Auf dem Prüfstand:
Hessen, die Judaistik und die geplante Verlegung eines
Faches
Von Micha Brumlik
Frankfurter Rundschau,
17.06.2005
Als die Universität Frankfurt im vergangenen Jahr ihren
90. Geburtstag feierte, konnten die Festreden gar nicht genug davon handeln,
dass diese nicht von einem Herrscherhaus, sondern einer aktiven Bürgerschaft
1914 gegründeten Hochschule ihren jüdischen Stiftern und Mäzenen
Wesentliches verdanke.
In Frankfurt wurden Bildung und Gelehrsamkeit sowohl in
dem von Buber und Rosenzweig gegründeten "Lehrhaus", dann in zunächst
außeruniversitären Instituten wie dem Institut für Sozialforschung bzw. dem
Frankfurter Psychoanalytischen Institut, aber auch in vielen säkularen
Professuren von selbstbewussten jüdischen Wissenschaftlern vorangetrieben:
von dem Mediävisten Ernst Kantorowicz über Philosophen wie Martin Buber und
Theodor W. Adorno, Soziologen wie Max Horkheimer und Karl Mannheim bis zu
dem liberalen Ökonomen Franz Oppenheimer und dem Biochemiker Paul Ehrlich.
Vor allem aber entsprang dem Engagement der Frankfurter
Juden die Hebraica-und Judaica-Sammlung der Stadt- und
Universitätsbibliothek, die die NS-Zeit wie durch ein Wunder unbeschadet
überstand. Der heutige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Salomon Korn,
bezeichnet im Vorwort zu der von Rachel Heuberger, der Leiterin der Judaica
Sammlung, verfassten Monographie die Sammlung als ein Juwel.
Eigentümlich sachfremd
Tatsächlich: die Sammlung umfasst heute den größten
Bestand an Judaica in Deutschland. Vor dem Hintergrund der Frankfurter
Tradition und der von Aron Freimann seit 1898 aufgebauten Sammlung wirken
Rudolf Steinbergs Hinweise zur Verlagerung der Judaistik im Sinne der vom
Wissenschaftsminister gewünschten Gründung geisteswissenschaftlicher Zentren
eigentümlich sachfremd. Sinnlos ist es zunächst, in einer Zeit, in der so
genannte Exzellenzzentren verstärkt mit außeruniversitären Einrichtungen
zusammenarbeiten sollen, das Fach Judaistik von dieser Bibliothek zu
trennen, es aus dem Umfeld einer lebendigen, in der Stadt aktiven, stetig
wachsenden jüdischen Gemeinde sowie eines namhaften jüdischen Museums
herauszureißen.
Die Ferne zur Sache und der geschichtslos technokratische
Charakter der Entscheidung wird am Zuschnitt des in Marburg zu etablierenden
Zentrums deutlich. Dort soll es - und dies Unterfangen ist aller Ehren wert
- um die Gründung eines Zentrums für Orientforschung gehen. Aber was in
aller Welt hat die Geschichte des Frankfurter, des deutschen oder des
europäischen Judentums mit dem Orient - was immer das sein mag - zu tun?
Gewiss: Die jüdische Religion ist vor etwa zweieinhalb bis drei
Jahrtausenden in einer Weltgegend entstanden, die seit der Neuzeit bis zum
Kolonialismus gerne als Orient bezeichnet wird. Danach allerdings
entwickelte sich ein großer Teil des Judentums im Abendland. In der
Entscheidung, die Judaistik aus Frankfurt nach Marburg zu verschieben,
drückt sich auf höchstem Niveau kaum anderes aus als die von Ignatz Bubis
immer wieder beklagte Exotisierung und Exilierung der in Deutschland
lebenden Juden. Bubis erzählte gerne, wie erstaunt sogar wohlmeinende
Gesprächspartner waren, wenn er ihnen auf die Frage, wie es seinem
Präsidenten gehe, antwortete, dass es Roman Herzog seinem Wissen nach gut
gehe.
Immer wieder beschwören Politiker, konservative zumal, die
jüdisch-christliche Tradition des Abendlandes. Nun steht diese oft
strapazierte Floskel auf dem Prüfstand. Den Studiengang Judaistik einem
orientalistischen Zentrum einzugliedern, wäre ungefähr so sinnvoll, wie die
neutestamentliche Wissenschaft an ein Zentrum für Anatolistik und
Hethitologie zu verlegen; immerhin entstanden wesentliche Schriften und
Gemeinden des Neuen Testaments im Gebiet der heutigen Türkei. Dem wird
entgegengehalten, dass die hiesige Lehrstuhlinhaberin doch das spätantike
rabbinische Judentum, das in Persien und Galiläa wirkte, erforsche. Demnach
müsste die Patristik, die Lehre von den Kirchenvätern, die in Antiochien,
Alexandrien oder in Karthago wirkten entweder der Anatolistik, der
Ägyptologie oder wegen des Kirchenvaters Augustin der Afrikanistik
zugeschlagen werden.
Keine disziplinären Argumente
Spaß beiseite: Hat das auf dem Mittelhochdeutschen
beruhende Jiddisch mit dem arabischen Raum zu tun? Was die Gelehrsamkeit des
aschkenasischen Rabbinats - aschkenasisch heißt im rabbinischen Hebräisch
nichts weiter als deutsch - mit Sultanaten, Großkönigen oder Keilschriften?
Was die Welt des aus dem Frankfurter Ghetto kommenden radikaldemokratischen
Publizisten Ludwig Börne und der von Kant beeinflussten Maskilim, der
jüdischen Aufklärer, mit Arabistik oder Semitistik? Einige von ihnen haben
diese Sprachen studiert und die Orientalistik mit begründet. Reicht das aus,
ihr Leben und Wirken der Orientalistik zuzuordnen? Für die Verlegung der
Judaistik an ein Zentrum für Orientforschung gibt es weder gute
hochschulpolitische noch gar stichhaltige disziplinäre Argumente.
Gegen Ende seines Beitrages will Präsident Steinberg die
Polemik gegen seine Pläne mit dem Hinweis aushebeln, dass doch gerade die
Judaica-Sammlung, die von Universität und Land künftig gemeinsam getragene
religionsphilosophische Buber-Professur sowie das Fritz Bauer Institut für
Holocaustforschung die Kompetenz der Universität im Bereich jüdischer
Studien beweise. Wohl wahr. Nur folgt aus alledem das genaue Gegenteil
dessen, was Wissenschaftsministerium und Universitätspräsidium planen:
Gerade weil es all diese Einrichtungen gibt, wäre es wissenschaftspolitisch
und disziplinär sinnvoll, sie an der Goethe-Universität unter einem Dach
zusammenzuführen, etwa im Rahmen eines Zentrums für jüdische Studien, in dem
- um das Kernfach Judaistik gruppiert - diese Einrichtungen ihre Kompetenz
im interdisziplinären Dialog einschlägig zur Geltung bringen könnten. Und
die Finanzspritze, die die Judaistik in Marburg zum Trost für den Umzug
erhalten soll, könnte ihre Wirkung erst an der Goethe-Universität sinnvoll
entfalten.
Spätverbannung:
Wohin mit der Judaistik?
Hier zeigt sich die Kontinuität einer Denkweise, die die
jüdische Kultur gerne mit dem Alten Orient enden lässt und - wie bei den
Theologen bis in die sechziger Jahre üblich - vom "Spätjudentum" spricht,
wenn sie das Judentum zur Zeit Jesu meint...
hagalil.com 22-06-2005 |