Bolzen für Toleranz
Beim ersten jüdisch-muslimischen Fußballspiel in Berlin fielen viele
Tore. Und Christian Ströbele gab den strengen Schiedsrichter
Von Alexander Schäfer
Tagesspiegel, 13. Jun 2005
http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/13.06.2005/1874810.asp
Elfmeter in der 5. Spielminute. Ein klarer Fall für
den Mannschaftskapitän: Ardahanli Mehtap legt sich die weiße Lederkugel
zurecht. Unter Anfeuerungsrufen läuft sie an. Schuss. Numan Emre, der
Torhüter, streckt sich, doch der Ball segelt weiter, prallt an den Pfosten.
Nachschuss Mehtap: Tor. Spielstand 1:0 für die Mannschaft in den rotschwarz
gestreiften Trikots. Doch die gegnerische Mannschaft in Weißblau gleicht aus
– später, zur Halbzeitpause, steht es dann 3:3, nach 90 Minuten ausgleichend
8:8.
Das Spiel beider Mannschaften gestern Nachmittag auf dem Sportplatz am
Tempodrom war eine besondere Aktion gegen Vorurteile. Die Kantorin Avitall
Gerstetter und das Online-Magazin "Hagalil" organisierten das, wie es hieß,
erste jüdisch-muslimische Fußballspiel Deutschlands. Aber nicht
gegeneinander wurde gespielt, sondern miteinander in gemischten Teams. "Der
interkulturelle und völkerverbindende Gedanke beim Sport war eine Grundidee
der Begegnung", sagt Avitall Gerstetter. Früher organisierte sie
jüdisch-muslimische Begegnungen mit Musikern. "Besonders freut mich, wie
fair die Spieler und Spielerinnen gespielt haben." In den beiden Teams war
jeweils eine Spielerin dabei; beide Frauen schossen insgesamt drei Tore.
Die Mannschaften setzten sich aus Vereinsspielern – von Mannschaften wie
Makkabi oder Al-Dersimspor – und aus Hobbysportlern zusammen. "18 bis 42
Jahre alt sind die Spielerinnen und Spieler", erläutert der älteste
Mitspieler und Mitorganisator Samuel Urbanik vom Hagalil-Magazin.
Unterstützung fand die Partie von prominenter Seite: Bundestagspräsident
Wolfgang Thierse gab den Anstoß, der grüne Bundestagsabgeordnete Christian
Ströbele pfiff das Spiel als Unparteiischer, und RBB-Moderator Jörg Thadeusz
spielte gleich selbst mit. "Es ist besser, miteinander zu spielen, als
übereinander zu reden", begrüßte Thierse, der in seiner Jugend beim
Thüringischen Verein Motor Eisfeld kickte, die 300 Zuschauer. "Ich will die
sympathische Idee unterstützen."
Wenig später ärgerte sich Thierse über einen nicht gegebenen Eckstoß. "Ich
war heute zum ersten Mal Schiedsrichter", entschuldigte sich Ströbele, Neffe
der 1954er Fußball-Radiolegende Herbert Zimmermann. Jörg Thadeusz brachte
als Protestant gleich noch eine dritte Religion ins Spiel. "Mir wurde vorher
versichert, dass ich bei einem Tor größte Unterstützung beim Konvertieren
zum jüdischen Glauben erhalte", erzählte Thadeusz. Dazu kam es aber nicht.
Die Zuschauer feuerten bei leichtem Regen beide Mannschaften und
insbesondere die weiblichen Spielerinnen an. "Das Schöne ist, dass man gar
nicht merkt oder erkennt, wer zu welcher Religion gehört", sagte
Türkiyemspor-Anhänger Ahmet Özen und biss in ein koscheres Sandwich.
haGalil bringt's:
Das erste jüdisch-muslimische
Fußballturnier in Berlin
haGalil, das größte jüdische Online-Magazin Europas,
veranstaltet, zusammen mit der Kantorin Avitall Gerstetter, eine besondere
Aktion gegen Anti-semitismus: das erste jüdisch-muslimische Fußballturnier
in Berlin.
Das Trauma verwandeln:
Katzav nimmt Muslime in Schutz
Zum zweiten Mal spricht ein israelischer Präsident vor
dem Bundestag. "Im Sinne des Humanismus" warnt Mosche Katzav nicht nur vor
Antisemitismus, sondern auch vor einer "antimuslimischen Welle" - um den
Nahost-Friedensprozess nicht zu gefährden...
hagalil.com 12-06-2005 |