Nimsawi, die Österreicher:
Geschenke aus Europa
Eine der schlimmsten Waffen, unter
denen die iranische und die irakische Bevölkerung leiden musste, hieß
"Nimsawi". Ein Dankeschön an Österreich.
Von Falah Muradkhin Shakir
Erschienen in: Context XXI 1/2
2005
Meine Begegnung mit Österreich beginnt in Halabja an
der iranisch-irakischen Grenze zu Beginn der 80er Jahre. Der Iran
attackierte damals irakische Dörfer und Städte in der Nähe der Grenze, doch
meine Stadt lag bereits außerhalb ihrer Reichweite. Plötzlich hieß es, dass
der Iran eine neue Waffe besitze, die bis ins Stadtzentrum von Halabja
reiche und sogar bis Suleymania. "Nimsawi" - damals hatten wir keine Ahnung,
was das Wort bedeutet, wir waren noch Kinder.
Oft mussten wir vor Angriffen flüchten und jemand schlug
einen Unterschlupf vor. Dann sagte ein Erwachsener: "Nein, hier nicht, die
Nimsawi erreichen diesen Ort". Wir hatten Angst vor diesem schrecklichen
Wort. Nimsawi waren voller Dynamit, zusätzlich waren sie auf zwei Seiten mit
Gas gefüllt und besaßen eine Sprengkraft, die ganze Häuser in die Luft jagen
konnten. Dieses großartige Geschenk des modernen Europas wurde
großzügigerweise nicht nur an den Iran geliefert, sondern auch an die
Ba´thisten im Irak. Somit konnten die BewohnerInnen jenseits beider Grenzen
in die Luft gejagt werden.
Später ging ich zur Universität um Geografie zu studieren.
Ich wusste nun, dass "Nimsa" Österreich bedeutet, und wo dieses Land liegt,
das dem Iran und dem Irak jene Mordkanonen lieferte.
Zweimal wurde unser Haus samt Hab und Gut von einer
Nimsawi komplett zerstört und mein Bruder besitzt heute noch ein Foto von
den Regierungstruppen, die mit einem Panzer kamen, um den Schaden zu
sichten. Als Kind war ich vor allem beeindruckt und traurig über den großen
Baum, der samt dem Haus in die Luft flog.
Von Halabja hört man immer nur im Zusammenhang mit 1988,
als der große Giftgasangriff der irakischen Armee unsere Stadt komplett
zerstörte und über 5000 Menschen elendig sterben ließ. Doch die Angriffe
durch Nimsawi begannen viel früher, im Zuge des ersten Golfkrieges, ab
Anfang der 80er Jahre. Damals gab es Zeiten, wo alle zwei Stunden zwei
Nimsawi vom Iran aus auf Halabja gefeuert wurden. Es war ein psychologischer
Zermürbungskrieg.
Wir wohnten in Halabja, aber wir waren nie in Halabja.
Unser Leben verbrachten wir ständig auf der Flucht. Manchmal frage ich mich,
wie wir es schafften, zur Schule und zur Universität zu gehen, unser Leben
in den Griff zu bekommen und überhaupt zu überleben...
Ich kann mich an zwei Freunde in meinem Viertel erinnern:
Soran und Lawan. Sie wollten zur Schule um ihre Zeugnisse abzuholen und
wurden am Rückweg von einer Nimsawi zerfetzt.
Gab es damals Massenproteste auf den Straßen Österreichs?
Dort und anderswo in den großartigen Demokratien Europas und der Welt wurden
und werden diese Waffen produziert. Doch man scheint die Hintergründe zu
ignorieren, unser Schicksal war nie wirklich von Interesse. Die
gefürchtetste Waffe kam aus Österreich. Dieses kleine Land hat sich nie bei
uns entschuldigt. Wissen die Leute dort überhaupt, wie viele Menschen mit
ihren Waffen hier getötet wurden? Ich habe nie von Demonstrationen mit über
30.000 Menschen auf den Straßen Wiens gegen die Waffenlieferungen an den
Iran und den Irak gehört, nur von Demonstrationen dieser Größenordnung gegen
den Sturz des Diktators.
Falah Muradkhin Shakir ist der irakische Koordinator
der Hilfsorganisation WADI in
Sulyemaniah (Nordirak) und überlebte als Kind den Giftgasangriff auf
Halabja. Er studierte Geografie und Rechtswissenschaften in Hawler/Arbil und
ist Mitherausgeber der politik- und rechtswissenschaftlichen Zeitschrift
"Yasa".
hagalil.com 10-06-2005 |