Pessimistische Aussichten:
Scharon-Berater über Nahostkonflikt
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
"Für die Zeit nach dem Rückzug aus Gaza haben wir noch
keine Pläne, aber es ist klar, dass es weitergehen wird", sagte General
Giora Eiland, früher Leiter der Planungsabteilung der Armee und heute Chef
des Sicherheitsrates. In diesen Funktionen hat Eiland die militärischen
Aspekte des Rückzugs aus Gaza und dem Norden des Westjordanlandes
vorbereitet. Er sitzt am Kabinettstisch und ist der militärische Berater von
Ministerpräsident Ariel Scharon.
Eiland ist pessimistisch, was die Chancen einer Lösung des Konflikts
zwischen Israel und den Palästinensern angeht. "Aber die Kriegsmüdigkeit der
Menschen und der gegenseitige Respekt der Machthaber stimmen mich
hoffnungsvoll." Eiland warnt vor Fehlern beider Seiten, weil die zum
Ausbruch eines dritten Waffenganges führen könnten. In seiner Analyse vor
Journalisten dreiteilte er den Konflikt, in ein palästinensisches, ein
israelisches und ein bilaterales Problem.
Für die Palästinenser stelle die Hamas-Organisation das größte Problem dar.
Sie sei keine herkömmliche Oppositionspartei, sondern verhalte sich
ebenbürtig zur Regierung. Sie verhandle über einen Waffenstillstand, aber
als bewaffnete Miliz könne sie jederzeit "positive Entwicklungen"
untergraben. Als "Terrororganisation" mit der Ideologie, nicht die Besatzung
zu bekämpfen, sondern den Staat Israel zu zerstören, sei es unmöglich, einen
Dialog mit der Hamas zu führen. "Es ist kein Kunststück, wenn arabische
Länder Israel als Realität anerkennen, aber kein einziger Araber hat bisher
Israel als jüdischen Staat anerkannt."
Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas musste reagieren, nachdem die Hamas
seine Autorität in Frage gestellt habe, etwa durch die Befreiung von
Gefangenen aus dem Gefängnis. Doch nutzte die Hamas "Fehler" von Abbas aus.
So musste Abbas sich verpflichten, die Hamas nicht zu entwaffnen, obwohl er
in Scharm A Scheich gegenüber Scharon geschworen hatte: "Ein Gesetz, eine
Waffe." Abbas musste der Hamas zugestehen, eine eigenständige militärische
Macht zu bleiben. Die Hamas in das politische System zu integrieren, sei ein
"Rezept für Instabilität". Die Pläne der Hamas, nach dem Rückzug einen
dritten Waffengang auszulösen, werden Abbas hindern, Versprechen einzulösen.
Als "israelisches Problem" bezeichnete Eiland den "kontroversesten
Beschluss, den je eine israelische Regierung gefasst habe". Er befürchtet
das Schlimmste, falls "tausende Rückzugsgegner in den Gazastreifen strömen,
Busse und Lastwagen mit dem Rückzug beschäftigt sind und Palästinenser
Raketenangriffe starten". Um das Leben der Demonstranten und der räumenden
Soldaten zu schützen, könnte die "ironische Situation entstehen, dass wir
erst einmal Khan Younis erobern müssen, um uns ohne menschliche Verluste
zurückziehen zu können".
Als "bilaterales Problem" bezeichnet Eiland die gegensätzliche Einschätzung
des Friedensprozesses. Die Osloer Verträge seien "vielleicht etwas naiv"
angelegt gewesen, durch einen politischen Prozess palästinensische Gewalt zu
beenden. "Durch Frieden sollten Israels Sicherheitsprobleme gelöst werden."
Schon zu Zeiten Rabins, und endgültig mit der Intifada sei diese Vorstellung
"zusammengebrochen". Die Roadmap befolge im Prinzip das gleiche Ziele, aber
in umgekehrter Reihenfolge. Laut Roadmap könne nur ein Ende der Gewalt den
Frieden bringen. Solange die Hamas nicht entwaffnet und die "Infrastruktur
des Terrors" nicht zerstört seien, "werde Israel eine Geisel des guten
Willens der Hamas bleiben".
Umgekehrt behauptet Mahmoud Abbas, die Demokratie umgesetzt, die
Sicherheitsdienste reformiert und die Finanzen in Ordnung gebracht zu haben.
Jetzt benötige die Autonomiebehörde israelische Konzessionen, um den Terror
bekämpfen zu können. Eiland ist ratlos, wie die palästinensische Vorstellung
"Erst Zugeständnisse, dann Sicherheit" und die israelische Forderung "Erst
Sicherheit, dann Zugeständnisse" überbrückt werden könnten.
Für die Zeit nach dem Rückzug bleiben viele Fragen offen. Unklar sei, ob
Israel dann noch Verantwortung für den Gazastreifen trage. Sollte Israel den
Grenzstreifen zu Ägypten räumen, was offenbar noch nicht beschlossen ist,
könnte aller Waren- und Personenverkehr über Ägypten und nicht mehr über
Israel abgewickelt werden. Aus "vielen Gründen", die Eiland allerdings nicht
nennen wollte, werde Israel die UNO nicht auffordern, den Rückzug zu
verifizieren, ob Israel sich wirklich "hinter die Grenze" zurückgezogen
habe, wie es die UNO nach dem Rückzug aus Libanon getan hat. Gleichwohl
könne damit begonnen werden, die "Landkarten mit den Nationalfarben zu
bemalen". Es sei klar, dass der Gazastreifen Teil des künftigen
palästinensischen Staates sein werde. "Wir wissen, dass die Räumung kein
Endpunkt ist, aber für die Fortsetzung haben wir einige Vorbedingungen."
[FORUM]
© Ulrich Sahm/haGalil.com
hagalil.com 31-05-2005 |