Von Regina Girod
"antifa" - Magazin für
antifaschistische Politik und Kultur
Vielleicht noch zu keinem Jahrestag der Befreiung gab es solch großes
Interesse, so viele Veranstaltungen, politische Kundgebungen,
Demonstrationen und Willensbekundungen von Bürgern dieses Landes, aber auch
von Seiten des Staates. Umfragen belegen, dass der größte Teil der Deutschen
den 8. Mai heute als Tag der Befreiung ansieht; das war vor einigen Jahren
noch anders.
Gerade in den zurückliegenden Wochen haben sich viele Demokraten aktiv
gegen Naziaufmärsche zur Wehr gesetzt, ob in München oder Berlin - die Zahl
der Beteiligten ist deutlich (sogar in den Medien sichtbar) gestiegen. Die
Tatsache, dass von offizieller Seite die geplante und genehmigte
NPD-Demonstration am 8. Mai in Berlin als peinlich vor der
Weltöffentlichkeit empfunden wurde, weil nur "schöne Bilder" aus Berlin
kommen sollten, hatte zur Folge, dass Regierungspolitiker vorher geradezu zu
Blockaden aufriefen. Für aktive Antifaschisten eine ungewohnt neue
Erfahrung.
Der viel bejubelte Sieg über die NPD geht zu gleichen Teilen auf
demokratisches Engagement wie auf die flexible Polizeitaktik zurück. Die
wäre allerdings nicht aufgegangen ohne die Beteiligung der engagierten
Bürger. (Oder hatte man für diesen Fall Provokateure in Reserve?) Die
Nazidemonstranten haben den Ablauf jedenfalls als Niederlage empfunden.
Warum kann das eigentlich nicht immer so sein? Rechtlich gesehen führt
allerdings kein Weg vorbei an einem Verbot der NPD und anderer offen
faschistischer Organisationen. Sonst bleibt es im Ermessen der politischen
Eliten, wann die Polizei den Nazis den Weg frei prügelt und wann nicht.
Auch im ideologischen Bereich zeigt sich Widersprüchliches. Das Thema
Faschismus und Krieg ist präsent wie nie vorher, Zeitzeugen sind gefragt.
Selbst Vertreter des in der BRD immer diskreditierten kommunistischen
Widerstands kommen zu Wort. Fällt hier endlich eine Bastion des Kalten
Krieges?
Andererseits überschwemmen Filme, Bücher und Talkshowgäste ganz anderen
Geistes das Land. Wir wissen jetzt Bescheid über Hitlers Nichte und
Goebbels' Medienästhetik, nette alte Herren outen sich in der "Bildzeitung"
als Hitlerjungen oder gar im "Spiegel" als SS-Mann, der in Auschwitz Dienst
tat. Dort hat er aber nur das Geld gezählt, das den ankommenden Juden
abgenommen wurde, ein ganz normaler Dienst eben. Der Zweite Weltkrieg ist in
die deutschen Wohnzimmer zurückgekehrt, wo er jahrzehntelang beschwiegen
wurde, zumindest was den eigenen Anteil betrifft. Die Deutschen haben
endlich ein normales Verhältnis zu ihrer Geschichte gewonnen, freuen sich
die Massenmedien und haben zu dieser zwiespältigen Tatsache selbst den
größten Beitrag geleistet.
Wie schon im vergangenen Jahr am D-Day darf der Bundeskanzler nun auch an
der Siegesparade in Moskau teilnehmen und just bei diesem Besuch bekennt
sich Präsident Putin erstmals dazu, dass der BRD ein ständiger Sitz im
UNO-Sicherheitsrat zusteht. Deutschland ist in die Völkerfamilie
zurückgekehrt - als ambitionierte Großmacht. War es das, was aus der
Geschichte zu lernen war?