grundfaktoren eines künftigen Friedens unterbleibt. Noch mehr Traumata könne allen Teilen der israelischen Bevölkerung auf absehbare Zeit nicht zugemutet werden, hat Sharons Berater Dov Weisglass bestätigt.

Mit diesem Zeugnis ist das Dilemma angesprochen, für das die israelische Politik verantwortlich zeichnet. Über Jahrzehnte hinweg hat sie das Volk auf die Überzeugung eingeschworen, dass die palästinensischen Gebiete völkerrechtliches Niemandsland seien, in dem sich die jüdischen Siedlungen und mit ihr alle Infrastrukturmaßnahmen frei entfalten könnten, ohne die Territorien selbst annektieren zu müssen – vornehmlich aus Gründen der "demographischen Balance". Von den Landkarten ist längst die Einzeichnung der "Grünen Linie" von einst verschwunden. Gigantische Baumaßnahmen im Umkreis Jerusalems haben für den Soziologen Meron Benvenisti eine "Dynamik des Kollapses" in Gang gesetzt, die das architektonische Gesicht der Stadt völlig verändert. Wer durch die Altstadt wandert, entdeckt im Armenischen, im Christlichen und im Moslemischen Viertel an vielen Häusern israelische Fahnen, die Souveränitätsansprüchen gleichkommen. Die "Trennungsmauer" deckt nur teilweise den Versuch ab, unumstößliche Tatsachen zu schaffen.

Und dennoch springen die zahllosen, den Bürgerprotesten gegen das ukrainische Kutschma-Regime entlehnten orangefarbenen Fähnchen und die Aufkleber an den Autos sowie die Plakate an Mauern und Häuserfronten ins Auge, auf denen die Solidarität mit den Siedlern bekundet wird. "Das ganze Land ist eine Siedlung", heißt die entschiedene Antwort auf Fragen nach den Grenzen von 1967. Wer Hebron aufgibt, solle den Mut haben, in Tel Aviv die Lichter zu löschen, lautete schon in Yitzhak Rabins Amtsperiode ein Slogan, der auf fruchtbaren Boden fiel. Der Tabubruch seiner Ermordung im November 1995 hat sich längst erledigt. Sharon kann sich nur unter schwerstem Sicherheitsschutz in der Öffentlichkeit bewegen.

Damit zahlt er den Preis seiner politischen Alleingänge, die den "Likud" tief gespalten haben. Viele Menschen nehmen ihm die Versicherung nicht ab, dass er mit dem Verzicht auf den Gazastreifen die Siedlungen im metropolitanen Jerusalem "retten" will – im Norden bis nach Nablus und im Süden bis nach Hebron reichend. Sharon wusste, warum der absehbare Sieg bei einem Referendum über die Abzugspläne seine Gegner nicht von weiteren Widerstandsaktionen abhalten würde. Hatten sie für die Achtung der Menschenrechte für die Palästinenser nur Hohn und Spott übrig, so fordern sie diese jetzt von der Regierung für sich ein. Sharons Wohlgefallen an den Siedlern, ihrer nationalreligiösen Ideologie und ihrem unerträglichen Handeln mit dem Militär und der Ministerialbürokratie im Rücken hat sich nicht ausgezahlt.

Je lautstärker sich jetzt die Proteste in der Öffentlichkeit artikulieren, desto unausweichlicher werden politische Entscheidungen statt taktischer Winkelzüge. Condoleezza Rice wird alles daran setzen, eine abermalige Verschiebung des israelischen Abzugs zu verhindern. Dazu wird sie sich der grundsätzlichen Zustimmung ihres Präsidenten versichert haben, der mit dem Chaos im Irak alle Hände voll zu tun und kein Interesse daran hat, das Wiederaufflammen der Konfrontation zwischen Israelis und Palästinensern in Kauf zu nehmen. Einer der einflussreichsten Republikaner, Newt Gingrich, hat vor kurzem die Administration davor gewarnt, der israelischen Regierung einen Freibrief in der Westbank einzuräumen, und damit eine allgemeine Stimmung der Frustration über die israelische Politik in Washington zum Ausdruck gebracht.

Unter dem Druck innen- und außenpolitischer Zangengriffe dürfte sich Sharon gezwungen sehen, in der ihm eigenen Manier einsamer Beschlüsse den Gordischen Knoten durch den schnellen Beginn der Räumungen durchschlagen zu wollen. Noch folgt ihm das allmächtige Militär, das erste Gefängnisstrafen für Soldaten ausgesprochen hat, die den Befehl zum Abriss der Siedlungen und Evakuierung ihrer Bewohner verweigern. Ob allerdings die Bevölkerung die Fernsehbilder bürgerkriegsähnlicher Auseinandersetzungen lange hinnimmt, erscheint äußerst zweifelhaft. Nachdem die erschreckende Dokumentation "Land der Siedler" von Chaim Yavin für heftige Debatten über die Authentizität der Nachrichtengebung in den elektronischen Medien gesorgt hat, droht sich der Konflikt nunmehr im Wohnzimmer niederzulassen. Sharons Devise könnte deshalb darauf hinauslaufen, eher ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende in Kauf zu nehmen. Damit würde er auch seinen innerparteilichen Rivalen Benjamin Netanyahu in die Schranken weisen, der mit seiner Forderung nach Verschiebung des Abzugs um ein Jahr eine öffentliche Debatte erzwingen will, die mit Sicherheit die Autorität des Premier untergraben würde.

Folgt man diesem Szenario, dann werden sich im Herbst neue Optionen am Horizont abzeichnen – die Frage nach dem Beginn von Endstatus-Verhandlungen. Denn wenn der israelischen Öffentlichkeit weitere Erfahrungen wie in diesem Sommer erspart bleiben sollen, werden die Erwartungen der israelischen und palästinensischen Akteure der "Genfer Initiative" vom Dezember 2003 recht behalten, dass nämlich alle zentralen Elemente des Konflikts endlich auf die Tagesordnung gehören: die Gründung eines unabhängigen und lebensfähigen Staates Palästina auf der Grundlage der Grenzen vor dem 5. Juni 1967, die Etablierung Jerusalems als Doppelhauptstadt, die Regelung der palästinensischen Flüchtlingsfrage sowie Sicherheitsabsprachen. Bis zu einem Frieden bleibt es dann immer noch ein langer Weg.

Der in München lebende Autor verantwortet die deutsche Homepage der israelisch-palästinensischen "Genfer Initiative" - www.genfer-initiative.de.

hagalil.com 04-07-2005

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