Wirtschaftsspionage:
Trojanisches Pferd in israelischen Großunternehmen
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Amnon Jakonte gehört nicht zu den berühmtesten
Schriftstellern Israels. Gleichwohl wurde er überschüttet mit Kritik an
Kapiteln seines neuesten Buches "L - wie die Lüge". Einige Kapitel
geisterten sogar im Internet herum. Doch das Buch war noch gar nicht fertig
und Jakonte glaubte, dass es nur auf seinem Heim-PC gespeichert sei.
Jakonte ahnte Schlimmstes. Bei der Polizei äußerte er den
Verdacht, dass der Computerfachmann Michael Haefrati, der ehemalige
Schwiegersohn seiner Frau, böse Rache wegen Familienkrach nach seiner
Scheidung verübt haben könnte. Haefrati sei mit einem so genannten
"Trojanischen Pferd", einem Computervirus, in den PC von Jakonte
eingedrungen. Haefrati habe nicht nur den unfertigen Roman, sondern auch
private Briefe und Adressenlisten herausgeholt und verbreitet.
Was ursprünglich wie ein schlechter Witz bei einer
Privatfehde aussah, entpuppte sich bald als die umfassendste
Wirtschaftsspionage in der Geschichte Israels. Alle verfügbaren
Polizeiermittler der Abteilung für Betrugsdelikte wurden eingezogen, sich
nur noch um "trojanische Pferde" zu kümmern. Im Rahmen der "Operation
Pferderennen" wurden am Wochenende 18 Direktoren oder führende Mitarbeiter
der größten und bekanntesten Firmen Israels festgenommen. Ein Polizei-Team
wurde nach Deutschland geschickt, weil wohl auch deutsche Firmen betroffen
sind.
Wie sich nach wochenlangen geheimen Ermittlungen
herausstellte, spionierte der Importeur von Volvo gegen Champion Motors, dem
Vertreter von Volkswagen in Israel. Der Betreiber von Satellitenfernsehen
"Yes" stahl die Kundenlisten des Kabelnetzbetreibers "Hot". Die
Handybetreiber Cellcom und Pelephone spionierten die Computer ihres
Konkurrenten Orange aus. Die Liste ist lang und sehr namhaft. Die
bekanntesten israelischen Großfirmen, Kaufhausketten und Verkäufer von
Mineralwasser, Nahrungsmittelhersteller und Computerfirmen werden da
entweder als Spione genannt oder als Opfer.
Der gemeinsame Nenner ist ein "Trojanisches Pferd", das
der oben genannte Schwiegersohn des Schriftstellers entwickelt hat und
gewinnbringend an Detektivfirmen verkauft habe. Die wiederum betrieben
angeblich im Auftrag einiger Großfirmen Werkspionage bei den jeweiligen
Konkurrenten. Das Virusprogramm wurde per Email verbreitet oder über eine
Präsentations-Disc mit verlockenden Angeboten. Die Detektive konnten in die
infizierten Computer eindringen und deren Inhalte "wie im Spiegel"
anschauen, ohne dass die Betroffenen es bemerkten. So wurden vertrauliche
Adressenlisten, geheime Daten über Produkte, Strategiepläne und jede andere
abgespeicherte Information der jeweiligen Konkurrenten beschafft. Das von
Michael Haefrati entwickelte "Trojanische Pferd" ist angeblich so
ausgeklügelt, dass es von keinem Anti-Virus-Programm entdeckt wird.
Solche Informationen sind goldwert. Den ausspionierten
Unternehmen sei Schaden in Milliardenhöhe entstanden. Bei der israelischen
Polizei gingen hunderte Anträge aus aller Welt ein, das "Trojanische Pferd"
zu erhalten, um ein Gegenmittel zu entwickeln. Niemand weiß, wie viele
Firmen Spionage betrieben haben und wie viele Firmen Opfer wurden. Die Reise
eines israelischen Kriminalistenteams nach Deutschland ist ein Hinweis
dafür, dass sich das Spionagenetz nicht nur auf Israel beschränkt.
Der Erfinder des "Trojanischen Pferdes" und seine
Freundin, die angeblich den "Vertrieb" der Erfindung übernommen hat, sind am
Wochenende auf Bitten der israelischen Polizei in London verhaftet worden.
"Die etwas eigentümliche Beschwerde eines drittklassigen Schriftstellers bei
der Polizei löste ein Erdbeben in der israelischen Wirtschaft aus, mit noch
unmessbaren Folgen", kommentiert eine Zeitung den Skandal, dessen voller
Umfang noch unbekannt ist.
© Ulrich Sahm/haGalil.com
hagalil.com 31-05-2005 |