Hinweis:
Am Donnerstag, 11.12.2008, 00:20 Uhr, zeigt die ARD "Der Garten der Finzi
Contini", Spielfilm - Deutschland/Italien:
Italien, Ende der 1930er Jahre. Unter dem faschistischen Mussolini-Regime
nehmen die Restriktionen gegen jüdische Italiener immer weiter zu. Nirgends
mehr gerne gesehen, wird für eine Gruppe junger Juden in der Stadt Ferrara
der Garten der wohlhabenden jüdischen Familie Finzi-Contini zum Treffpunkt.
Einer von ihnen, der junge Giorgio, fühlt sich zu Micòl, der Tochter des
Hauses, hingezogen. Auch sie scheint ihm ein besonderes Interesse
entgegenzubringen. Während die äußeren Umstände immer gefährlicher werden,
entwickelt sich zwischen den beiden eine zwischen tiefer Freundschaft und
scheuer Liebe changierende Beziehung.
Die Finzi-Contini kehren nie zurück:
Jüdische Kultur der Stadt Ferrara
Von Carl Wilhelm Macke
Ein italienisches Wort lernt man hier in den
Sommermonaten auch ohne jeden Sprachkurs. L'Afa, die Schwüle, die feuchte,
unentrinnbare Hitze stranguliert in den Sommermonaten das Leben in dieser
Stadt bis zum Stillstand. Was auch immer man sich vorgenommen hat, in
Ferrara zu besichtigen, wird im August zu einer Tortur. Kleine Schritte,
keine großen Entfernungen und immer wieder Schattenplätze, in den Bars,
vielleicht auch in den selbst hier nur milde kühlenden Kirchen, unter den
Bäumen auf der Stadtmauer, auf den Friedhöfen. Ja, da ist es an Sommertagen
in dieser Stadt vielleicht noch am erträglichsten.
Zum Beispiel auf dem Jüdischen Friedhof am Ende der Via
delle Vigne. Man läßt den Toten hier im Schatten der dicht mit Bäumen
bewachsenen Stadtmauer ihre Ruhe. Niemand fegt Laub zusammen, kein Grabstein
wird geputzt, der Verfall wuchert überall und über alles. Wieviele
Geschichten erzählen die noch lesbaren Texte auf den langsam verwitterten
Gedenksteinen für die toten jüdischen Bewohner von Ferrara. An Menschen mit
einem "Grande cuore", wird hier erinnert, an "skrupulöse Beobachter ihrer
Zeit", an ehrenwerte Kaufleute und geduldige Mediziner. Und dann liest man
aber auch hinter den bereits von der Zeit gebleichten Jahreszahlen zwischen
1940 und 1945: "Campi di Sterminato Nazisti" oder "Deportato ad Ausschwitz".
Die Geschichten, die viele Toten hier auf dem Jüdischen Friedhof in Ferrara
erzählen, sind die Ablagerungen eines gewalttätigen Jahrhunderts, das nicht
vergehen will.
Ganz am Ende des Friedhofes, unweit der hier gefährlich
bröckelnden Stadtmauer, entdeckt man einen kleinen Erdhügel, auf dem eine
schlichte Namensplatte provisorisch hingestellt wurde und den ein von einem
Münchener Arzt in großer Verehrung gestiftetes Limonenbäumchen ziert. Es ist
das Grab von Giorgio Bassani, der dem jüdischen Bürgertum von Ferrara mit
seinen Erzählungen ein so bleibendes, nicht verwitterndes Denkmal gesetzt
hat. Geschätzt wurde er zu Lebzeiten nicht sonderlich von der Jüdischen
Gemeinde. Sie glaubte sich und ihre Geschichte in seinen Romanen nicht
wiederzuerkennen. Und Bassani konnte die Blindheit vieler Repräsentanten des
jüdischen Bürgertums gegenüber dem Faschismus nicht vergessen. Das abseits
gelegene Grab symbolisiert gut diese spannungsvolle Beziehung zwischen dem
jüdischen Schriftsteller und seiner Gemeinde, dass viele Schriftsteller und
Leser immer so sehr in ihren Bann gezogen hat.
Diese gegenseitige zögerliche Wertschätzung wurde von
keiner Seite jemals überwunden. In der eigenen Herkunftsstadt hatte Bassani
zu Lebzeiten niemals die Reputation wie beispielsweise in Deutschland, wo
diesem Chronisten der Würde und des Leidens nach der Veröffentlichung der
ersten Erzählungen stets eine große Aufmerksamkeit sicher war. Erst nach
seinem Tod ist sein Ansehen auch in Ferrara gewachsen. In den Wochen nach
seinem Tod waren überall an den Wänden Porträts von Bassani zu sehen. Die
Stadt bekundete so ihren Dank für den ihr gewidmeten "Romanzo di Ferrara".
Zivil und höflich war diese Form der Erinnerung, aber es war nicht nur der
Abschied von einem Schriftsteller.
Das alte von bürgerlicher, katholischer und jüdischer
Kultur geformte Ferrara, das Giorgio Bassani den Stoff für sein Werk gab,
existiert nicht mehr. Diese Welt ist verschwunden. Manchmal hat man den
Eindruck, dass der bittere Krieg der Angehörigen um das Erbes Bassanis, der
ohne Aussicht auf einen Friedensschluß in aller Öffentlichkeit ausgetragen
wird, auch zu einem einzigen traurigen Nekrolog auf eine verschwundene Welt
geworden ist. Sie ist so zu einem Teil der Geschichte Ferraras und Italiens
geworden wie die Gärten der Finzi-Contini, die Bassani so detailgetreu
beschrieben hat als habe es sie jemals gegeben.. Auch das Ferrara, das
Bassani in seinen Erzählungen beschreibt, hat es ja so nie gegeben. Bassani
war ein Erzähler, kein Historiker. Auf das literarische Detail kam es ihn
an, aber es mußte nicht empirisch genau mit den historischen Fakten
übereinstimmen.
