Von Mark Querfurth
Zum 60. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus hatten die "Jungen
Nationaldemokraten" (JN), die Jugendorganisation der NPD, eine Demonstration
unter dem Motto "60 Jahre Befreiungslüge - Schluß mit dem Schuldkult" in
Berlins Mitte angemeldet. Dass die Nazi-Partei tatsächlich an diesem Tag
auch nur einen Schritt tun würde, war nach den regierungsoffiziellen
Aufrufen zu Blockadeaktionen nicht wirklich zu befürchten.
Doch die Sache hätte bei mangelnder Mobilisierung auch schief gehen
können. Wenn der Tag dann wie erwartet verlief, von einer Inszenierung darf
dennoch nicht gesprochen werden. Die Berlinerinnen und Berliner, die den
Nazis den öffentlichen Raum genommen haben, meinten es durchaus ernst.
Bereits am Vormittag versammelten sich auf dem Bertold-Brecht-Platz nahe
dem Bahnhof Friedrichstraße etwa 10.000 Menschen, um mit einer Demonstration
gegen die NPD in Richtung Alexanderplatz zu ziehen.
Aufgerufen hatte hierzu das antifaschistische Bündnis
Spasibo heißt Danke!.
Auf der Auftaktkundgebung hielt Peter Gingold, der in den Reihen der
französischen Résintance gegen die deutsche Besatzung kämpfte, die
wahrscheinlich beste Rede des Tages. Gingold machte deutlich, dass der
"Untergang" nicht 1945 stattfand, wie uns der gleichnamige Eichinger-Film
glauben machen will. Der Untergang war bereits 1933 als die Deutschen nicht
verhindern konnten, dass die Nazis an die Macht gebracht wurden.
Der Résistance-Kämpfer Peter Gingold führt die
antifaschistische Demonstration an.
Gegen 11:00 Uhr setzte sich der Zug dann in Bewegung. In der
Oranienburger Straße wurde vor der Synagoge, die von einem riesigen
Polizeiaufgebot (vor wem auch immer) "geschützt" wurde in Stille der Opfer
des Nationalsozialismus und der Widerstandskämpferinnen und
Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime gedacht.
Unterdessen versammelten sich zu Füßen des Fernsehturms erste Anhänger
von NPD und JN. Die enge Umzäunung des Antreteplatzes mit dem spärlichen
Grün der umgebenden Bepflanzung und dem viel stärkeren der Einsatzkräfte der
Polizei wirkte wie ein Freigehege. Bis 14:00 Uhr fanden sich etwa 2.200
NPDler aus dem gesamten Bundesgebiet ein. Damit blieb die Mobilisierung
deutlich hinter den Erwartungen der Parteiführung zurück.
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit: NPD vor den
Rathaus-Passagen.
Auch wenn der Parteivorsitzende Udo Voigt und der sächsische
NPD-Fraktionschef Holger Apfel diesen Tag als Erfolg zu verkaufen
versuchten, so richtig zu begeistern waren die braunen Kameraden, die
teilweise mehrere hundert Kilometer anreisten und sich dann etwa fünf
Stunden die Beine in den Bauch stehen mussten, nicht. Die immer gleichen
Hasstiraden in den Beiträgen von Voigt, Apfel, Rennicke und Wulff wurden
durch Grußbotschaften der internationalen Rechten unterbrochen oder durch
den fürchterlichen Auftritt von Annett, die über die blecherne Beschallung
ihre Vergewaltigungsphantasien besang.
Zur gleichen Zeit an anderem Ort fand ein in den letzten Wochen eilig von
der Berliner Senatskanzlei organisierter "Tag
für Demokratie" statt. Zunächst wirkte das Fest etwas aufgesetzt,
nachdem es von offizieller Seite der "Berliner
Initiative: Europa ohne Rassismus" übergeholfen wurde. Der damit
befürchtete Charakter einer Image-Veranstaltung mit schwarz-rot-goldenem
Veilchen, Würstchen- und Getränkebuden zum Schutz des Brandenburger Tores
vor Negativ-Schlagzeilen im Ausland wurde durch die inhaltliche
Ausgestaltung durch die zahlreichen Initiativen weitestgehend verhindert.
Die auf Videowänden aus dem Reichstag übertragene
Rede des Bundespräsidenten Horst Köhler ist an dieser Stelle eher
von geringem Nachrichtenwert, blieb sie doch weit hinter der des damaligen
Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker vor 20 Jahren zurück.
Anders als bei ähnlichen früheren Anlässen, wo sich fernab von
Nazi-Aufmärschen die Demokraten ihrer selbst vergewissern, bot der Tag für
Demokratie schon Ansätze eines anständigen Aufstandes. Immerhin setzten sich
mehrere hundert Menschen von hier in Richtung Blockade auf der
Karl-Liebknecht-Straße in Bewegung.
Skinheads gegen Rechts.
Zurück zur NPD-Veranstaltung: Nachdem hier den Versammelten verkündet
wurde, dass man hart aber ergebnislos mit der Polizei über eine mögliche
Alternativroute für den Abmarsch verhandelt habe, wurden einige Kameraden
unruhig. Der Ausbruchversuch aus dem Gehege wurde von Einsatzkräften schnell
unterbunden und die Kameraden sollten bald mit Sonderzügen vom Bahnhof
Alexanderplatz die Innenstadt verlassen. Ein kurzer Regenschauer sorgte nur
für mäßige Abkühlung der nationalen Gemüter. Unter Rufen wie "Ruhm und Ehre
der Waffen-SS" versuchten sie noch einmal, den Sturm in das Bahnhofsgebäude,
wurden aber auch schnell wieder zurückgedrängt. Auf der anderen Seite der
Bahntrasse hatten sich inzwischen einige Nazi-Gegnerinnen und Gegner
versammelt, die die Abreise der Nazis mit "Nazis raus!"-Rufen begleiteten.
Am Ende bleibt zu sagen, dass der verhinderte Marsch der NPD und JN durch
Berlins Mitte durchaus ein Erfolg ist, auch wenn es nichts gibt, was nicht
auch besser zu machen wäre. Bedauerlich ist, dass Protestierende weiträumig
von der NPD-Veranstaltung ferngehalten wurden. Ein lautstarker Protest
direkt vor Ort würde solche Auftritte sicherlich noch unattraktiver machen.
Auch bei der Strafverfolgung rechter Propagandadelikte muss die Polizei noch
nachbessern.
Übersehen? Verbotene Runen-Symbolik des Nazi-Labels
Thor Steinar bei der Abreise am Alexanderplatz
Am 8. Mai 2005 haben die Berlinerinnen und Berliner ein deutliches
Zeichen gegen Rassismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus gesetzt.
Ob dies nur möglich war, weil die Augen der Weltöffentlichkeit an diesem
historischen Datum auf die Stadt gerichtet waren, werden künftige Anlässe
zeigen.