Von Wolfgang Wippermann
"antifa" - Magazin für
antifaschistische Politik und Kultur
Brecht wusste es auch schon - und besser: Deutsche Soldaten haben im
Zweiten Weltkrieg nicht nur gemordet, sondern auch geklaut. Brecht listet in
seinem Gedicht auf, was des "Soldaten Weib" aus den Hauptstädten der Länder
bekam, die von deutschen Truppen überfallen und besetzt worden waren: Aus
Prag die "Stöckelschuh"; aus Warschau das "leinerne Hemd"; aus Oslo das
"Kräglein aus Pelz"; aus Paris das "seidene Kleid" etc., um dann
abschließend zu fragen:
"Und was bekam des Soldaten Weib
Aus dem weiten Rußland?
Aus Russland bekam sie den Witwenschleier.
Das bekam sie aus Russland".
Lassen wir den großen Dichter und kommen zu dem Politologen Götz Aly. Er
beweist in seinem, schnell zu Bestseller hochgepushten Buch, dass Brecht
Recht hatte. Viele deutsche Soldaten, Aly nennt und zitiert vornehmlich
Heinrich Böll, haben sich an der Ausplünderung der von deutschen Armeen
überfallenen Länder beteiligt. Doch letztlich um welchen Preis? Den
Brechtschen "Witwenschleier" erwähnt Aly nicht.
Daß sich auch "Junker und Monopolisten" an dem nationalsozialistischen
"Raub- und Rassenkrieg" und der "Arisierung" jüdischen Eigentums beteiligt
haben, erwähnt Aly zwar, meint aber, dass dies nicht zu ihrem Vorteil
gewesen sei. Die Monopolisten und die gesamte deutsche "Bourgeoisie" hätten
nämlich die "Steuerhärte" des Regimes zu spüren bekommen, während es
"Steuermilde für die Massen" gegeben habe. Und wer von den "Vorteilen" von
"Millionen einfacher Deutscher" nicht reden wolle, der "sollte vom
Nationalsozialismus und vom Holocaust schweigen".
Also nichts ist mit "Kapitalismus" im Sinne von Horkheimer und
meinetwegen auch Müntefering. Der "Faschismus an der Macht" sei ein
"Volksstaat" gewesen, in dem die "Klassenschranken" weitgehend abgebaut
worden seien. Der Faschismus sei ein "nationaler Sozialismus" gewesen, der
die Grundlagen des bundesrepublikanischen "Sozialstaates" gelegt habe und
der dem "real existierenden Sozialismus" weit überlegen gewesen sei. etc.
etc.
Muss man diesen, gelinde gesagt, Unsinn widerlegen? Ja, leider. Und dies
sagt über unseren gegenwärtigen geistigen und politischen Zustand schon fast
alles. Natürlich haben nicht die "Massen", sondern primär die
"Monopolherren" von der "Arisierung" und generell vom faschistischen "Raub-
und Rassenkrieg" profitiert. Natürlich wurden die immensen Gewinne der, wie
man sie jetzt wieder nennen darf, Kapitalisten nicht weggesteuert und schon
gar nicht, wie die Unternehmer damals klagten (wann klagen sie nicht?) zu
"80 bis 90 Prozent". Natürlich kamen die sozialpolitischen Maßnahmen -
Familienlastenausgleich, Ehestandsdarlehen, Kindergeld etc. - nicht allen,
sondern nur denjenigen zugute, die "deutschen oder artverwandten Blutes"
waren und nicht als "asozial" und "erbkrank" eingestuft worden waren.
Natürlich wurden neben diesen "Gemeinschaftsfremden" auch die politischen
Oppositionellen aus der "Volksgemeinschaft" ausgeschlossen. Und natürlich
hat es diese "Volksgemeinschaft" nur in der nationalsozialistischen
Propaganda gegeben. Hitlers "Volksstaat" war längst nicht so "modern", wie
dies neben Aly auch einige neurechte Ideologien wie Rainer Zitelmann
behaupten.
Doch warum das alles? Warum wird der Antifaschismus verschwiegen? Warum
wird aus der "terroristischen" eine "Gefälligkeitsdiktatur" und aus dem
Faschismus ein "nationaler Sozialismus"? Warum so viel Häme über die
"Millionen einfacher Deutscher" und so viel Verständnis für die
"Bourgeoisie"? Weil alles nicht so gewesen sein soll, wie es gewesen ist,
und weil es nicht besser werden soll, wie es ist. Weil ein linkes
Geschichtsbild abgewickelt und der Sozialismus in jeglicher Form diffamiert
wird, und zwar durch einen Ex-Linken, der an all das, woran er selber mal
geglaubt hat, nicht mehr glauben will. Aly möchte ein verspäteter Renegat
sein und schielt nach dem rechten Beifall. Gönnen wir ihm dies wie das
"Kräglein aus Pelz" des "Soldaten Weib".