An die Zeit des Faschismus und des Nationalsozialismus
erinnern viele Mahntafeln an Mauern in der Stadt. Da ist zum Beispiel an der
Mauer entlang der Burgfestung ein Inschrift, mit der jener "Nacht des Jahres
1943" gedacht, wird, in der elf Ferraresen von einem faschistischen Kommando
an der Mauer des Kastells wie Schlachtvieh massakriert. Die Erinnerung an
dieses Verbrechen ist für die Identität der Stadt auch Jahrzehnte nach dem
Ende des Faschismus immer noch von zentraler Bedeutung. Aber auch in diesen
förmlichen Erinnerungsritualen glaubt man jenen Stillstand der Geschichte
wahrzunehmen, der Ferrara immer im Schatten des benachbarten, größeren und
lebendigeren Bologna dämmern ließ. Trompetensolo, Kranzniederlegen,
Gedenkminute... Aber wenn in absehbarer Zeit auch die letzten Alt-Partisanen
gestorben sein werden – was dann?
An der Außenwand der Synagoge in der Via Mazzini in
Ferrara ist eine Gedenktafel angebracht. Dort sind die Namen derjenigen
Ferrareser Juden eingemeißelt, die in den Konzentrationslagern der Nazis
ermordet wurden. Und der Name Ravenna taucht dort so häufig wie kein anderer
Name auf. Es sind nicht die engsten Angehörigen des Avvocato Paolo Ravenna,
an deren Vernichtung dort auf der Gedenktafel gedacht wird. Sein kleiner
Familienkern hat ja die faschistische Verfolgung im Schweizer Exil überlebt.
Aber trotzdem hätte er sehr viele Gründe gehabt, skeptisch, vorsichtig zu
sein mit Deutschland und uns Deutschen. Wir, die nach dem Krieg geborenen
Deutschen sind an den monströsen Verbrechen der Nazis nicht schuld, aber
natürlich sind sie ein unauslöschlicher Teil deutscher Geschichte, deren wir
uns immer bewusst sein müssen.
Als wir, der um mehr als zwei Jahrzehnte jüngere deutsche
Journalist aus München und der Avvocato Paolo Ravenna aus Ferrara uns erst
eine kurze Zeit persönlich kannten, bat er mich jedoch sogleich, ihm bei der
Recherche nach der Identität eines deutschen Soldaten behilflich zu sein.
Während der Nazi-Okkupationszeit in Ferrara sei dieser deutsche Soldat
täglich in die städtische Bibliothek gegangen, um sich dort mit den
italienischen Klassikern zu beschäftigen. Dieser bildungsbewußte
Besatzungssoldat habe nach Aussagen noch lebender Zeitzeugen alles ihm
mögliche getan, um die Bibliothek vor Vandalenakten der deutschen Soldateska
zu schützen. Vor allem um die in der Bibliothek liegenden Archivmaterialien
der "Jüdischen Gemeinde" von Ferrara habe sich dieser deutsche Soldat große
Sorgen gemacht.
Nicht alle deutschen Besatzungssoldaten, das habe ich von
Paolo Ravenna, aber auch durch die Lektüre des Buches "Il disperso di
Marburgo" von Nuto Revelli gelernt, haben sich in Italien offensichtlich so
barbarisch aufgeführt wie die Erschießungskommandos in Marzabotto im
Hinterland von Bologna, im toskanischen Santa Anna oder in den Fosse
Ardeatine bei Rom. Ein "ziviles Erinnern" an historische Verbrechen, an die
Verbrechen der italienischen Faschisten und der deutschen
Nationalsozialisten, kann das Verzeihen niemals einbeziehen, aber vielleicht
den souveränen Mut zur Differenzierung.
Und zu dieser Erinnerung gehört auch die Bewahrung, die
Pflege und die Fortsetzung der durch die Faschisten schrecklich
gedemütigten, aber nicht vollkommen ausgelöschten Kultur des europäischen
Judentums. Für mich repräsentiert Paolo Ravenna mit seinem beruflichen
Ethos, seinem jahrzehntelangen Engagement für die Kulturschutzbewegung
"Italia Nostra", seine trotz vieler Kritik große Liebe zur Stadt Ferrara und
durch seine heute so selten gewordene absolute persönliche Verläßlichkeit
noch ein bürgerliches Italien und ziviles Europa, an das wir uns vielleicht
bald nur noch erinnern können.
In den heißen Sommermonaten verläßt man Ferrara nicht ohne
eine Erleichterung. Die Hitze ist vor allem im August ist einfach zu
erstickend, um mehr als immer nur wenige Schritte während des Tages
unternehmen zu können. Aber wenn man Ferrara wieder verläßt, dann bleiben ja
immer, auch in der größten Hitze, jene Orte, jene Strassen, jene Gräber,
jene Denkmäler, vor allem aber jene Menschen zurück, die einen an Werte
gemahnen, auf die man nicht verzichten möchte in einer Gesellschaft, die das
Etikett 'zivil' verdient.
Ferrara:
Einmütige
Erinnerung
In Ferrara soll ein italienisches 'Shoah'-Museum
entstehen...
hagalil.com 03-06-2005 |